Wenn man über eine Sache nicht redet, ist sie nicht geschehen. Nur wenn wir sie in Worte kleiden, geben wir den Dingen Wirklichkeit.» Dieses Bonmot des irischen Schriftstellers Oscar Wilde bringt es sinngemäss auf den Punkt. Auch wenn man von intelligenten Gebäuden spricht, gehen die Wirklichkeiten respektive die Meinungen, was darunter zu verstehen ist, weit auseinander. Die einen beziehen sich auf das Energiemanagement eines Gebäudes, das autark von äusseren Einflüssen den Bewohnerinnen und Bewohnern die notwendige Wärme und den notwendigen Strom liefert.
Andere verbinden mit dem Begriff das «Internet of Things», wo sich Dinge und Geräte in immer schnelleren und höheren Datenfrequenzen kombinieren lassen. Wiederum andere haben die Gebäudeautomation oder die Gebäudeleittechnik vor ihrem geistigen Auge, wenn sie vom intelligenten Gebäude reden. Wann immer heute von Smart Home die Rede ist, gehen die Ansichten und Meinungen auseinander, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Doch was macht ein Haus smart? Wann wird ein Gebäude zu einem Smart Home?
Bedienung mittels Apps
Für René Senn, Leiter der Fachgruppe Intelligentes Wohnen des Verbands Gebäude Netzwerk Initiative (GNI) und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Raum Consulting, ist ein Smart Home dann eines, wenn eine Wohnung oder ein Haus mit aktuellen, am Markt verfügbaren elektronischen Technologien ausgerüstet und vernetzt ist. So einfach? «Sobald keine konventionelle Technik mehr eingebaut ist, die nicht vernetzt ist», ist es für ihn ein Smart Home. Das Schöne daran sei, ergänzt Senn, dass sich jeder etwas Eigenes darunter vorstellen kann.
«Ich bin mir sicher, dass der Fachwelt das Smart Home mittlerweile ein Begriff ist. Die Technologie ist vielfältig, und so kann sich jeder sein Smart Home so zusammenfügen, wie er gerne möchte.» Für die einen sei es Multimedia, für andere wiederum das Energiesparen und nochmals für andere das Steuern von Licht und Jalousien. «Ein Smart Home ist deshalb ein ganz normales Haus, das nicht mit museumsreifer Technologie ausgestattet wurde.»
Vor allem die Branche der Gebäudeautomation, die schon seit über 20 Jahren gebäudetechnische Anlagen steuert, regelt, überwacht und aufeinander abstimmt, beansprucht eine Definition des Begriffs Smart Home für sich. Spätestens seit dem Projekt Futurlife in Hünenberg, das im Jahr 2000 das erste medienwirksame Smart Home in der Schweiz war. Es umfasste bereits damals umfassende Gebäudeautomation auf Basis KNX.
«Eine moderne Gebäudeautomation ist unerlässlich, wenn man in einem Gebäude Energie sparen, die Betriebskosten senken und den Komfort der Bewohnerinnen und Bewohner steigern möchte», sagt Pierre Schoeffel, Geschäftsführer der Gebäude Netzwerk Initiative (GNI). «Intelligente, vernetzte Wohnungen sind effektiv nichts Neues», erklärt Schoeffel, und doch stecke hinter dem Begriff Smart Home etwas Neues. Nämlich die Idee der Ankopplung ans Smartphone und die Bedienung der Wohnung mittels einer Applikation.
Schlüssel zum Erfolg: die Vernetzung
«Die Digitalisierung hat schon zahlreiche Bereiche des Lebens auf den Kopf gestellt. Nach der Musik, der Film- und der Verlagsbranche erfasst sie nun das Bauen und Wohnen», schreiben Karin Frick und Daniela Tenger in der Studie für das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) «Smart Home 2030» aus dem Jahre 2015 in ihrer Zusammenfassung. Sie kommen zum Schluss, dass Smart Home die Zukunft und die Vernetzung der Schlüssel zum Erfolg seien. Es ermögliche, das Zuhause völlig neu zu organisieren, zu steuern und zu kontrollieren.
«Smart Home» heisst die Lösung der Zukunft, mit dem bereits zahlreiche Anbieter Geld zu verdienen versuchen. Auch branchenfremde Akteure wie Samsung, Google oder Apple mischen den Wohn- und Baumarkt auf. Energiezukunft heisst nicht nur Strom sparen, betonen die zwei Autorinnen in ihrer Studie, sondern intelligente Kühlschränke und automatisierte Lichtsteuerungsanlagen seien erst der Anfang.
Die Liste der digitalen Lebenshilfen, die bereits auf dem Markt sind, ist lang und wohin der Weg führen könnte, zeigen sie in ihrer Studie auf. «Die wahre Revolution geht weit über heutige Smart-Home-Devices hinaus. Sie findet im Hintergrund statt und bewirkt einen Strukturwandel.» Entlang der Wertschöpfungskette – von der Planung über den Bau bis hin zu Vermietung, Unterhalt und Renovation eines Gebäudes – entstünden neue Organisationsformen, neue Funktionen und somit auch neue Märkte.
Spielwiese: digitales Bauen
Auf dem Areal der Empa im NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) in Dübendorf probt man diesen Strukturwandel im Echtzeitmodus. NEST ist ein modulares Forschungs- und Innovationsgebäude, in dem nicht nur neue Materialien und Energieströme untersucht, sondern auch das Verhalten der Benutzer beobachtet wird. NEST besteht aus einem fixen Gebäudekern und drei offenen Plattformen, auf denen Module ein- und ausgebaut werden. Eines dieser Module nennt sich DFAB House, kommt auf die oberste Plattform von NEST zu liegen, ist dreistöckig und das weltweit erste Haus, das weitgehend mit digitalen Prozessen entworfen, geplant und gebaut werden soll.
Das innovative Bauprojekt wird von Forschenden der ETH Zürich im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation gemeinsam mit Wirtschaftspartnern realisiert. Ab Sommer 2018 wird das DFAB House mit einer Nutzfläche von rund 200 Quadratmetern als Wohn- und Arbeitsort dienen. Auch das Unternehmen Digitalstrom ist mit von der Partie, denn digitale Technologien werden zum Einsatz kommen, wenn das Haus nach der Fertigstellung bewohnt sein wird.
«Die Digitalstrom-Smart- Home-Plattform ermöglicht, dass Geräte und Services ganz unterschiedlicher Anbieter aus den verschiedenen Domänen von Gebäudetechnik, Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik zusammenspielen und gesteuert werden», erklärt Balz Halter, Verwaltungsratspräsident von Digitalstrom, den Entwicklungsprozess. Im DFAB House werde man dieses Zusammenspiel zusätzlich mit cloudbasierten kognitiven Services testen. «Es wird erforscht, inwieweit Standardanwendungen oder auch neuartige Applikationen von bestimmten Zielgruppen genutzt und geschätzt werden.»
Am Puls bleiben
Welches Potenzial die Vernetzung hat, zeigten in der jüngeren Vergangenheit die Einführung der Telefonie, des Personal Computers oder Smartphones. «Der Trend der umfassenden Gerätevernetzung ist unter dem Begriff ‹Internet of Things› bereits in vollem Gang», meint Halter und ergänzt, dass cloudbasierte Systeme den Unternehmen wie auch den Endkunden neue, ungeahnte Möglichkeiten bieten. «Industrie 4.0 ist eine Ausprägung davon.» Im Bereich vernetzter Gebäude wird ein enormes Wachstum erwartet mit neuartigen Produkten und Geschäftsmodellen. Das treibt etablierte wie junge, kreative Unternehmen an, die Vernetzung voranzutreiben und innovative Services auf den Markt zu bringen.
Auch für Pierre Schoeffel vom GNI ist es keine Frage, dass sich das Smart Home durchsetzen wird. Der Nutzen liegt für ihn nicht nur in der Energieeinsparung und in der Reduktion des CO2-Ausstosses. «Im Gebäude ist es wichtig, dass zum Beispiel die Heizung- und Klimaanlage aufeinander abgestimmt sind, damit sie nicht gegeneinander arbeiten.» Es sei sinnvoll, einen Präsenzmelder zu nutzen, der primär das Licht steuert, um anderen Gewerken zu signalisieren, dass ein Raum besetzt ist.
Schoeffel vergleicht den Vorgang mit der Atmung des Menschen. «Bei Sauerstoffmangel wäre der Körper schnell in einem schlechten Zustand.» Wie im menschlichen Körper gehe es darum, dass alle technischen Funktionen eines Gebäudes optimal betrieben werden, um einen hohen Komfort zu gewährleisten, und dies mit dem niedrigsten Energieverbrauch. Nur aufeinander abgestimmte Gewerke führen zu zufriedenen Nutzern, zu nachhaltigen Gebäuden und schlussendlich zu Kosteneinsparungen über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes.
Nutzen der Vernetzung
Für René Senn ist Smart Home nicht Teil der Zukunft, sondern Realität. «Wenn wir formulieren, dass Smart Home die Zukunft gehört, dann bedeutet das für mich, dass dies jetzt noch nicht so ist.» Das sei falsch wie auch der allgemein vertretene Standpunkt, dass die Smart-Home-Technologie künftig das Leben der Bewohner und Nutzer schwer machen werde. «Warum auch?», meint Senn. Im Gegenteil: «Das ist ja gerade die Aufgabe des Smart Home: mehr Komfort, mehr Energieeffizienz, was ohne Technologie und Vernetzung, die im Hintergrund intelligent arbeitet, gar nicht möglich ist.»
Die Fachgruppe Intelligentes Wohnen der GNI predigt dies gemäss eigenen Angaben seit 15 Jahren, und so ist Smart Home für Senn seit langem bereits Alltag, zumal er seit über 16 Jahren selber in einem Smart Home wohnt. Nicht die technologischen Anforderungen stünden im Vordergrund der Diskussion. Er spricht viel lieber vom Nutzen der Vernetzung, das ein Intelligentes Haus den Nutzern bieten kann. «Wer spricht schon von den technologischen Anforderungen, wenn das ABS bei seinem Auto seine Dienste tätigt.» Das sei beim Auto heute so selbstverständlich wie der elektrische Scheibenheber.
«Die Vernetzung ist schon lange bei den Herstellern angekommen. Jetzt gilt es, diese zunehmend netzwerkbasierende Art der Kommunikation zu begreifen und geeignete Produkte zu entwickeln», sagt Senn. Diese müssen zudem sicher sein, und der Datenschutz sollte berücksichtigt werden.
Apps und Dienste stiften Nutzen
Die intelligente Vernetzung ist für Balz Halter die Voraussetzung dafür, dass Geräte, Sensoren und Aktoren zusammenwirken. Die Vernetzung sieht er als Vorteil für die Nutzer. «Für die Bewohnerinnen und Bewohner wird das Haus komfortabler, schöner und passt sich den sich ändernden Bedürfnissen an.» Dieselbe Wohnung diene damit Familien mit Kindern, Einzelhaushalten oder betagten Menschen, wenn Unterstützung und Pflege angesagt seien. Ein und dasselbe Gerät kann für verschiedene Anwendungen genutzt werden. Interaktionen können von beliebigen User Interfaces erfolgen.
«Von Tastern an der Wand, Schnurdimmern an der Lampe, von Mobiles oder aber Sprachassistenten wie Amazon Alexa oder Google Home.» Halter vergleicht es mit der Ausbreitung von Smartphones, wo jeder diejenigen Apps herunterlädt, die ihm persönlich auch wirklich dienen. «Nicht die Vernetzung per se, sondern die darauf laufenden Applikationen und Dienste stiften Nutzen im Bereich des Komforts, der Sicherheit und der Effizienz. Jeder entscheidet für sich, was er einsetzen will und wo er für sich einen Gewinn sieht.»
Ergänzt mit kognitiven Services sieht Halter ungeahntes Potenzial. Vor allem deren Einsatz in einer alternden Gesellschaft dürfte enormen volkswirtschaftlichen Nutzen stiften, meint Halter. «Es erlaubt den Menschen, länger in ihren Wohnungen zu leben, ohne personalintensive Unterstützung.»
Verständnis schaffen
«Egal, wie die Technik letztendlich genannt wird, wir stellen immer wieder eines fest: Familien, die ein intelligentes oder smartes Haus besitzen oder bewohnen, sind begeistert von den Funktionen», betont Pierre Schoeffel, dessen Verband sich mit ihrer Fachgruppe Intelligentes Wohnen für die durchgehende Vernetzung des Zuhauses, für mehr Komfort, Energieeffizienz und Sicherheit einsetzt. Schon heute werden Energiedaten in einem zentraler Rechner gespeichert, und die gemessenen Werte den Nutzern zur Verfügung gestellt. Das schärfe das Bewusstsein, sagt Schoeffel.
Die Bewohner haben heute keine Vorstellung von ihrem Verbrauchsverhalten, geschweige denn vom Optimierungspotenzial, ergänzt der Geschäftsführer der GNI. Erst die Visualisierung schaffe ein neues Verständnis für Verbrauchsdaten. Intelligente Gebäude generieren auch ausserhalb des Energiemanagements einen Mehrwert. Zum Beispiel bei der wachsenden Elektromobilität, bei der das Suchen, Freischalten und Bezahlen verfügbarer Ladestationen heute noch jeden E-Autofahrer vor grosse Herausforderungen stellt. Mit verbundenen Messsystemen können verfügbare Ladestationen auch externen Personen zur Verfügung gestellt werden.
Die Vernetzung ist auch für Balz Halter von Digitalstrom der Schlüssel zum Erfolg. «Unsere Wohnungen werden in Zukunft weiterhin physisch sein. Die Digitalisierung wird in unseren Häusern Einzug halten und das Wohnen erleichtern und sicherer machen, so wie wir es von anderen Technologieentwicklungen her kennen.» Künftig, so die Autorinnen der GDI-Studie, werden Computerprogramme Wohnungen steuern oder organisieren. Digitales Wohnen schaffe Transparenz, mehr Sicherheit und Immobilien lassen sich übermorgen intelligenter bewirtschaften als bislang.
Hält man sich diese Tendenzen der komfortableren und schöneren Welt des Wohnens vor Augen, lässt sich eine Definition des Begriffs Smart Home, auch wenn man noch so viel darüber spricht, wohl künftig nicht klar und eindeutig eingrenzen. Die Entwicklung ist denn auch in vollem Gange.