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Jürg Grossen ist Co-Geschäftsführer und Verwaltungsrat der Firmen elektroplan Buchs & Grossen AG, ElektroLink AG und Smart Energy Link AG in Frutigen. Seit 2011 ist Grossen Nationalrat und seit 2017 Präsident der grünliberalen Partei Schweiz (glp). Er ist zudem Präsident des Fachverbandes Sonnenenergie (Swissolar) und des Elektromobilitätsverbandes (Swiss eMobility). (Bilder: zVg)

Jürg Grossen: «Die Schweiz war bei der Entwicklung der Elektromobilität einst ein Pionierland.»

Interview mit Jürg Grossen, Präsident Swiss eMobility

«Verkehrssektor wird Gebäudesektor beim Weg zu Netto-Null CO2 überholen»

Der Elektromobilitätsverband Swiss eMobility unterstützt die Schaffung der politischen und institutionellen Grundlagen, um der Elektromobilität in der Schweiz schneller zum Durchbruch zu verhelfen. Präsident Jürg Grossen wirkt in idealer Position an vorderster Front mit, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft als Unternehmer, hier Akzente zu setzen. Im Interview spricht er über seine Positionen und die Anstrengungen seiner Vereinigung.

Jürg Grossen, als grünliberaler Parlamentarier und engagierter Fachmann in der Gebäudetechnik bewegen Sie sich an der Spitze in der Politik, wenn es darum geht, in unserem Land die Energiewende zu schaffen. In der Verkehrspolitik geht es noch langsamer voran als im Gebäudesektor. Was ist zu tun?

Die Schweiz war bei der Entwicklung der Elektromobilität - genau wie in der Solarenergie auch - sehr innovativ und einst ein Pionierland. In der Phase der Umsetzung haben wir diese Vorreiterrolle jeweils verloren. Der Diskurs zur Energie- und Mobilitätswende wird bei uns zu oft von Herausforderungen und möglichen Problemen dominiert, anstatt die Chancen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Elektromobilität ermöglich, ein riesiges Verbesserungspotential in der Mobilität abzuholen. Genau dafür setzen wir uns mit Swiss eMobility ein. Ich bin überzeugt, dass der Verkehrssektor den Gebäudesektor auf dem Weg zu Netto-Null CO2 überholen wird.

Würden Sie sich manchmal wünschen, dass der «norwegische Weg» mit massiver Förderung der Elektromobilität auch bei uns möglich wäre?

Wenn ich wünschen könnte, würde ich vom norwegischen Weg folgendes Übernehmen: 1. ein klares und unbestrittenes Bekenntnis zur Elektromobilität und 2. die problemlose Installation von Heimladestationen. Diese beiden Punkte würden in der Schweiz einen viel grösseren Mehrwert generieren als Subventionen.

Welche Anstrengungen stehen bei Swiss eMobility im Moment im Fokus?

Elektromobilität ist ein umfassendes Thema und erstreckt sich von der Energieerzeugung, über deren Bereitstellung bis hin zu SecondLife-Anwendungen von Batterien und dem Recycling. Elektromobilität beinhaltet den öffentlichen wie auch privaten Verkehr, für Personen wie auch Güter und wird mit einer Vielzahl von Verkehrsmitteln absolviert. Unsere Tätigkeiten sind deshalb sehr weitreichend.

Im Moment stehen sicherlich Themen wie Integration von Ladestationen ins Verteilnetz, «vehicle2grid» und die ganze Heimladethematik im Fokus.

… und wie zufrieden sind Sie mit dem Bestand an Lademöglichkeiten (unterwegs – am Arbeitsplatz – zu Hause) in unserem Land?

Wir haben eines der besten öffentliche Ladenetze der Welt. Die Qualität lässt sich weniger durch den Bestand als vielmehr durch die Abdeckung und die Verfügbarkeit von richtig dimensionierten Ladestandorten ableiten. Bei der Benutzerfreundlichkeit von öffentlichen Ladestationen gibt es immer noch viel Luft nach oben, die Entwicklung des Ladenetzes in den letzten Jahren ist aber aussergewöhnlich positiv.

Bei den privaten Ladestationen ist die Ausgangslage hingegen problematisch. Wir haben den kleinsten Eigenheimanteil in ganz Europa. Vor allem für die Mieterschaft ist der Weg zur eigenen Ladestation beschwerlich und oftmals nicht erreichbar. Deshalb brauchen wir das Recht auf Laden.

