Dass schmutziges Trinkwasser krank machen kann, ist schon lange bekannt. Der Gesundheitsschutz wird in der Schweiz gross geschrieben, und dank dem Zusammenspiel von Wasseraufbereitungen und Hygienevorschriften sind Krankheiten, die durch verschmutztes Trinkwasser verursacht werden, in unserem Land eher die Ausnahme als die Regel. Das hat auch die Studie «Materialien in Kontakt mit Trinkwasser» der Hochschule Luzern – Technik & Architektur (HSLU) und des Wasserforschungsinstituts Eawag zu Tage gebracht. Und doch verändern sich die Herausforderungen zum Erhalt der Trinkwasserqualität.
Wasser will fliessen
«Die Wege des Trinkwassers – von der Aufbereitungsanlage bis zum Wasser-hahn – haben sich verändert und sind in den letzten 20 Jahren komplexer geworden», sagt Stefan Kötzsch von der HSLU. Im Rahmen des Studienprojekts seien vier Aufgabenkreise definiert worden mit dem Ziel, den Wissensstand und daraus geeignete Präventionsstrategien für die Wasserhygiene abzuleiten, erklärt Kötzsch, der die dreijährige Studie geleitet hat. «Verdichtetes Bauen, der vermehrte Einsatz von Kunststoffen in den Leitungsnetzen, der Wunsch nach Wasser- und Energiesparen sowie ein verändertes Nutzerverhalten führen dazu, dass Trinkwasserleitungen neuen Begebenheiten ausgesetzt sind.» Und diese können einen Einfluss auf die Trinkwasserqualität haben. So untersuchten die Forscher unter anderem, wie gross die Gefahr ist, dass sich Krankheitserreger in Gebäudeinstallationen einnisten könnten.
In einem ausgelasteten Gebäude sei bei einem optimalen Systembetrieb wenig zu befürchten, erklärt Kötzsch. Anders sehe es in Gebäuden mit schwankender Belegung aus. In einer Militärkaserne oder in einem Hotel beispielsweise mit unzähligen Wasserentnahmestellen kann es schon vorkommen, dass manuell mit einem Wasserdurchfluss nachgeholfen werden muss. «Das Wasser will fliessen», sagt Kötzsch. Wenn es steht, erhöht sich das Kontaminationsrisiko. «Viel Aufwand für einen Hotelbetrieb», meint Kötzsch. Beispielsweise liesse sich ein regelmässiger Kaltwasseraustausch mit einer besseren Planung und der Integration eines automatischen Wasserverwurfes gewährleisten. Zusätzlich sollte in Grossgebäuden das Warmwasser mittels Zirkulation geführt werden. Die Warmwassertemperatur am Speicheraustritt sollte mindestens 60 Grad und im Rücklauf mindestens 55 Grad betragen.
Mikrobiologische Biofilme
Auch in privaten Gebäuden sieht die Situation vermehrt ähnlich aus wie in Hotels. Es gibt immer mehr Entnahmestellen, die oft gar nicht gebraucht werden. «Das Bad wird in der heutigen Zeit oft zur Wellness-Zone ausgebaut.» Kötzsch fragt sich manchmal, ob es wirklich ein zusätzliches Gäste-WC mit Dusche in der eigenen Wohnung braucht. Werde die Komfortzone erweitert, erhöhe sich die Komplexität, fügt Kötzsch hinzu. Es seien viele innere wie äussere Faktoren, die einen Einfluss auf die Qualität des Trinkwassers hätten.
Es fängt mit der Qualität des Trinkwassers an, das in ein Gebäude kommt, und hört dort auf, wo im Gebäude Wasser konsumiert wird. Doch mit jeder Leitung, in der über längere Zeit kein Wasser fliesst, erhöht sich das Risiko, dass mikrobiologische Biofilme das Trinkwasser beeinträchtigen können. «Diese sind in den Leitungsnetzen nicht vermeidbar, doch mit der Studie haben wir versucht zu verstehen, wie schnell sich diese Biofilme bilden und wie sie sich über die Zeit entwickeln.» Dabei habe man in Labor- und Feldtests festgestellt, dass sich die Biofilme innerhalb von 14 Tagen relativ schnell bilden und sich die Artenvielfalt in den Biofilmen über die Zeit verändern kann, wenn sich die Einflussfaktoren ändern.
