Wärmetechnik

Eisspeicher Weltpostpark Bern

Installateur Uwe Grafe kontrolliert die Register des Eisspeichers. Schon bald wird die betonierte Kammer mit Wasser gefüllt. (Foto: Michael Staub)

Im Eisspeicher geht die Post ab

Die Überbauung Weltpostpark in Bern setzt vollständig auf erneuerbare Wärmequellen. Dazu werden erstmals Eisspeicher und Abwasser-­Wärmepumpen kombiniert. Das ungewöhnliche Paar verspricht hohe ­Wirkungsgrade.

Das Murifeld liegt hinter dem Sitz des Weltpostvereins, an der Grenze zwischen den Gemeinden Bern und Muri. Aus dem Fenster eines Kinderzimmers guckt Winnie the Pooh auf die emsigen Bauarbeiter. Fast alle 170 Wohnungen der Überbauung ­Weltpostpark sind bereits vermietet, auf der Baustelle laufen die Abschlussarbeiten. Eines der letzten Fassadengerüste wird demontiert, die Unterflurcontainer für den Kehricht sind bereits eingebaut.

Auf dem Dach von Haus B prüft Patrick Samson die Solarabsorber. Er ist verantwortlicher Projektleiter der Neuenschwander-Neutair AG, welche die gesamte Heizungstechnik installiert hat. Und die hat es in sich: Jedes der drei Gebäude nutzt je einen Eis-Energiespeicher sowie eine Abwasser-Wärmepumpe als Quellen für Raumwärme und Warmwasser.

Eiskalte Wärmequelle

Die Anlagen sind fast alle in Betrieb genommen. Die Steuerung läuft automatisch, doch das Wetter hält sich derzeit nicht an die Erfahrungswerte. Der viel zu warme Winter erinnert eher an einen verlängerten Herbst. «Wir möchten im Frühling in den Speichern möglichst viel Eis produzieren. Damit können im Sommer die Wohnungen gekühlt werden», erläutert Samson.

Die Solarabsorber auf den Dachflächen, in Feldern angeordnete PE-Rohre, dienen einerseits der Regeneration des Eisspeichers. Andererseits können sie auch direkt als Wärmequelle genutzt werden. Die Anlage funktioniere bis jetzt gut, meint Patrick Samson: «Wir haben so weit als möglich ein Tichelmann-System um­gesetzt.»

Die Wärme vom Dach wird ins Unter­geschoss des Gebäudes geliefert. In der Energiezentrale stehen jeweils drei Wärmepumpen für die Raumwärme sowie zwei weitere für das Brauchwarmwasser. ­Ebenso sind hier Vorlauf und Rücklauf des Eisspeichers angeschlossen.

Zwei der drei mächtigen Anlagen sind bereits in Betrieb, in der dritten befindet sich noch kein ­Wasser. Durch einen engen Schacht geht es hinab in den rund viereinhalb Meter hohen Raum. Vierhundert Kubikmeter Wasser werden hier schon bald als Speichermedium dienen. Mit dem Bauscheinwerfer bringt Installateur Uwe Grafe etwas Licht ins Dunkle. Kilometerlang winden sich die Kunststoffrohre des Entzugsregisters durch den Raum.

Der Eisspeicher wird schon bald als primäre Wärmequelle dienen. In den Häusern A und B gibt es je einen Eisspeicher. Im Haus C sind es aus Platzgründen deren zwei. Die Anlagen sind in der Schweiz noch nicht stark verbreitet, in Bern kamen sie mangels Alternativen zum Einsatz: Erdsonden ­waren nicht erlaubt, eine Holzschnitzelheizung hätte die Luft zu stark belastet. Bereits 2014 bescheinigte eine im Auftrag des BFE erstellte Studie dem Eisspeicher-
System gute Chancen. Die vier Anlagen im Weltpostpark werden denn auch als Demonstrationsanlage gefördert.

Abwasser heizt ein

Auch die zweite Hauptwärmequelle erreicht man über einen Schacht. Der Wärme­tauscher im Feka-Abwärmeschacht von Haus A erinnert an ein Waffelgebäck mit zahlreichen dünnen Schichten. Sobald das Gebäude bezogen wird, entzieht der ­Wärmetauscher dem durchströmenden Abwasser die Wärme und liefert diese an die Wärmepupen in der Energiezentrale.

