In Basel und in Schlieren ist es bereits vollbracht. Im Februar 2019 wurde in der Rheinstadt der Neubau des auf universitäre Altersmedizin spezialisierten Felix Platter Spitals eröffnet. Noch etwas früher war das neue Spital Limmattal in Schlieren (ZH) fertig: Der Neubau konnte im September des vergangenen Jahres in Betrieb genommen werden. Der Effort blieb nicht unbelohnt: Rund ein halbes Jahr später, im Juni 2019, konnte das Projektteam den Real Estate Award in der Kategorie «Projektentwicklung» entgegennehmen.
20 Milliarden Investitionen
So weit wie in den beiden Städten sind andere Spitäler noch nicht. Viele Projekte befinden sich derzeit im Bau, andere in der Planung. Auf rund 20 Milliarden Franken schätzte ein gemeinsames Themenpapier von PwC, IttenBrechbühl und Elsener + Partner AG im Jahr 2016 das anstehende Investitionsvolumen im Bereich der Gesundheitsbauten in der Schweiz. Eine riesige Summe, die in den drei Jahren seit der Publikation des Themenpapiers nicht kleiner geworden sein dürfte, wie Autor Christian Elsener bestätigt. «Viele Spitäler haben damals Liegenschaften übernommen, die sich nicht in einem tadellosen Zustand befanden», sagt er. «Nachdem bei verschiedenen Spitälern das Eigentum von den Kantonen auf die jeweiligen Spitalgesellschaften übergegangen ist, haben diese Um- oder Neubauprojekte aufgegleist, um die baulichen Missstände zu beheben.» So gebe es heute kaum mehr eine öffentliche Spitalgesellschaft ohne ein entsprechendes Investitionsvorhaben, so Elsener.
Der Bau- und Wirtschaftsingenieur ist Experte für Infrastruktur- und Immobilienmanagement mit Expertise im Gesundheitswesen und im öffentlichen Sektor und zählt dabei auch die meisten Spitalgesellschaften zu seinen Kunden. Wie erlebt er die aktuelle Situation bei seinen Kunden? «Sehr viele Investitionsvorhaben sind weiterhin primär auf stationäre Leistungen ausgerichtet, welche auf dem Spitalareal erbracht werden», sagt er. Doch der Trend «ambulant vor stationär» (AVOS) verlangt nach anderen Infrastrukturen an zentraler Lage. Das ambulante Geschäft ist ein völlig anderes Geschäftsmodell mit einer tendenziell niedrigeren Marge und muss dementsprechend effizient organisiert sein. «Weil die ambulanten Konsultationen und Eingriffe schneller ablaufen, das heisst weniger Zeit brauchen, braucht es mehr Fälle pro Tag, damit alles ausgelastet und somit wirtschaftlich ist. Die deutlich tiefer angesetzten Tarife verlangen nach tieferen Infrastrukturkosten.»
Dies wirkt sich auch auf die bauliche Infrastruktur aus. «Bei einer ambulanten Behandlung – sofern sie überhaupt noch auf dem Spitalareal stattfindet – verbringt man nur noch ein paar Stunden im Spital», so der Experte. «Dementsprechend braucht es eine andere Infrastruktur.» Konkret: Es braucht weniger Patientenzimmer, dafür beispielsweise Warteräume oder sonstige Angebote, mit denen sich die wartenden Patienten die Zeit bis zur Behandlung vertreiben können, ohne dass sie dabei dem Spitalpersonal in die Quere kommen.
Silodenken aufbrechen
Einen Beitrag dazu leisten auch smarte Systeme, die unter dem Begriff «Ambient Intelligence» zusammengefasst werden. Sie können unter anderem dafür eingesetzt werden, Gegenstände oder Patienten zu lokalisieren, Personenströme innerhalb des Gebäudes zu verfolgen, die Zugangs- und Sicherheitskontrollen zu verbessern, die Beschaffung von Gütern zu optimieren oder die Anlagen und Geräte vor dem effektiven Reparaturbedarf zu warten.
Doch die Technik ist nur ein Aspekt. Für Nicole Gerber vom Institut für Facility Management der ZHAW ist klar, dass es für die erfolgreiche Umsetzung eine digitale Kultur der Organisationen und der digitalen Kompetenz aller Stakeholder braucht. «Dafür gibt es bei den Gesundheitsorganisationen zwar zunehmend ein Bewusstsein, doch besteht insgesamt noch grosser konkreter Umsetzungsbedarf», sagt die Wissenschaftlerin, deren Forschungsschwerpunkte unter anderem im Spitalorganisationsmanagement und der Spital-IT liegt.
Ein Grund dafür, dass das Gesundheitswesen in digitaler Hinsicht anderen Sektoren hinterher hinkt, liegt in ihren Augen auch in einem Rollenkonflikt: «In der Vergangenheit war der Hauptfokus der Leistungserbringung im Gesundheitswesen sehr stark auf den medizinischen Kontext ausgerichtet und somit von Medizinern geprägt, welche im Allgemeinen ICT eher als Behinderung denn Hilfs- mittel empfanden», erklärt sie. «Mit der Digitalisierung kann die ICT nicht mehr ignoriert werden, nun müssen entsprechend fehlende Investitionen in Infrastruktur, Personal und Know-how nachgeholt werden.» Damit die Spitäler die digitale Barriere brechen können, braucht es laut Gerber die Bereitschaft, intra- und interdisziplinär zusammenzuarbeiten – intern in der Organisation wie auch mit externen Partnern wie Hochschulen oder Start-ups. «Dies bedingt, dass das hierarchische Silodenken aufgebrochen und eine positive Fehlerkultur gepflegt wird.» Ausserdem müsse systemisches und vernetztes Denken bewusst gefordert und gefördert werden.
