Bis 2050 sollten wir klimaneutral werden, doch es gibt ein grosses Problem. Die Erdbevölkerung wächst sehr stark. Indien wird jetzt mit 1,4 Mia. Einwohnern sogar zum bevölkerungsreichsten Land. Haben wir da überhaupt eine Chance?
Es ist klar, dass mehr Menschen mehr Ressourcen brauchen, trotzdem ist dies eine gefährliche Argumentation. In Bezug auf das Bevölkerungswachstum können wir vieles im Moment nicht beeinflussen. Allerdings wird das Maximum der Anzahl Erdenbewohner zwischen 2050 und 2070 erreicht werden, danach wird das Wachstum rapide abnehmen. Die Bevölkerung von China nimmt bereits heute schon ab, in Europa und den USA ist dies schon länger der Fall. Es ist nur noch eine Frage, wie das Bevölkerungswachstum in Indien und Afrika verläuft.
Der wichtigste Punkt ist jedoch: In einer Netto-Null-Welt gibt es keine fossilen Brennstoffe mehr, egal wie viele Menschen existieren, d.h. alle Länder müssen von den CO2-Emissionen wegkommen, ob es viele oder wenige Menschen im jeweiligen Land sind.
Kann ein Land wie Indien, in dem es auch viele arme Menschen gibt, die Massnahmen zur Klimaneutralität überhaupt umsetzen?
Für einige Länder ist die Netto-Null-Strategie eine Herausforderung. Zuerst brauchen sie Nahrung, medizinische Versorgung, Bildung, Strom etc. Sobald jedoch die neuen Energie-Lösungen besser sind als die alten, werden sie gar nicht mehr auf die alten Lösungen setzen. Ein Beispiel ist Photovoltaik in Afrika. Die Menschen in diesem Land würden nicht aus Kohle Strom erzeugen, da andere umweltfreundliche Methoden günstiger sind.
Dabei steht nicht nur der ökonomische Nutzen im Vordergrund. Wenn zum Beispiel für das Kochen von Mahlzeiten ein Feuer verwendet wird, entsteht Rauch, der für die Menschen gesundheitsschädlich ist. Es sterben nach wie vor jedes Jahr Millionen von Menschen an der Luftverschmutzung. Wenn man also die Feuerstelle am Kochplatz mit etwas Saubererem ersetzt (z.B. Sonnenenergie), hat man nicht nur eine günstigere Variante, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn für das gesamte Umfeld.
Wenn es uns gelingt, diese Technologien den Entwicklungsländern möglichst schnell zur Verfügung zu stellen, dann kommen wir wirklich weiter. Klimaschutz mit dem Pariser Abkommen heisst nicht nur CO2 Reduktion, sondern die Entwicklungsländer beim Klimaschutz mit global 100 Milliarden US-Dollar zu unterstützen, damit diese Transformation möglichst schnell geschieht – allerdings ist dies bis jetzt noch nicht passiert.
Wäre Kernkraft eine Lösung für die Energiegewinnung, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren?
Die Kernkraft ist zwar CO2 arm. Sie hat jedoch den Nachteil, dass es extrem lange dauert, bis ein neues Kernkraftwerk erstellt ist. In der Schweiz wären wir sicher gut beraten, wenn wir die bestehenden Anlagen so lange laufen lassen, wie sie sicher sind. Diese Anlagen abzustellen wäre in der heutigen Situation ein Fehler. Bis in der Schweiz ein neues Kernkraftwerk gebaut werden kann vergehen 20 bis 25 Jahre. In 25 Jahren sind wir nahe an 2050 – ich glaube nicht, dass dann noch jemand ein Kernkraftwerk will. Wir haben jetzt ein Problem, dass wir mehr Strom brauchen und das können wir nur mit einem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen. Da bietet sich vor allem die Photovoltaik an, die ein riesiges Potential und eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung hat. Windenergie wäre auch noch eine gute Sache, ist jedoch gesellschaftlich schwieriger.
Haben wir nicht ein Problem mit der Grössenordnung der Energieproduktion? Um ein Kernkraftwerk zu ersetzten müssten sehr viele Photovoltaikanlagen aufgestellt werden.
Die Schweiz könnte den grössten Teil der Zusatzstromerzeugung mit Photovoltaikanlagen auf Dächern und Hausfassaden lösen. Es braucht also keine zusätzlichen Flächen. Es wäre allerdings sinnvoll, z.B. in den Alpen noch einige freie Flächen mit Photovoltaikanlagen zu bestücken, um mehr Winterstrom zu produzieren. In den Städten haben wir das Problem von Nebel, da bieten natürlich die Alpen bessere Voraussetzungen. Die Flächen (Dächer) wären also in der Schweiz vorhanden, einzig bei Freiflächen ist ein Gegenargument, dass es das Landschaftsbild verändert.
Wenn man allerdings bedenkt, dass in den Bergen auch Bahnen, Strassen und Militäranlagen gebaut wurden, ist der Unterschied wohl nicht so gross, wenn da noch einige Photovoltaikanlagen hinzukommen. Wir müssen uns bewusst sein: Wenn wir Energie erzeugen, hat dies jeweils einen Fussabdruck. Ob ein Stausee, ein Kernkraftwerk, eine Windanlage – jede Infrastruktur hat irgendwo einen Nachteil.
