Die von der SUVA veröffentlichte neue Richtlinie (CE93-9) zum Revisionsschalter (Sicherheitsschalter) vom Mai 2021 sorgte für Verwirrung. Insbesondere in der Ver- und Entsorgung mit Wasser ist die indirekte Abschaltung seit Jahren im Einsatz. Der plötzliche «Kurswechsel» auf die direkte Abschaltung bis 20-kW-Antriebe und die nur noch in Ausnahmen zugelassene indirekte Abschaltung für grössere Motoren führte zu einer Unsicherheit bezüglich anstehender Projekte und Umbauten. Da und dort führt die Publikation auch zu Kopfschütteln. Es folgten intensive und teils auch kontroverse Diskussionen sowohl innerhalb der Branche wie auch mit den verschiedenen Normengremien und auch der SUVA (suva.ch).
Die Branche wehrte sich, die neuen Normen so umzusetzen, hatte sie sich doch an die bisherigen Regeln gewöhnt und die Ansteuerung der teils komplexen Anlagen so umgesetzt. Dem Betriebspersonal waren die Funktionen und die damit verbundenen Handlungen bestens bekannt und in Fleisch und Blut übergegangen. Die «neue» Norm führte zu viel Unsicherheit und einen vergrösserten Aufwand in der Steuerung der einzelnen Antriebe, um den geforderten Notbetrieb auch ohne Automatisierung sicher zu stellen.
Den Betreibern, Planern und Ersteller solcher Anlagen stellten sich unter anderem folgende Fragen:
Muss ich die neuen Weisungen beim Umbau oder Ersatz einer Pumpe anwenden?
Wo liegt die Grenze bei der Anwendung der alten bzw. neuen Norm – sprich wann ist welche umzusetzen?
Was bringt die neue Norm mir als Anlagenbetreiber (ausser Kosten)?
Ist die Unsicherheit und somit das Gefahrenpotenzial beim Vorkommen von verschiedenen Schaltungen innerhalb einer Anlage nicht grösser?
Muss ich die neue Norm einsetzen, wenn ich nur eine Pumpstation umbaue?
etc.
Da durch die bisherige Praxis mit dem dreistelligen Revisionsschalter (Fern/Auto – 0 – Hand) gleichzeitig ein Notbetrieb aufrechterhalten konnte, ist diese Diskussion von besonderer Bedeutung.
Bedienkonzept im Anlagenbau
Um die Problematik besser zu verstehen, wollen wir uns kurz das aktuell gängige Bedienkonzept anschauen.
Automatikbetrieb
Im Automatikbetrieb wird die Anlage oder der Anlagenteil automatisch über ein prozessabhängiges Ablaufschema betrieben (Software auf der Automatisierung), d. h. dem Betreiber stehen diverse Programme für die allgemein üblichen verfahrenstechnischen Abläufe zur Verfügung. In den verschiedenen Bildern sowie Tabellen und Masken sind jederzeit sämtliche Zustände der Aggregate auf dem Prozessleitsystem abrufbar, visualisierbar und können sofern notwendig parametriert und übersteuert werden.
Handbetrieb
Um dem Betreiber die Möglichkeit des Eingriffs in den Automatikbetrieb zu ermöglichen, ist ein Handbetrieb ab Prozessleitsystem möglich, welcher ab jeder Bedienstelle des Leitsystems erfolgen kann. Im Handbetrieb (fernbedienter Betrieb) kann jedes Aggregat einzeln über das Leitsystem mittels Tastatur und Maus ein- und ausgeschaltet werden (Stufe 1 – 2, Drehzahlverstellung, etc.). Ausserdem können Betriebsparameter verstellt werden. Die sicherheitsrelevanten Funktionen, wie das Verhindern der Überfüllung von Behältern, Trockenlaufschutz, Überdrucksicherungen, Temperaturüberwachungen etc. bleiben auch in dieser Betriebsart aktiv. Eine verfahrenstechnische Sicherheit ist jedoch im Handbetrieb nicht mehr gewährleistet. Aus Sicherheitsgründen werden jedem Benutzer entsprechende Zugriffsrechte erteilt, welche durch die Anmeldung auf das Leitsystem, passwortgeschützt freigegeben werden. Die Zuordnung dieser Rechte wird durch das entsprechend instruierte Betriebspersonal (Administrator) erteilt und vergeben.
