Smart Home

Lüftungszentrale

Flexible, fernwartbare Raumlufttechnik steht in Corona-Zeiten hoch im Kurs. (Foto: Michael Staub)

Flexibler dank Intelligenz

Smarte Gebäude können rasch an veränderte Umstände angepasst ­werden. Hilfreich ist dies zum Beispiel bei der Klimatisierung und Lüftung oder bei der Indoor-Navigation. Zuweilen sind die technischen Möglichkeiten auch schon weiter fortgeschritten als die aktuellen Normen.

Wie wichtig eine moderne Gebäudetechnik ist, zeigte die Corona-Pandemie im ­Frühling dieses Jahres. Viele Selbstverständlichkeiten wurden über Nacht infrage gestellt, so auch die Klimatisierung und Lüftung von Gebäuden. Ob und wie stark die Viren durch die Raumklimatisierung verbreitet werden können, ist noch nicht klar. Umso deutlicher war aber der Wunsch vieler Gebäudebetreiber, die Risiken so schnell wie möglich zu minimieren. «Eine schnelle Reaktionszeit ist bei HVAC-­Systemen wichtig. Unsere Kunden schätzten insbesondere die Möglichkeit, Einstellungen und Parameter ihrer Anlagen schnell und sicher aus der Ferne zu ändern. So konnten sie gezielte Anpassungen vornehmen, um die Verbreitung des Virus zu minimieren», sagt Turan Babuscu, Head of Product Line Comfort bei der Siemens Schweiz AG.

Fernwartung als Trumpf

Zu diesen Anpassungen gehörten zum Beispiel eine Reduktion der Luftbewegung innerhalb des Gebäudes, ebenso die ­Reduktion der Luftmenge oder des ­Feuchtigkeitsgehalts. In einigen Fällen wurde zudem angestrebt, anstelle der seitlichen Luftströmung eine Strömung von oben nach unten zu erreichen. «So kann das Risiko einer grossflächigen ­Virenverbreitung reduziert werden», sagt Babuscu und merkt an: «Mit dezentralen und intelligenten Raumautomations-­peripherien wie VAV oder intelligenten Klappen wäre das natürlich einfacher und schneller möglich.»

Für einige Facility Manager dürfte der Virus ein Weckruf gewesen sein, um ihre bestehenden HVAC-Gewerke mit einer neuen Steuerung zu ergänzen. «Der Aufwand für An­passungen kann sehr unterschiedlich ausfallen. Nützlich sind Fernzugriff, die Möglichkeit zum Speichern von Parametern oder die klare Trennung verschiedener Zonen und Segmente», sagt Turan ­Babuscu.

Die automatische Messung von Eck­werten wie Temperatur, Luftfeuchte oder CO₂-Gehalt der Luft gehört bei modernen Sitzungszimmern zum Standard. Ebenso werden Lüftung, Heizung oder Beleuchtung nur dann hochgefahren, wenn sich Personen im Raum aufhalten. Ergänzend zur bisherigen binären Information ­(«Zimmer besetzt/frei») könnte nun die Belegungsdichte interessant werden. «Mit der passenden App sieht man zum Beispiel auf dem Smartphone, welche Bereiche man eher meiden sollte, weil sie schon stark frequentiert sind», erläutert Babuscu.

Als Folge der Präventionsmassnahmen können sich auch Synergien zwischen Gebäudeautomation und Zutrittskontrolle ergeben. Denkbar ist zum Beispiel, den Zutritt zu kritischen Bereichen zu sperren, sobald die Maximalzahl an Personen ­erreicht ist. Ebenso ist es denkbar, beim Bekanntwerden einer Infektion mithilfe der Badge-Historie zu eruieren, wer mit der oder dem Infizierten in denselben Räumen anwesend war.

Navigation im Gebäude

Während moderne Gebäudeautomationssysteme vor allem im Neubau Verwendung finden, gibt es auch Intelligenz-Booster für Bestandsgebäude. Ein Beispiel dafür ist die Indoor-Navigation. Sie liefert eine präzise Orientierung innerhalb von Gebäuden oder Arealen, so etwa bei Flughäfen, Bahnhöfen, Museen, Shoppingcentern oder Spitälern. Während die Daten des GPS-Navis von Satelliten stammen, übernehmen bei der Indoor-Navigation sogenannte Beacons diese Aufgabe. Ein Beacon (engl. «Leuchtturm» oder «Signalfeuer») ist ein ortsfester Sender. Als Protokoll wird Bluetooth Low Energy (BLE) verwendet, was sehr lange Batterielaufzeiten ermöglicht.

