Smart Home

(Bild: Getty Images)

In den Liegenschaften Lindenpark und Schweighof in Kriens unterstützt eine «Wohnassistentin» die Bewohnerinnen und Bewohner bei alltäglichen Anliegen. (Bild: Spitex Kriens)

«Anne» bietet gezielt und ausschliesslich Funktionen, die ältere Menschen in ihrem Alltag unterstützen. (Bild: HSLU)

Prof. Dr. Sabina Misoch mit NAO: Das IAF untersucht den Einsatz des humanoiden Roboters, um ältere Menschen zu Bewegungs­übungen zu motivieren. (Bild: OST)

Technologien für mehr Autonomie im Alter

Seit zirka 15 Jahren wird an den Schweizer Hochschulen im Bereich der technischen Assistenzsysteme zur Unterstützung von Menschen im Alter oder mit einem Handicap geforscht. Wir stellen aktuelle Forschungsprogramme und Entwicklungen vor.

Ambient Assisted Living oder Active Assisted Living (AAL) ist eine Form des intelligenten Wohnens, das die Bedürfnisse von älteren oder körperlich eingeschränkten Menschen ins Zentrum rückt. Deren Lebensqualität in den eigenen vier Wänden so komfortabel und sicher wie möglich zu erhalten, ist eine grosse Herausforderung für Politik und Gesellschaft. In den letzten zehn bis 15 Jahren wurde viel Geld in die Forschung und Entwicklung solcher Systeme und Lösungen investiert. Doch die meisten dieser Innovationen waren auf dem Markt bislang wenig erfolgreich. Dafür gab es viele Gründe, zum Beispiel eine ungenügende Bedienbarkeit der technischen Lösungen, die Sorge um die Verletzung der Privatsphäre, hohe Anschaffungs- und Betriebskosten etc. Aktuelle Forschungsprojekte zeigen, wie Anwendungsbarrieren überwunden werden können.

Dem demografischen Wandel entgegentreten

Anfang dieses Jahres wurde gemeinsam mit der Universität Genf, der Universität Zürich, der Berner Fachhochschule, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Künste Südschweiz und dem Kompetenzzentrum Demenz der Ostschweizer Fachhochschule (OST) das Projekt AGE-INT (Internationale Expertise der Schweiz für «Innovative Lösungen für eine alternde Gesellschaft») lanciert. Federführend ist das Institut für Altersforschung (IAF) der OST. In seiner Grössenordnung und Komplexität dürfte das Projekt in der Schweiz einmalig sein. Insgesamt steht ein Budget von rund sieben Millionen Franken zur Verfügung, das zur Hälfte durch den Bund und zur Hälfte durch Eigenmittel der involvierten Hochschulen finanziert wird. Es sollen gemeinsam Lösungen, Modelle und Strukturen erarbeitet werden, um die demografische Herausforderung einer ausgeprägten Bevölkerungsalterung möglichst gut bewältigen zu können. AGE-INT versteht sich als Impulsprogramm, das sich unter anderem mit den technischen Möglichkeiten für ein gutes Leben im Alter auseinandersetzt. Im Rahmen des Projektes sind unter anderem innovative Formate geplant, beispielsweise eine schweizweite «Technology Roadshow» mit einem barrierefreien Promotion-Anhänger, um für ältere Menschen und Interessierten in verschiedenen Städten der Schweiz erlebbar zu machen, was es heute im Bereich der Technologien für Menschen im Alter schon an Errungenschaften gibt und was sich in der Entwicklung befindet.

