Energiemanagement

Der Holzhof in Amlikon-Bissegg (Kanton Thurgau) nutzt zur Energieerzeugung zwei Photovoltaik-Anlagen und eine Biogasanlage, an die drei Blockheizkraftwerke angeschlossen sind. Die Blockheizkraftwerke produzieren Strom und Wärme. Quelle: B. Vogel (mit Shutterstock)

Notstrom aus erneuerbaren Quellen

Wer mit Photovoltaik und anderen dezentralen Produktionsanlagen erneuerbaren Strom erzeugt, nutzt in der Regel einen Netzanschluss für Strombezug und -einspeisung. Mit einer technischen Umrüstung können solche Anlagen falls erforderlich vom Stromnetz entkoppelt und in einem Inselbetrieb genutzt werden.

 

Elektrischer Strom ist für das Funktionieren unserer Gesellschaft unentbehrlich. «Ein länger andauernder, landesweiter Strom-Blackout würde zu einem unmittelbaren Stillstand von nahezu der gesamten Schweizer Wirtschaft führen», hält der Bundesrat in der 'Nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen' fest. Ein Teil der Wirtschaft ist die Landwirtschaft. Ein Stromausfall über längere Zeit bei Lüftungen, