BIM

Aufgrund der Corona-Krise wurden zum Zeitpunkt des Gesprächs alle Lehrgänge an der FHNW online durchgeführt. Auch das Interview fand im Homeoffice statt.

Prof. Manfred Huber ist Leiter des Instituts Digitales Bauen und Mitglied der Leitung der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW. Schwerpunkt seiner Lehr- und Forschungstätigkeit ist die Anwendung der BIM-Methode. An der FHNW unterrichtet er in diversen Bachelor-Lehrgängen und konzipiert derzeit einen neuen Masterlehrgang zum Thema. In der Forschung beschäftigt er sich mit der disziplinenübergreifenden Anwendung der BIM-Methode und der daraus resultierenden Zusammenarbeit sowie Datendurchgängigkeit. 

Interview

«Wandel wird immer diskutiert»

Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) befasst sich in Forschung und Lehre mit der digitalen Transformation im Bauwesen. Der Leiter des Instituts Digitales Bauen, Manfred Huber, gibt Einblicke in die BIM-Methode und zeigt die Chancen durch den Einsatz von virtueller Realität auf.

Herr Huber, ist die BIM-Methode im Markt angekommen?

Definitiv. Aber es gilt zu differenzieren, was Bauen mit der BIM-Methode bedeutet. Viele verstehen unter BIM die Nutzung digitaler Bauwerksmodelle. Deshalb betrachte ich die bestehenden Studien zu diesem Thema mit Vorbehalt, bereits die Fragestellungen sind hier oft unpräzise. Die Frage ist nicht, ob mit einem digitalen Bauwerksmodell gearbeitet wird, sondern wie es im Projekt eingesetzt wird. Die Nutzung eines 3D-Modells ist nur ein Teilaspekt von BIM. Meine persönliche Einschätzung ist, dass derzeit zirka 30 bis 50Prozent der an einem Bauprojekt Beteiligten ein solches Modell nutzen. Aber eigentlich handelt es sich dabei um eine BIM-fähige CAD-Software, also nur bedingt um eine Anwendung der BIM-Methode. Nur vielleicht 5 Prozent von ihnen nutzen es zur gemeinsamen Verständigung.

Eine gemeinsame Verständigung zu welchem Zweck?

Wenn jede und jeder im eigenen Fachmodell arbeitet, sind die Daten zwar digitalisiert, aber erst wenn sie zur Kommunikation und zum gemeinsamen Erarbeiten von Lösungen mit den Projektbeteiligten genutzt werden, ist das Modell auch intelligent. Die Bauwirtschaft ist noch geprägt von seriellen Prozessen. Die Projekte durchlaufen zeitlich nacheinander verschiedene Stationen. Dabei kann das Wissen nicht zusammenfliessen, es gibt keine integrale Zusammenarbeit. Auch wenn die Prozesse parallel laufen, funktioniert das nicht gut. Ein gutes Beispiel ist der Wärmeschutznachweis. Wenn die aktuellen Projektdaten der Architektin zum Bauphysiker gelangen, arbeitet sie ja zeitgleich weiter. Sollten sich in dieser Zeit Änderungen ergeben, hat der Bauphysiker nicht mehr die richtigen Grundlagen für seine Berechnungen. Der Energienachweis kann dann nicht mehr korrekt sein.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Die Lösung sind wechselseitige, integrale Prozesse. Diese ermöglichen es, in jeder Projektphase agil zu sein. Alle für die Planung wichtigen Personen, die Auftraggebenden und wenn möglich auch die zukünftigen Nutzer/-innen und Bewirtschafter/-innen treffen sich regelmässig und in einem hohen Rhythmus. Dann besteht nicht die Gefahr, dass sich die Wege trennen und der Informationsfluss abreisst.

Auch in der Forschung beschäftigen Sie sich mit Fragestellungen der disziplinenübergreifenden Anwendung der BIM-Methode. Was bedeutet das?

Im konventionellen Verfahren kommt es bei der Planung, Ausführung und dem Betrieb immer wieder zu Brüchen. Wir verfolgen hingegen das Ziel, phasenübergreifende Prozesse zu schaffen, die den ganzen Lebenszyklus eines Bauvorhabens im Blick haben. Aus der integralen Zusammenarbeit resultieren qualitativ bessere und nachhaltigere Bauwerke. Aber nur wenn die korrekten Informationen im digitalen Bauwerksmodell eingepflegt sind, ist es möglich, die richtigen Entscheide zu fällen. Deshalb ist es substanziell, gemeinsam die Ziele zu definieren, bevor gestartet wird. Es reicht nicht, ein digitales Bauwerksmodell zu erarbeiten. Damit allein lässt sich keine Kostenermittlung erstellen oder der Heizwärmebedarf berechnen. Es gilt bei Planungsbeginn zu definieren, welche Informationen zur Verfügung stehen sollen, um diese anschliessend bedarfsgerecht einzupflegen. Auch wenn diese Form der Zusammenarbeit oft noch auf Skepsis stösst, ist sie eine Grundlage für das digitale Planen und Bauen. Nur so können zukunftsweisende Prozesse und Organisationsformen für Bauprojekte gefunden werden, welche die Chancen der Digitalisierung auch wirklich nutzen.

Welche Ziele kann denn die BIM-Methode verfolgen, und wie lassen sie sich umsetzen?

Es gibt vier Ebenen der Zielformulierung. Diese können die Baubarkeit betreffen, also beispielsweise zu weniger Fehlern während des Bauens führen. Die Ziele können sich zudem auf die Nutzbarkeit oder die Betreibbarkeit ausrichten. Last but not least steht auch immer die Nachhaltigkeit im Fokus der Bauprojekte. Diese vier Ebenen müssen vor Projektstart beachtet und entsprechende Ziele formuliert werden. Danach gilt es, geeignete Prozesse und Organisationsformen zu finden, um die Ziele erreichen zu können. Dementsprechend müssen auch die Informationen in digitalen Bauwerksmodellen strukturiert sein, und es sollte überprüft werden, ob alle Beteiligten die Informationsanforderungen gemäss den Zielen erfüllen. Nur in dieser Reihenfolge gelingt der zielgerichtete Aufbau mit der BIM-Methode.

Wenn man ein Projekt auf diese Weise plant, welchen Nutzen kann die BIM-Methode dann zum Beispiel den Gebäudetechnikern bieten?

Bereits bei Projektstart in die Planung miteinbezogen, können die an der Bauausführung beteiligten Unternehmen ihre Bedürfnisse in den Prozess einbringen. So stehen zum Beispiel in dieser frühen Phase die Querschnitte der Lüftungsleitungen zur Verfügung und man kann beurteilen, ob sie mit der Tragfähigkeit oder Architektur des Gebäudes konform sind. Gebäudetechniker/-innen können ihre Platzbedürfnisse einbringen und im Gegenzug von den Informationen profitieren, die bereits zur Verfügung stehen. So lassen sich bereits in dieser Phase erste Heizwärmebedarfsberechnungen erstellen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Fach- und Teilmodelle so gestaltet sind, dass sie zusammengeführt, koordiniert und ausgewertet werden können.

Simulation gilt als das neue Zauberwort für reibungslose Bauabläufe. Immer mehr Dienstleister bieten BIM-basierte Lösungen an. Sind sie Fluch oder Segen für die Planungsverantwortlichen?

Das kommt auf die Qualität der Simulation an. Ohne Frage bewegt sich die Entwicklung weg von rein statischen Nachweisen hin zu Simulationen. Sie sind dynamisch, und damit gelingt es viel besser, auf projektspezifische Annahmen einzugehen. Die Simulationen sind aber nur so gut, wie die Annahmen, die ihnen zugrunde liegen. Deshalb müssen die Randbedingungen in einer Simulation abgebildet werden können.

Können Sie hierzu ein Beispiel geben?

Der bewegliche Sonnenschutz, wie Storen oder Rafflamellen, ist eine wichtige Komponente im Wärme- und Kälteschutz. Ob man im Winter einen solaren Gewinn generiert, hängt davon ab, ob die Bewohnerinnen und Bewohner am Morgen vor Verlassen des Hauses daran gedacht haben, die Storen hochzuziehen. Dieser Vorgang kann aber auch automatisiert werden. In der Simulation sind das Verhalten von Menschen oder die Annahmen bezüglich der Simulation zu berücksichtigen. Ohne die Abbildung dieser Randbedingungen ist eine präzise Berechnung des solaren Gewinns nicht möglich. Die Anwendung von Simulationen muss einen Mehrwert gegenüber statischen Berechnungen bieten, das können beispielsweise solche Szenarien sein.

Neben den Simulationstools werden in der Baubranche auch zunehmend Virtual und Augmented Reality eingesetzt. Welches Potenzial sehen Sie in diesen Technologien?