Technische Innovationen testen

Das IAF hat bereits ein schweizweites Netzwerk bestehend aus Privathaushalten und Altersinstitutionen aufgebaut, in dem die teilnehmenden Seniorinnen und Senioren technische Innovationen für Menschen im Alter testen. Grundprinzip dieses Netzwerkes (Living Lab 65+) ist die partizipative, langzeitige Testung der Innovationen in der natürlichen Lebensumgebung (zu Hause oder im Heimzimmer) der Teilnehmenden. Es werden digitale Technologien und Anwendungen aus dem Bereich AAL getestet, welche die Selbstständigkeit der Menschen unterstützen und die Sicherheit erhöhen. So testeten zum Beispiel sieben Seniorinnen und Senioren eine Woche lang einen Oberarmsensor zur Vitaldatenmessung. Der Tragekomfort erwies sich als hoch, aber es gab Verbesserungsvorschläge für den Einsatz bei Palliative-Care-Patienten.

Unterstützen statt kontrollieren

Seit mehr als 15 Jahren ist auch das iHomeLab, das Forschungszentrum für Gebäudeintelligenz der Hochschule Luzern (HSLU), erfolgreich in der Forschung tätig und entwickelt in diversen Projekten Lösungen im Bereich Active Assisted Living. So soll älteren Menschen ein längeres, gesünderes und unabhängiges Leben zu Hause ermöglicht werden. Um dies sicherzustellen, benötige der Markt nicht-invasive, nicht stigmatisierende Lösungen, welche die Privatsphäre betreuungsbedürftiger, alleinstehender Seniorinnen und Senioren respektiere und gleichzeitig kostengünstig und wartungsarm sei, ist man an der Hochschule überzeugt. Auf Seiten der Angehörigen fehle es an Lösungen, die Aktivitätsveränderungen im Auge behalten und mit einem einfachen, aber effizienten Alarmierungssystem informieren können. Und dies, ohne dass sich die älteren Menschen kontrolliert, beobachtet oder in ihrer Würde verletzt fühlen.

Benutzungsmuster erkennen

Das Projekt «CleverGuard» soll diese Gradwanderung angehen. Die Hardware-Lösung ist ein zentral im Stromverteilerkasten installierter Smart Meter, der über Jahrzehnte hinweg ohne Wartung ein nicht stigmatisierendes und nicht intrusives Erkennungs- und Warnsystem für den Aktivitätszustand einer betreuungsbedürftigen älteren Person bietet. Dank der innovativen Non-Intrusive-Load-Monitoring-Technologie werden die täglichen Aktivitäten der Seniorin oder des Seniors anhand von Laständerungen im Stromnetz identifiziert. Das «CleverGuard»-Benachrichtigungsmodul erkennt auffällige Aktivitätsveränderungen und warnt sowohl die Seniorin oder den Senior als auch Angehörige oder das Pflegepersonal. Wenn zum Beispiel normalerweise jeden Morgen die Kaffeemaschine und das Radio zwischen 8 und 10 Uhr in Betrieb genommen werden und dies eines Morgens plötzlich nicht mehr geschieht, bemerkt «CleverGuard» dies und kann nachfragen.

Digital kommunizieren

Als Teil eines EU-Forschungsprojekts entwickelte das iHomeLab auch «Anne», ein Tablet mit Sprachfunktion, das älteren Menschen helfen soll, mit Freunden, Angehörigen und Betreuungspersonen in Kontakt zu bleiben. Gemeinsam mit der Stadt Luzern und dem Netzwerk Vicino wurde das Tablet 2020 in Luzern als Pilotprojekt in Betrieb genommen. Der einfachen Bedienbarkeit widmeten die Entwickler viel Aufmerksamkeit. So ist das Tablet sehr intuitiv zu bedienen. Auch Personen ohne Computervorkenntnisse lernen leicht, damit umzugehen. Telefonnummern werden mit Foto programmiert und mit einem Fingertipp oder per Sprachbefehl angerufen. Das Tablet bietet gezielt und ausschliesslich die Funktionen, die Menschen in ihrem Alltag unterstützen. Steht ein Termin oder die Medikamenteneinnahme bevor, schaltet sich «Anne» ein und erinnert daran. Alle Daten sind aus Sicherheitsgründen rein lokal gespeichert. Auch die Spracherkennung läuft vollständig lokal auf dem Tablet und kommt so ganz ohne Zugriff auf die Cloud-Dienste der grossen IT-Konzerne aus.

