Der ideale Zeitraum zur Gewinnung von Solarstrom ist ein strahlender Tag im Mai. Die Sonne steht steil am Himmel. Die Atmosphäre ist frei von Wolken und Dunst, die Sonnenstrahlen treffen ungehindert auf die Erde. Die Luft ist frisch, ein leichter Wind kühlt die siliziumbasierten Photovoltaik (PV)-Module; dank der tieferen Umgebungstemperatur arbeiten sie in einem besseren Leistungsbereich. Unter diesen günstigen Voraussetzungen spendet die Sonne im Schweizer Mittelland rund 1000 Watt pro Quadratmeter. Die PV-Anlage wandelt rund einen Fünftel der Solarstrahlung in Strom um. Die 200 Watt Leistung, die pro Quadratmeter resultieren, reichen – beispielsweise – zum Betrieb eines Personal Computers.
Nicht immer ist das Wetter den Betreibern von PV-Anlagen so freundlich gesinnt. Bei leichter Bewölkung sinkt der Ertrag auf rund die Hälfte, an einem tristen Regentag im November auf einen Zehntel. Aber das Wetter hat seine Launen. So gibt es auch Situationen mit ungewöhnlich hohen Solarerträgen. Zu bestimmten Zeiten ist die auf PV-Module eingestrahlte Energie höher als die Strahlungsenergie am oberen Rand der Atmosphäre – dann nämlich, wenn das Sonnenlicht nicht nur direkt, sondern auch noch durch Reflexion an einer weissen Gewitterwolke auf die Solarzellen trifft. Dieses Phänomen – Meteorologen sprechen von ‹Over Radiation›, also Überstrahlung – dauert indes meist nur wenige Sekunden. Die eingestrahlte Energie kann dann bis zu 1500 Watt/m2 erreichen.
Netzeinbindung der Photovoltaik verbessern
Wer Solarstrom produziert, muss also mit zeitlich variierenden Erträgen rechnen. «Wir Meteorologen können die Schwankungen nicht beeinflussen, aber wir können voraussagen, wie sich die Erträge in den nächsten Tagen entwickeln werden», sagt Jan Remund, Leiter Energie und Klima beim privaten Wetterdienstleister Meteotest AG in Bern. Ertragsprognosen schaffen Berechenbarkeit für die Betreiber von PV-Anlagen. Zugleich unterstützen sie die Netzintegration der Photovoltaik, wie Remund betont: «Prognosen bilden die Grundlage für einen sicheren Betrieb des Stromnetzes, denn die Netzbetreiber können jetzt vorausschauend auf die eingespeiste Strommenge reagieren und Netzprobleme vermeiden, die drohen, wenn mehr oder weniger Solarstrom als erwartet ins Netz eingespeist wird.» Die nationale Netzgesellschaft Swissgrid nutzt Prognosedaten heute ebenso wie die grossen Schweizer Elektrizitätswerke. Von Bedeutung sind Ertragsvorhersagen auch für Stromhändler. Sie können damit die Preisentwicklung an den Strombörsen prospektiv abschätzen.
Das elektrische Netz muss im Gleichgewicht gehalten werden, daher ist die Vorhersage bzw. Steuerung von Produktion und Last wichtig. Die Produktion von Photovoltaikanlagen lässt sich nur sehr bedingt steuern, daher sind Ertragsvorhersagen speziell bedeutsam. Die Prognosen sind umso wichtiger, je mehr die Photovoltaik in einem Versorgungsgebiet zur Stromproduktion beiträgt. Bei einer entsprechend hohen PV-Durchdringung müssen die Netzbetreiber mit geeigneten Massnahmen reagieren, um das Netz im Gleichgewicht zu halten. Mögliche Vorkehrungen sind der Bau von Batteriespeichern und technische Massnahmen wie Blindleistungsregelung oder die Nutzung moderner Transformatoren mit Laststufenschalter (vgl. BFE-Fachartikel ‹PV-Anlagen: Problem und Teil der Lösung›, abrufbar unter: pubdb.bfe.admin.ch/de/publication/download/10104). Hilfreich ist ferner eine ‹kluge› Verbrauchssteuerung: Sie sorgt dafür, dass elektrische Geräte wie beispielsweise Wärmepumpen dann laufen, wenn PV-Strom verfügbar ist.