Klar definiertes Betriebskonzept
Die Teamarbeit stand auch im Neubau in Schlieren im Fokus. «Um ein solches Projekt innerhalb der Vorgaben stemmen zu können, muss ein kompetentes und leistungsfähiges Team konstituiert werden, bei dem alle die gleichen Ziele haben», sagt Stéphane Bézille, Gesamtprojektleiter Neubau Spital Limmattal bei Losinger Marazzi, die als Totalunternehmerin für die Planung, Realisierung, Funktionalität, Kosten und den Terminplan verantwortlich war. «Ausserdem braucht es ein klar definiertes Betriebskonzept, das die Abhängigkeiten sowie die Betriebsprozesse des Spitals definiert.»
Bézille streicht weiter die Bedeutung der Kommunikation hervor. «Als Totalunternehmerin waren wir für unseren Kunden die einzige Ansprechpartnerin; dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser nicht laufend und transparent informiert werden muss.» Dank einer gemeinsamen Risikoanalyse und einem feinschichtigen Reporting habe das Spital während allen Phasen begleitet werden können. Rückblickend hat sich die Organisation im Projektteam laut Bézille bewährt. Ebenfalls streicht er die Vorteile heraus, die sich in der Planung und Realisierung mit BIM ergeben haben: «Die Qualität der Planung hat zugenommen, es gab weniger Koordinationsfehler, so konnten wir enorm viel Zeit gewinnen.» Für den Gesamtprojektleiter gewinnt so die Digitalisierung immer mehr an Wichtigkeit. «Themen wie ICT gilt es künftig ganz am Anfang eines Projekts zu betrachten.»
Erfahrung höher gewichten
Gleicher Meinung ist Magnus Willers: «Wir sehen einen deutlich höheren Bedarf an ICT- und Technologie-Know-how im Planungsteam als noch vor zehn Jahren», sagt der stellvertretende Geschäftsführer im Planungs- und Beratungsunternehmen Jobst Willers Engineering AG. Dieses ist seit 30 Jahren im Bereich Energie- und Gebäudetechnik tätig und legt dabei einen Fokus auf komplexen Hochbau, Pharma, Labore und Spitäler. So hat das Unternehmen im Mai dieses Jahres den Forschungsneubau Sitem auf dem Inselspital-Campus in Bern den Nutzern übergeben und ist aktuell bei der neuen Spitalpharmazie des Kantonsspitals Aarau, dem Neubau des Zürcher Kinderspitals oder dem Neubau des Herz-Neuro-Zentrums in Münsterlingen engagiert.
«Wir gehen davon aus, dass das Internet der Dinge die Gesundheitsbauten noch viel stärker durchdringen wird, als wir es uns heute vorstellen können», sagt Willers, der auch bei seinen Kunden eine vermehrte Nachfrage nach smarten Lösungen ortet. Damit diese in komplexen Projekten wie dem Bau eines Spitals umgesetzt werden können, ist es für ihn aber zwingend, die entsprechende Fachkompetenz bereitzustellen. «Wir können nicht ernsthaft behaupten, dass es für einen technischen Gesundheitsbau ausreicht, schon mal einen Kindergarten geplant und gebaut zu haben», spricht er Klartext. Aus diesem Grund sei die Erfahrung und Expertise bei der Zusammenstellung der Teams höher zu gewichten. Ausserdem müsse bei einem Technologieprojekt wie beispielsweise einem Operationstrakt zwingend ein technischer Koordinator eingesetzt werden. Hier vermisst Willers heute in den häufig gewerblich geprägten Teams eine konsequente Haltung. Ausserdem sieht er das Potenzial der Digitalisierung häufig noch unterschätzt. «Hier fehlt teilweise einfach noch der Mut zum grossen Sprung.»
Wissen einholen
Dieser Sprung muss aber gewagt werden. Denn – in dieser Frage sind sich die Experten weitgehend einig – das grösste Risiko für Spitäler besteht vor allem darin, sich dem Trend zu verweigern, kein Risiko eingehen zu wollen und das Bauprojekt auf die konventionelle Infrastruktur auszurichten.
Dabei gilt es auch, auf bestehende Erfahrungen zurückzugreifen und daraus
zu lernen. Stéphane Bézille von Losinger Marazzi plädiert dafür, als Erstes das Wissen des Spitals einzuholen. «Es ist unabdingbar zu verstehen, wie das Spital funktioniert und wie es in Zukunft funktionieren möchte», so der Gesamtprojektleiter des Spitals Limmattal. «Transparenter Dialog und partnerschaftliche Zusammenarbeit sind dabei eine Voraussetzung, um die Herausforderungen solcher Projekte bewältigen zu können.»