Wohnen mit Dienstleistungen

Wie es sich mit AAL-Lösungen leben lässt, weiss auch Hannes Koch, der als CEO der Spitex Kriens täglich mit den Menschenin Kontakt steht, für die solche Systeme entwickelt werden. Das Unternehmen für Pflegeleistungen bietet neu das Service-Paket «Wohnen mit Dienstleistungen» an. Zum Angebot gehören ein Notrufgerät, mit dem rund um die Uhr in einer Notsituation Hilfe angefordert werden kann, und Alltagsunterstützung in Form einer «Wohnassistentin». Sie ist als Ansprechperson für die einzelnen Mieterinnen und Mieter regelmässig im Haus anwesend und steht mit Rat und Tat bei alltäglichen Belangen zur Seite. Die Dienstleistungen werden bereits in zwei Überbauungen in Kriens rege genutzt. Hannes Koch ist vom Konzept überzeugt: «Smarte Lösungen müssen den älteren Menschen vor allem Sicherheit vermitteln können. Das geht nur, wenn sie einfach bedienbar sind und möglichst wenig im Alltag spürbar sind. Und natürlich ersetzen sie den persönlichen Kontakt nicht. Mit unserem neuen Dienstleistungsangebot können wir den Seniorinnen und Senioren gerecht werden, die noch selbstständig leben können, jedoch im Alltag punktuell auf Unterstützung angewiesen sind.»


 

Kurzinterview

mit Sabina Misoch, Leiterin des Instituts für Altersforschung (IAF) der OST, Ostschweizer Fachhochschule, Campus St. Gallen.

Eines Ihrer Wirkungsfelder ist das Active Assisted Living. Warum engagieren Sie sich in diesem Bereich?

Produkte aus dem Bereich des AAL haben grosses Potenzial, da diese versuchen, die Selbstständigkeit von Menschen im Alter und deren Sicherheit durch unauffällige (smarte) Technologien im Hintergrund zu unterstützen. Typische Beispiele hierfür sind Sensorsysteme, die ohne grossen Aufwand in Haushalten oder Institutionen implementiert werden können und die dann automatisch Funktionen ausführen oder Alarme auslösen können (Lichteinschaltung, Sturzmelder etc.).

Mit Ihrem ersten Projekt «AALiving Lab@Home» begannen Sie im Jahr 2017, Ihre Idee des Living Labs zu entwickeln. Was war Ihr Antrieb?

Ausgangspunkt war, dass wir zunehmend gemerkt haben, dass die klassischen Testungen in künstlichen Laboren nicht ausreichend sind, um belastbare Aussagen zur Techniknutzung und Akzeptanz machen zu können. Des Weiteren wurde immer deutlicher, dass wir über die Bedürfnisse von Menschen im Alter zu Hause zu wenig wissen, um wirklich sinnvolle Innovationen entwickeln zu können. So wurde die Idee der partizipativen Langzeittestung von Innovationen bei Menschen zu Hause entwickelt (Living Lab) und einem ersten Praxistest unterzogen. Dieser war so erfolgreich, dass wir dieses Konzept im Rahmen des Projektes «AGE-NT» weiterentwickelt und unser Netzwerk an teilnehmenden Seniorinnen und Senioren stark ausgeweitet haben. Dieses umfasst inzwischen ca. 2000 Menschen.

Gibt es ein digitales Hilfsmittel, das Ihrer Meinung nach in keinem Haushalt einer oder eines +65-Jährigen fehlen darf?

Das ist eine schwierige Frage und kann nicht pauschal beantwortet werden, da dies natürlich davon abhängt, welcher individueller Unterstützungsbedarf in welchem Bereich des alltäglichen Lebens vorliegt. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt sind Alarmsysteme sicherlich sehr wertvoll, damit im Notfall schnell Hilfe organisiert werden kann.