«Bei der Indoor-Navigation empfehlen wir ein ­Sendeintervall von 300–500 Millisekunden. Damit können Batterielaufzeiten, abhängig von der Batteriekapazität, etwa vier bis zehn Jahre betragen», sagt Katja Streich, Leiterin Marketing bei Infsoft. Der deutsche Hersteller bietet seit bald 15 Jahren Dienstleistungen rund um die Indoor-Positionsbestimmung an. Gemäss seinen Erfahrungen sollten die Beacons etwa alle sechs bis neun Meter platziert werden. Dabei müssen die Abschirmungscharakteristiken der unterschiedlichen Materialien berücksichtigt werden. BLE-Signale werden zum Beispiel durch Holz nur wenig, durch Metall hingegen stark gedämpft.

Die Signale der BLE-Beacons können vom Smartphone empfangen und mithilfe einer App ausgewertet werden. Die Signalstärke gibt der App Aufschluss über die Entfernung zum Sender, mittels Triangulation mehrerer Sender kann die genaue Position eruiert werden. So verfügt die App über genügend Informationen, um Benutzerinnen und Benutzer wie ein klassisches Navi zu lotsen. Das Setting ist allerdings viel kleinräumiger. Statt «In dreihundert Metern links abbiegen» lautet die Anweisung eher «Jetzt rechts gehen». Die Umsetzung benötigt relativ wenig Zeit.

Laut Katja Streich von Infsoft können Standard­lösungen in wenigen Wochen entwickelt werden: «Für das Helios Klinikum in Erfurt haben wir innerhalb von acht Wochen eine funktionsfähige Anwendung mit App für iOS und Android sowie für Touchscreen-­Kioske entwickelt.» Ein Update wird ­ungefähr ein- bis zweimal pro Jahr empfohlen.

Flexible Fluchtwege

Die Orientierung innerhalb eines Gebäudes wird im Ereignisfall nochmals wichtiger. Gerade bei Bränden sind klare, sicher markierte Flucht- und Rettungswege zentral. Normale Sicherheitszeichenleuchten zeigen jedoch immer in dieselbe Richtung, auch dann, wenn es ausgerechnet vor dem Notausgang brennt oder ein Rettungsweg verqualmt ist. Um solche Situationen zu vermeiden, gibt es das Konzept der dynamischen Fluchtweglenkung. Diese kennt verschiedene Szenarien für die Evakuierung, zum Beispiel «alle Personen über den normalen Fluchtweg evakuieren» oder «alle Personen über den alternativen Fluchtweg evakuieren».

Den Entscheid über die konkrete Routenwahl fällen ­Menschen, etwa das Sicherheitspersonal im Gebäude-Leitstand. Theoretisch kann die dynamische zur adaptiven Fluchtweglenkung ausgebaut werden. Aufgrund von Sensoren würden dann gefährliche ­Fluchtwege automatisch gesperrt und Alternativen signalisiert.

«Die Technik für solche Systeme ist schon länger vorhanden. Allerdings gibt es in der Schweiz keine Normengrundlage für adaptive Fluchtweglenkung», sagt Markus Christen. Er ist Vorsitzender der Fachgruppe Notbeleuchtung bei der Schweizerischen Licht Gesellschaft (SLG). Bei Gebäuden mit hoher Personenbelegung muss gemäss den schweizerischen ­Brandschutzvorschriften eine Risiko­analyse erstellt werden. Davon wird ein Brandschutzkonzept abgeleitet, und zum Erreichen der definierten Schutzziele werden wiederum bestimmte Massnahmen getroffen.

Um etwa das Schutzziel «sichere Fluchtwege» zu erreichen, sind norm­gerechte Sicherheitszeichen notwendig. Doch wie passen dynamische Rettungszeichen ins Konzept? «Bei der dynamischen oder auch bei der adaptiven Flucht­weglenkung braucht es letztlich je­manden, der entscheidet. Es geht also um den operativen Brandschutz und damit um die Frage, wer die Verant­wortung übernimmt», erläutert Markus Christen. ­Weniger die «Intelligenz» des Gebäudes ist also die Frage, sondern die konkreten Folgen einer technischen ­Weichenstellung.

Notruf am Handgelenk

Zur Vision des smarten Gebäudes im weiteren Sinne gehört auch das «Ambient Assisted Living» (AAL). Unter diesem Namen wurde zum Beispiel das Ausrüsten von Alterswohnungen mit Sturzsensoren untersucht. Die Idee dahinter: Sobald jemand stürzt, schlägt das Gebäude Alarm und stellt notfalls die Verbindung zu ­Spitex oder Ambulanz her. Um Gebäude mit Sturzerkennung oder spezielle ­Inaktivitätssensoren für Senioren ist es allerdings ziemlich ruhig geworden.

Denn die entsprechende Technologie passt heute in eine Smartwatch. So gibt es zahlreiche «Notruf-Uhren» mit ­ein­gebauter Ortungsfunktion und ­Zwei-­Wege-Kommunikation. Es ist ­vdenkbar, dass Smartwatches in Zukunft auch eine eingebaute Sturzdetektion umfassen. Denn ein Sturz ist im Prinzip lediglich eine starke negative Beschleunigung mit ­abruptem Stop.