Sie sagten einmal, dass wir bezüglich der vor uns zu liegenden Aufgaben im Hinblick auf die Dekarbonisierung unserer Welt in eine Art Wohlstandstiefschlaf geraten sind. Spätestens seit dem Ukrainekrieg haben vermutlich auch die letzten gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Wie nützen Sie als grünliberaler Politiker diese Stimmung im Volk?

Unsere Politik ist nicht abhängig von Stimmungen, wir haben klare Überzeugungen und setzen entsprechende Schwerpunkte. Die Dekarbonisierung ist eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe unserer Generation. Diese treiben wir mit aller Kraft voran. Unabhängig davon, ob aktuelle Geschehnisse das Thema mehr oder weniger in den Vordergrund rücken. Klar nutzen wir aber den Rückenwind, wenn er uns schneller voranbringen kann.

Dieser Tage wurde von der Europäischen Union erneut entschieden, dass ab 2035 in Europa keine neuen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden sollen. Glauben Sie, dass das so bleiben wird und sinnvoll ist?

Der Entscheid wurde nicht nur politisch, sondern auch von der Autoindustrie gefällt. Die Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren wird in wenigen Jahren eingestellt, das zeigt ein Blick auf die Pläne aller namhaften Autohersteller. Die Politik liefert hier lediglich eine Vollzugsmeldung. Diese schafft jedoch Klarheit und Verbindlichkeit. Deshalb wird das Verbrenner-Verbot in der EU auch von der Autoindustrie unterstützt.

Wie steht es mit den Bestandsfahrzeugen, die noch viele Jahre in Gebrauch sein werden? Sollte für sie nicht eine gewisse Infrastruktur für synthetische Kraftstoffe aufgebaut werden?

Synthetische Kraftstoffe sind besser als fossile, aber aus Energiesicht um Faktoren schlechter als die batterieelektrische Mobilität. Sofern ein privat finanziertes Versorgungsnetz für synthetische Kraftstoffe aufgebaut wird, gibt es keine Gründe, die gegen ein solches Vorhaben sprechen.

Wie funktioniert der internationale Austausch bei Ihnen im Elektromobilitätsverband - was ist geplant in nächster Zukunft?

Wir stehen insbesondere mit unseren Nachbarn im engen Kontakt und investieren uns in der eDACH 2030. Wir veranstalten auch gemeinsame Konferenzen zum Wissens- und Erfahrungsaustausch.

Wenn Sie einen Ausblick wagen, wie uns in der Schweiz die Umstellung auf die Dekarbonisierung gelingen wird: was sehen Sie und was erwarten Sie von der Politik?

Die Politik hat zu lange gebremst – insbesondere die bürgerlichen Parteien. Nun sind die meisten endlich erwacht, schade dass es Herrn Putin dazu gebraucht hat. Wir werden die Netto-Null-Ziele erreichen, davon bin ich fest überzeugt!

Mit der Verbesserung der Energieeffizienz, dem Ausbau der erneuerbaren Energien und einer Speicheroffensive schaffen wir die nächsten Schritte. Diese werden mit dem Mantelerlass – der Revision des Energie- und Stromversorgungsgesetztes – im Parlament umgesetzt. Damit werden nicht alle Versäumnisse der letzten Jahre bis im kommenden Winter aufgeholt. Aber die vorgesehenen Massnahmen dienen sowohl den kurz- wie auch den langfristigen Zielen.

Sie sind mit Ihrer Partei in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine mutig unterwegs. Was glauben Sie, wie sich unser Land da in der nächsten Zeit positionieren sollte, und mit welchen nachhaltigen Anstrengungen werden wir die Energiesicherheit in der Schweiz sicherstellen können?

Die Schweiz darf nicht wegschauen, sie muss die Ukraine unterstützen, denn sie verteidigt unsere zentralen Werte wie Demokratie, Völkerrecht und Rechtssicherheit. In Sachen Energieversorgung habe ich 2020 mit der Roadmap Grossen einen klaren Plan vorgelegt, der durch die aktuelle Energiekrise zusätzlichen Schub erhalten hat. Neben der Effizienz ist der starke Ausbau der Photovoltaik die wichtigste Massnahme, denn diese ist schnell realisierbar und bringt im Winterhalbjahr immerhin 30 Prozent des Jahresertrages. Mit der Wasserkraftreserve, dem Reservekraftwerk in Birr – welches wir hoffentlich nie brauchen werden - und mit dem Solarexpress für alpine Solaranlagen hat die Politik die kurzfristigen Massnahmen getroffen.