Man müsste bei dieser Gelegenheit auch einmal über die Nachfrage sprechen. Die Schweiz könnte bis 30% Strom sparen, ohne auf irgendetwas verzichten zu müssen. Dies könnte allein mit der Effizienz erreicht werden. Strom ist so günstig, da hat bisher niemand gross darüber nachgedacht, wie effizient die Geräte sind, die man mit Strom betreibt. Da kann man noch sehr viel herausholen mit effizienteren Geräten, intelligenter Steuerung etc.
Müssen wir nicht so oder so mit der Klimaerwärmung leben und uns anpassen? Ich denke da z.B. an die Landwirtschaft, die auf den Feldern andere Sorten anbaut, die z.B. resistenter sind gegen trockene Sommer etc.
Das ist völlig klar. Wir haben in der Schweiz schon über 2 Grad Erwärmung und es kommt wahrscheinlich noch einmal so viel hinzu, bis alle Massnahmen greifen. Wir werden uns also stark anpassen müssen, um diese Risiken zu minimieren. In der Landwirtschaft ist es die Sortenwahl und die entsprechende Bewässerung. Im Bereich der Naturgefahren ist es der Schutz gegen Hochwasser, Steinschlag, und Murgänge. Im Bereich der Gesundheit ist es der Wärmeinsel-Effekt in den Städten. Während Hitzewellen wird es in den Städten extrem heiss. Es braucht andere Systeme, um die Gebäude zu kühlen, Grünflächen etc. Die Anpassung an den Klimawandel ist ein ganz zentrales Thema, passiert heute schon und wird auch weitergehen. In gewissen Bereichen sind wir gut unterwegs. Naturgefahren sind in der Schweiz seit Jahrhunderten ein Thema. Bei der Gesundheit (Wärmeinsel-Effekt) und der Landwirtschaft sind wir noch nicht so weit.
Man könnte doch ganz einfach argumentieren: In der Kreidezeit war es viel wärmer als heute. Es gab immer extreme Temperaturschwankungen auf der Erde. Also müssten wir uns doch keine grossen Sorgen machen?
Für den Planeten spielt es keine Rolle, wenn es drei Grad wärmer wird, aber den Menschen kann es nicht egal sein. Die Klimaveränderungen in der frühen Vergangenheit passierten aus anderen Gründen, die es heute nicht gibt. Zudem gab es keine oder kaum Menschen, es hat also niemanden gestört. Der aktuelle Zustand sieht hingegen so aus, dass es eine sehr grosse Anzahl von Menschen gibt, die sich an das bestehende Klima angepasst haben. Es bedeutet auch nicht, dass das heutige Klima das Richtige ist. Aber unsere Zivilisation wurde über eine sehr lange Zeit mit diesem Klima aufgebaut und hat sich auch entsprechend optimiert. Wie wir leben, was wir anpflanzen, wie wir heizen, ist genauso optimiert, damit es möglichst gut funktioniert mit dem heutigen Klima. Somit könnte eine Klimaveränderung drastische Folgen auf alle Bereiche des Lebens haben. Was die Menschen mit der Verbrennung von fossilen Stoffen machen, liegt ausserhalb jeder natürlichen Schwankung und stellt einen starken Eingriff in die Klima-Entwicklung dar. Wir können uns jetzt entscheiden, ob wir wie bisher weiterfahren wollen oder ob wir eine bessere Lösung wollen. Es sind nicht nur klimatische Argumente, es sind auch wirtschaftliche Argumente. Solarenergie ist heute die günstigste Energieform. An guten Standorten kann für 1,5 Rappen eine Kilowattstunde Strom erzeugt werden. Es gibt keine andere Möglichkeit, Strom derart günstig zu produzieren. Und diese Preisentwicklung wird weiter gehen. Die erneuerbaren Energien sind günstiger und risikoloser als die fossilen Energien. Das Ziel muss sein, von den fossilen Energien wegzukommen und eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen.
Die Erde hat sich allein 2023 im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (um 1850) um rund 1,5 Grad erwärmt. Zum ersten Mal ist die durchschnittliche Temperatur auf dem Land um mehr als 2 Grad angestiegen. Die Weltmeere waren mehr als 1 Grad wärmer – auch das ein Rekord. Sind die Effekte des Klimawandels stärker als bisher erwartet und gibt es eine Erklärung dafür?
2023 war völlig extrem. Wir kennen einige Faktoren, die beigetragen haben, z.B. restriktivere Schadstoffnormen für Schiffe und El Niño, aber selbst damit ist noch nicht alles erklärt. Im Moment ist es zu früh zu sagen, dass der Klimawandel schneller vorangeht als erwartet. Falls ja, dann wäre es ein Argument, unsere Anstrengungen nochmals zu verstärken. Die nächsten Jahre werden spannend, einerseits die Beobachtung der Erde, und andererseits die Bereitschaft der Gesellschaft und Politik, endlich die Klimaziele umzusetzen, auf die wir uns geeinigt haben.