Virtual und Augmented Reality sind eindeutig eine Bereicherung, da sie neue Visualisierungsmöglichkeiten bieten und auch Interaktionen möglich machen. So helfen sie, die Kommunikation zu verstärken – in der Planungsphase, aber auch während der Ausführung. Fehler werden vermieden oder rechtzeitig erkannt. Dadurch wird die Qualität des Bauwerks erhöht. VR- und AR-Lösungen führen uns weg von alphanumerischen und zweidimensionalen Plänen hin zu animierten, verständlicheren Darstellungen. Damit lassen sich sogar Temperaturverläufe im Raum einfach und anschaulich darstellen. 

Wie stehen Sie zum Einsatz von VR-Lösungen im Architekturwettbewerb?

Das ist eine stark diskutierte Frage. Ich bin der Meinung, dass der Einsatz von der Darstellungsform und dem zu erreichenden Ziel abhängen sollte. Analog den uns bekannten Gipsmodellen müssten sich die Entwürfe in ihrer Darstellung gleichen, damit alle Beteiligten die gleichen Voraussetzungen im Wettbewerb haben. Und man sollte sich nicht blenden lassen von nachbearbeiteten fotorealistischen Darstellungen, die nicht der Realität entsprechen können.

Ist dieser «Hochglanz-Effekt» der Grund, warum der Einsatz im Architekturwettbewerb diskutiert wird?

Wandel wird immer diskutiert. Und die Gefahr, sich blenden zu lassen, ist auch nicht neu. Seit über 100 Jahren wird im Wettbewerb mit Bildern gearbeitet. Selbst beim Grundriss stritt man sich, ob er Farbe enthalten darf. Bei den Wettbewerbsjurys gibt es tatsächlich oft Bedenken, natürlich auch weil die Technologien und entsprechenden Methoden neu sind. Aber ich glaube, der Hauptgrund liegt in der Befürchtung, unter ungleichen Bedingungen anzutreten. Deshalb müssten die Daten der Wettbewerbsteilnehmenden gesammelt und von einer unabhängigen Instanz unter Anwendung ein und desselben Tools visualisiert werden. Natürlich ist es für die Jury ein Gewinn, wenn sie zum Beispiel einen Eindruck von den Tageslichtverhältnissen in einem Büroraum erhält. Aber fair wäre es nur, wenn diese Möglichkeiten bei allen Entwürfen berücksichtigt und in gleicher Art dargestellt würden.

Welche Zukunftschancen geben Sie der virtuellen Realität und ihren Werkzeugen als Bestandteil von BIM?

Der Durchbruch lässt wohl noch auf sich warten. Das liegt daran, dass die Lösungen zwar stark darin sind, etwas realistisch darzustellen, die Interaktion im Modell gestaltet sich aber noch zu schwierig.
Die Daten müssen so aufbereitet werden können, dass man von der virtuellen Realität einfach wieder zurück ins Planen gelangen kann. Wenn ich zum Beispiel mit der AR-Brille feststelle, dass eine Lüftungsleitung verschoben werden muss, dann soll diese Änderung ja auch im digitalen Bauwerksmodell ankommen. Dazu muss ich mich aber erst wieder an den Computer setzen. Die Durchgängigkeit der Daten ist zu erhöhen, damit die Änderung direkt im Modell nachgeführt werden. Ausserdem wünsche ich mir eine Verbesserung in der Kommunikation mit den Projektbeteiligten. Es müsste möglich sein, bei der Projektbegehung direkt Fragen in den (virtuellen) Raum zu stellen, auf welche die entsprechende Person zeitnah reagieren kann.

Sind VR und AR in den Weiterbildungsangeboten an der FHNW ein Thema?

Wir behandeln im MAS Digitales Bauen das Potenzial, das diese Tools bieten. Dabei vermitteln wir vor allem, wie sie zur Prozessoptimierung und zur integralen Zusammenarbeit genutzt werden können. Neben unserer Lehrtätigkeit ist die virtuelle Realität aber auch in unserer Forschungsarbeit ein grosses Thema.

Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit diesen Technologien?

Ich finde es spannend, mit einer VR- oder AR-Brille den Raum zu betrachten. Die derzeit zur Verfügung stehenden Instrumente sind aber oft noch zu schwer. Wenn sich die Technik in leichtere Brillen integrieren liesse, würde ich wohl länger und lieber in der virtuellen Welt verweilen. Beim derzeitigen Entwicklungsstand bin ich aber froh, wenn ich die Brille wieder abnehmen kann.

fhnw.ch/digitaler-wandel-bau