Noch präzisere Prognosen
Wetterexperten können PV-Erträge heute schon recht verlässlich prognostizieren. So lässt sich die Summe des in Deutschland produzierten Solarstroms für den Folgetag mit einer Genauigkeit (Root Mean Square Error/RMSE) von rund 5 % vorhersagen. Prognostizieren Meteorologen für den kommenden Tag beispielsweise für die Stunde zwischen 11 und 12 Uhr einen bundesweiten Solarertrag von 20 GWh, dann liegt der tatsächliche Ertrag zwischen 19 (– 5 % Abweichung vom Prognosewert) und 21 GWh (+ 5 % Abweichung vom Prognosewert) – dies zwar nicht für jede Prognose, aber für zwei Drittel aller Vorhersagen. Diese Prognosegüte bezieht sich auf das ganze Land; für eine einzelne PV-Anlage ist die Genauigkeit deutlich geringer (+/– 30 bis 40 %). In der Schweiz ist der Prognosefehler tendenziell grösser, weil die Fläche des Landes kleiner ist und die Wetterphänomene topografiebedingt komplexer und damit schwerer vorher-sagbar sind.
Das Fachgebiet der Energiemeteorologie – ein Teilgebiet der Wetterwissenschaften – hat unter anderem das Ziel, die Genauigkeit von Wetterprognosen weiter zu verbessern. Vor drei Jahren hat sich unter dem Dach der Internationalen Energieagentur (IEA) das Expertengremium ‹Solar Resource for High Penetration and Large Scale Applications› mit Fachpersonen aus 21 Staaten konstituiert (vgl. Textbox). Die Expertengruppe unter der Leitung von Jan Remund erarbeitet Berichte zu diversen Fragestellungen im Bereich Solarenergie; eine davon widmet sich dem übergeordneten Ziel, die Verlässlichkeit von Wetterprognosen für PV-Anwendungen zu verbessern, um auf diesem Weg eine sichere und kostengünstige Netzeinbindung von PV-Anlagen zu gewährleisten.
Wolkenkameras im Feldtest
Ein aktuelles Projekt der Expertengruppe widmet sich der Qualität von Wetterkameras. Diese fotografieren den Himmel in kurzen Abständen. Eine Software analysiert die Wolkenbilder und leitet aus den Veränderungen eine Prognose für die Wetterentwicklung der nächsten Minuten ab (vgl. Grafik 04). Bereits heute werden Wolkenkameras z. B. in Südamerika eingesetzt, wo Dieselgeneratoren automatisch gedrosselt werden, wenn hohe PV-Erträge bevorstehen. Im Sommer 2020 wurden sechs verschiedene Kamera-Software-Systeme – alles Prototypen – auf einem Testgelände im südspanischen Almería verglichen. Zwei dieser All Sky Imager (ASI) wurden im Rahmen eines BFE-Forschungsprojekts entwickelt – der eine von Meteotest in Zusammenarbeit mit dem Centre Suisse d›Electronique et de Microtechnique (CSEM), ein zweiter von der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL).
Erste Resultate aus dem Vergleich von vier der sechs ASI-Systeme zeigen, dass die damit erzielten Vorhersagen für die Wetterentwicklung in Prognosezeiträumen von zwei bis drei Minuten wirklich aussage-kräftig sind. Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass die Unsicherheiten bei wolkenlosem Himmel tief sind, obwohl auch hier noch Verbesserungspotenzial gegeben ist. Deutlich höher sind die Unsicherheiten bei wechselhaftem Wetter. Die Unterschiede zwischen den einzelnen ASI-Systemen sind bei diesen Verhältnissen relativ klein. «Ein hybrider Ansatz von Persistenz- und ASI-basierten Vorhersagen kann die Vorhersage wahrscheinlich verbessern», sagt Jan Remund.