Immer mehrere Faktoren
Mehr als 100 Tests zu unterschiedlichen Dichtungs- und Leitungsmaterialien wurden durchgeführt. «Die Zahl und die Artenvielfalt der Bakterien im Biofilm ist unter anderem abhängig von den eingesetzten Materialien», sagt Kötzsch. «Weiche Kunststoffe und Elastomere sind in Schlauchform grundsätzlich problematischer einzuschätzen, im Gegensatz zu anderen Kunststoffen, die durchaus ähnlich gut abschneiden wie Metalle. Aus dem Material treten über die Zeit organische Kohlenstoffverbindungen aus (Migration) und werden von der Mikrobiologie in Biomasse umgesetzt. Mit der Entwicklung des Materialtests «BioMig» an der Eawag sei es gelungen, einen verbesserten Test anzubieten, der wesentlich genauere Aussagen über den Einfluss eines Materials auf die Mikrobiologie zulässt.
Mit dem Test kann das Migrations- wie auch das mikrobiologische Aufwuchspotenzial eines Materials erfasst und beurteilt werden. Zudem konnte man mit dem Testverfahren nicht nur die Testdauer erheblich verkürzen, sondern gleichzeitig die Aussagekraft der Resultate erweitern. «Unser Anliegen ist es, mit ‹BioMig› den Herstellern von Dichtungen und Rohrleitungen – insbesondere Kunststoffen – ein besseres Testwerkzeug zur Verfügung zu stellen, sodass bereits während der Produktentwicklung der Einfluss auf die Mikrobiologie berücksichtigt und reduziert werden kann.»
Eigentümer wird Wasserversorger
Es sei nicht nur das Material entscheidend, präzisiert Kötzsch, sondern immer eine Kombination von suboptimalen Temperaturen, Stagnation des Wassers, kleinen Leitungsdurchmessern und eben migrationsaktiven Materialien, die einen Einfluss auf die Qualität des Trinkwassers haben. Würden sich Krankheitserreger wie beispielsweise Legionellen, Pseudomonate oder Mykobakterien einmal einnisten, lasse sich das Problem meist nur mit grossem Aufwand wieder beheben.
Der Wasserspezialist erwähnt dies, weil im Moment der Übergabe der Eigentümer einer Liegenschaft per Gesetz zum Wasserversorger wird und dafür Sorge tragen muss, dass sich die Wasserqualität nicht verschlechtert. Kötzsch will in erster Linie die Erkenntnisse der Studie besser in den Köpfen der Installateure, der Planer aber auch der Eigentümer verankern. «Obwohl der Eigentümer bei Übergabe faktisch zum Wasserversorger wird, werden keine Kontrollen zur Wasserqualität im Gebäude durchgeführt. Auch ein Auto muss beispielsweise regelmässig zur Vorführung, um dessen Funktionstauglichkeit zu überprüfen.»
Es sei diese letzte Meile, die man nicht unter Kontrolle habe, erklärt Kötzsch. Immer wieder auftretende Problemfälle haben dazu geführt, dass auch die Erstbefüllung einer Trinkwasserinstallation sowie die Situation bis zur regelmässigen Nutzung vermehrt in den Fokus gerückt sind. «Bei Neubauten übernimmt der Eigentümer oft eine hygienische Blackbox», ergänzt der Diplomingenieur. «Eine unzureichende Erstbefüllung in Kombination mit langen Stagnationszeiten während und nach der Bau- und Bezugsphase könne sich sehr negativ auf die Trinkwasserqualität auswirken. Generell sollte bei der Übergabe eine Überprüfung der Trinkwasserqualität Standard werden», meint Kötzsch.
Hotspot finden
Bezüglich der Trinkwasserqualität im Gebäude fehlt in der Schweiz das Bewusstsein. «Noch», wie Kötzsch betont. Denn heute befänden sich über 80 Prozent der Gesamtlänge des Trinkwassernetzes in Gebäuden. «Einfache und präventive Massnahmen bei der Inbetriebnahme könnten bereits Abhilfe schaffen.» So schlägt der Fachmann vor, neu installierte Wasserleitungen mittels Inertgas auf ihre Dichtheit zu überprüfen, solange die Leitungen noch zugänglich sind. «Dies erfordert eine gute Kommunikation zwischen den Beteiligten auf der Baustelle», meint Kötzsch.