Die Kombination von Eisspeicher und Abwasser-Wärmepumpe ist eine Schweizer Premiere. Sie ergab sich bei der vertieften Planung. «Als wir die Energieflüsse der Gebäude simuliert haben, zeigte sich der Warmwasserverbrauch als möglicher Schwachpunkt. Bei gleichzeitigem ­Duschen und Baden vieler Bewohner hätte die Wärmepumpe unter extremen Be­dingungen nicht genügend Energie liefern können», sagt Patrick Egger, verantwortlicher Gebäudetechnik-Projektleiter bei der Eicher + Pauli AG.

Mit der Abwärmenutzung des Abwassers könne dieses Problem elegant entschärft werden: «Wenn viel Brauchwarmwasser und damit viel Energie benötigt wird, fällt auch viel Abwasser an. Die Wärmepumpe stellt diese Energie mit kurzer Verzögerung wieder bereit.»

Auf den ersten Blick werden «nur» bewährte Komponenten miteinander ­kombiniert. Doch deren Zusammenspiel zu orchestrieren, war gemäss Patrick Egger eine grosse Herausforderung: «Insbesondere die Aufstellung und Einbindung der Solarabsorber ist nicht so trivial, wie sie scheint. Die Koordination der verschiedenen ­Leitungssysteme und die Verknüpfung der jeweils drei Heiz- und Sanitärzentralen war sehr anspruchsvoll. Auch die Regeltechnik mit der automatischen Umschaltung der Wärmequellen ist speziell.»

Herkömmliche Eisspeicher-Wärmepumpen-Kombinationen erreichen gemäss Studien eine ­Jahresarbeitszahl zwischen 3,5 und 4. Beim ­Weltpostpark erwartet man wegen der zusätzlichen Wärmequelle (Abwasser) einen noch höheren Systemnutzungsgrad.

Rauher Ziegelcharme

Nicht nur bei der Gebäudetechnik, sondern auch bei der architektonischen Gestaltung geht die Bauherrschaft neue Wege. Die drei Gebäude wurden als eigenständige Adressen mit markanten Grundrissen ausgebildet. Ihre bedachte Setzung ermöglicht es, viele Wohnungen von zwei Seiten zu belichten und bricht die Volumen in ihrer Grösse. So vermitteln die Neubauten gleichsam ein neues Stück Stadt zwischen dem heterogen bebauten Wohnquartier mit einzelnen Punktbauten und den angrenzenden grossvolumigen Verwaltungsgebäuden.

Sämtliche tragenden Wände sind betoniert. Die Aussenwände bestehen aus einer 20 Zentimeter starken Betonschicht, einer 20 Zentimeter starken mineralischen ­Dämmung und einer Luftschicht von 1,5 Zentimetern. Die  Aussenhaut ist eine Vorhangfassade aus 11,5 Zentimeter ­starkem Verblendmauerwerk. Diese Ziegelsteine wurden bewusst mit der Fussseite nach aussen verbaut.So zeigen die Steine die Spuren ihrer ­maschinellen Herstellung, so etwa kleine Abplatzungen oder Abdrücke von Transport- und Greifanlagen. Kein Stein ähnelt damit seinem Nachbarn.

«Diese Textur bricht durch ihr Licht und Schattenspiel die grossflächige Fassade und verleiht ihr so mehr Offenheit und Vielfalt», erläutert Michael Armbruster, verantwortlicher Partner und Mitinhaber von SSA Archi­tekten. Für jedes der drei Gebäude wurde zudem eine andere Ziegelfarbe gewählt. Mit nur zwei Fensterformaten und einer einheitlichen Farbgebung für alle Blechelemente entsteht trotzdem ein klarer Zusammenhang zwischen den drei ­Häusern. Dadurch soll man die Siedlung trotz subtiler Unterschiede als einheitliches Quartier wahrnehmen.

Erfolgreiche Vermietung

Obwohl die Übergabe des letzten Gebäudes erst für den Mai 2020 vorgesehen ist, sind sämtliche Wohnungen bereits vermietet. Während zwei Gärtner am Rand der ­Baustelle Rundhölzer zuschneiden, gehen Projektleiter Patrick Samson und Installateur Uwe Grafe in die letzte der drei ­Energiezentralen zurück. Die Installation der Anlagen ist hier noch im vollen Gang. Winkelschleifer jaulen, ein Schweissgerät brizzelt. Die Arbeiten laufen nach Plan. Nur das Wetter dürfte etwas kühler sein, damit das Eis im Speicher wachsen kann.

Erschienen in: Haustech 4/2020