Mehr-Tages-Vorhersagen im Vergleich
Ein weiteres Projekt der Expertengruppe ‹Solar Resource› bezog sich auf Prognosezeiträume von Tagen. Dafür werden gemeinhin Modelle der numerischen Wettervorhersage (engl. Numerical Weather Prediction/NWP) herangezogen. Diese Wettermodelle modellieren die zeitliche Veränderung der Erdatmosphäre auf der Basis von Messdaten zahlreicher Wetterstationen und Satelliten. Die Wissenschaftler haben in der Studie fünf NWP-Modelle zur Abschätzung regionaler PV-Erträge verglichen. Eine Teilstudie bezog sich auf Grossregionen in Italien, eine andere auf eine Region in den Niederlanden von der Grösse des Kantons Zürich.
Vier der Modelle arbeiteten mit künstlicher Intelligenz. Die Wetterprognosen sind hier das Ergebnis von maschinellen Lernprozessen. Eine fünfte Methode war «analog», was im vorliegenden Kontext bedeutet, dass die Vorhersagen aus einem Vergleich der aktuellen Wettersituation mit ähnlichen (analogen) Situationen in der Vergangenheit abgeleitet werden. Referenz der fünf Modelle war in der Studie die Persistenz, also eine «Nicht-Prognose», bei der unterstellt wird, das Wetter werde in der Zukunft gleich bleiben, wie es aktuell ist.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie lauten vereinfacht dargestellt: Die Methoden auf der Basis künstlicher Intelligenz bringen tendenziell akkuratere Prognosen hervor; sie sind dem analogen Ansatz aber nicht haushoch überlegen. Die beste Prognose erhält man durch die Kombination mehrerer Modelle. Und: Je grösser der Landstrich, auf den sich die Prognose bezieht, desto genauer ist sie. Bestätigt hat sich zudem, dass alle fünf Prognosemodelle klar besser abschneiden als die «Nicht- Prognose».
Solarstrom als Hauptpfeiler des Energiesystems
Die schwankenden Erträge von Sonnen- und Windenergie werden von Kritikern bisweilen als Argument gegen den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien ins Feld geführt. «Das ist ein unproduktiver Ansatz», sagt Jan Remund, «wir denken in unserer Expertengruppe aktuell vielmehr in die Richtung, wie die Photovoltaik so ausgebaut werden kann, dass sie zu einer Hauptträgerin des Energiesystems wird». Der Berner Meteorologe bezieht sich damit auf das Konzept der «firm PV power», was auf Deutsch übersetzt so viel bedeutet wie «verlässliche Versorgung mit Solarstrom». Vordenker dieses Ansatzes ist Dr. Richard Perez, Forscher an der State University of New York in Albany/Bundesstaat New York und Mitglied des IEA-Expertengremiums.
Perez untersucht die Bedingungen, die für eine möglichst breite Nutzung der Solarenergie gegeben sein müssen. Er hat entsprechende Studien für den US-Bundesstaat Minnesota durchgeführt, der im Norden der USA liegt und in welchem Photovoltaik bisher nicht breit genutzt wird. Seine Berechnungen zeigen, dass es aus wirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll ist, die PV-Produktion stark auszubauen – selbst wenn die Solarkraftwerke dann in Zeiten von Produktionsüberschüssen zeitweise abgeregelt werden müssen. Die kalkulierte Planung von Überschusskapazitäten ist ein Gedanke, mit dem sich Anhänger der Solarenergie bisweilen nur schwer anfreunden können, wie Jan Remund aus eigener Erfahrung weiss: «Ich befasse mich seit Jahrzehnten mit Photovoltaik und ich weiss jede Kilowattstunde Solarstrom zu schätzen. Doch wenn wir die Photovoltaik wirklich breit nutzen wollen, müssen wir von dem alten Denken wegkommen, dass wir keinen Solarstrom ‹vernichten› dürfen. Im Gegenteil: Wir brauchen sehr grosse Produktionskapazitäten, um damit die Grundlast der Stromversorgung zu decken.»