Zudem sollte das Wasser erst kurz vor der Inbetriebnahme mit hygienisch einwandfreien Schlauchverbindungen oder einem Hygienefilter in die Installation eingefüllt werden und anschliessend kräftig gespült werden. Während der verbleibenden Bau- und Bezugsphase sollte dann das gesamte System regelmässig alle 72 Stunden gespült werden. «Kommt es zu einer Kontamination durch krankheitserregende Mikroorganismen, gilt es, den Hotspot der Verunreinigungen zu finden und zu eliminieren. Das ist leicht gesagt, erweist sich in der Praxis oft als kostspielig und langwierig», sagt Kötzsch. Im schlimmsten Fall kann es zur Stilllegung der Anlage und zu einem Totalersatz der Komponenten kommen.
Ansetzen bei Prävention
Soweit sollte es nicht kommen. Bei der Prävention setzt die Studie auch an. Es sind gemäss Kötzsch vier Präventionsbereiche: verbesserte Tauglichkeitstests für Kunststoffe, Präventivmassnahmen bei der Erstbefüllung und Inbetriebnahme, Hygienemassnahmen im Langzeitbetrieb und Erkenntnisse zur Mikrobiologie in Kalt- und Warmwassersystemen. Er ist sich der Flughöhe bewusst, denn generell würde man in der Schweiz auf hohem Niveau jammern. Und in einem Ernstfall, wie dies im Verlaufe der Studie geschah, müsse man den gesunden Menschenverstand walten lassen. Panikmache sei ein schlechter Ratgeber. «In unserem Fall wurden in einem Gebäude über fast zwei Jahren im Warmwasserbereich Wasserproben gezogen und erhöhte Legionellenwerte gemessen.» Man kam lange nicht weiter, die Werte gingen nicht zurück, man investierte viel Geld in Massnahmen im Warmwasserbereich, um am Schluss festzustellen, dass der Befall durch Legionellen im Kaltwasserbereich war.
Erstaunt habe das Kötzsch nicht, als das Projektteam zu Rate gezogen worden war. Man habe aufgrund der Datenanalyse schnell den Hotspot eruiert und durch eine erneute Beprobung bestätigt. «Die Häuser, vor allem neue, sind immer besser gedämmt.
In den Steigzonen des Kaltwassers registrieren wir teilweise Temperaturen von 27 oder mehr Grad.» Ideale Keimentfaltungszonen. An diesem Beispiel zeige sich, dass sich in einem Ernstfall die Fachkräfte zusammensetzen müssen. «Am Wissen fehlt es nicht.» Im Zuge des Projekts wurde eine Arbeitsgruppe mit Spezialisten der Eawag und der HSLU mit dem Ziel gegründet, mögliche Betroffene oder auch Bundes- wie Kantonalämter mit Know-how neutral zu unterstützen.
Sensibilisierung hoch halten
Bakterien sind ein unvermeidbarer und wichtiger Bestandteil im Trinkwasser. Der Grossteil sei völlig ungefährlich, und doch werden mikrobiologische Probleme erst dann wahrgenommen, wenn sie ein grösseres Ausmass angenommen haben oder Infektionsfälle vorliegen. Der Fokus, so der Tenor der Studie, muss daher vermehrt auf Prävention gelegt werden. Mehr Sorgfalt, bessere Materialien, schnellere Koordination in einem Ernstfall. Kötzsch nimmt Architekten, Planer, Installateure wie auch Gebäudeeigentümer in die Pflicht und fordert ein Umdenken. «Man muss sich der Trinkwasserqualität im Gebäude bewusster werden. Letztlich betreiben wir enorm viel Aufwand, um das Trinkwasser zu gewinnen und zu verteilen, nur um die letzten Meter, die entscheidenden Meter, zu ignorieren.» Er wird weiterhin die Sensibilisierung auf das Thema hoch halten. Im kommenden Semester wird er seine ersten Lektionen zum Thema für angehende Gebäudeingenieure und Architekten an der HSLU halten.
Zum Schluss des Gesprächs hält Kötzsch fest: «Es besteht absolut kein Grund zur Panik – aber es ist an der Zeit, der Trinkwasserversorgung im Gebäude mehr Beachtung zu schenken.»