Dezentrale Bedienung ab PLS
Für die dezentrale Bedienung ab Leitsystem der Anlage sowie einzelner Anlagenteile stehen verschiedene Nebenarbeitsplätze, verteilt auf der Anlage, zur Verfügung. Ausserdem ist für den mobilen Einsatz von Notebooks und Tablets ein entsprechendes WLAN eingerichtet. ❭
Revisionsbetrieb/Vorortbedienung
Generell gilt der Revisionsbetrieb als Notbedienung, d.h. jedes Aggregat verfügt über einen SUVA-Sicherheitsschalter mit den Stellungen «Hand»-«Aus»-«Fern» mit entsprechender Signalisation. Vor Ort können alle Aggregate bedient werden, die aus verfahrens- oder sicherheitstechnischen Gründen mit entsprechenden Sicherheitsschaltern versehen sind. Die Bedienmöglichkeiten sind beschränkt und mit Ausnahme der SUVA-Sicherheitsleuchten ist keine Signalisierung vorgesehen. Insbesondere können keine Parameter verstellt werden.
So kann der Betreiber einer Anlage den fraglichen Motor, z. B. einer Pumpe beim Totalausfall seiner Automatisierung in der Stellung «Hand» einschalten und beispielsweise einen Behälter «manuell» entleeren, ohne dass Folgeschäden durch den Ausfall der Automatisierung entstehen. Dies ist auf einer Abwasserreinigungsanlage enorm wichtig, da der Zulauf von Abwasser nicht abnimmt, nur weil auf der Anlage ein Teil oder die gesamte Automatisierung ausgefallen ist. Im sogenannten Notbetrieb kann das Betriebspersonal so schlimmeres verhindern, indem Anlageteile im Notbetrieb eingeschaltet und von Auge überwacht werden können.
Folgen der neuen Richtlinie
Durch die im Mai 2021 publizierte Richtlinie wurde dieses Bedienkonzept teilweise ausgehebelt. Die oben beschriebene Notbedienebene ist mit einem Sicherheitsschalter im Hauptstrom nicht mehr möglich, da beim Betätigen dieses Schalters lediglich der Hauptstrom unterbrochen oder eingeschaltet wird. Der Motor/die Pumpe laufen durch diese Betätigung allerdings nicht an, da der Sicherheitsschalter keinen Einfluss auf den Hauptschütz hat.
Dieser Umstand führt dazu, dass für den Notbetrieb ein zweiter Schalter eingesetzt werden muss, der je nach Pumpenart bzw. -anlauf (Stern-Dreieck, Frequenzumformer, etc.) hardwaremässig in die Steuerung eingebaut werden muss. Nur so konnte der für die Anlage immens wichtige Notbetrieb wieder gewährleistet werden. Pro Antrieb war also ein Schalter inkl. Elektroinstallation mehr zu installieren. Neben der Mehrinstallation von schnell einmal 40–60 Motoren/Antriebe auf einer Anlage, wurde es auch aufwendiger, die hardwaremässige Steuerung zu verdrahten. Weiter kann bei der indirekten Abschaltung immer der gleiche Sicherheitsschalter eingesetzt werden. Sicherheitsschalter im Hauptstrom müssen dem Nennstrom bzw. der Leistung des Motors entsprechen, was diese Einheiten schnell einmal grösser und kostenintensiver werden lassen.
Gespräche mit den Behörden
All diese Umstände haben in der gesamten Branche von der Planung über die Ausführung bis zum Anlagenbetreiber Diskussionen über Sinn und Unsinn ausgelöst. Gemeinsam wurde das Gespräch mit der SUVA gesucht und auch gefunden. Dabei ging es nicht um den Wunsch nach Umgehung der geltenden Normen. Die Branche wollte lediglich die seit mittlerweile Jahrzehnten durchgängige und bestens bekannte und ebenfalls so sichere indirekte Abschaltung der Antriebe beibehalten. Dabei stellte sie sich auf den Standpunkt, dass die neue Variante nicht mehr Sicherheit bringt. «Wenn wir uns eine gemischte Anlage mit beiden Varianten vorstellen, ist die Sicherheit sogar kleiner, da der Betreiber zwei verschiedene Konzepte betreiben muss und somit eine Unsicherheit verbreitet wird. Die Behörden hatten ein offenes Ohr und konnten im Februar 2022 entsprechend «Entwarnung» geben bzw. sie kommunizierten die Entscheide des betroffenen Gremiums unter Einhaltung aller geltenden nationalen und internationalen Normen.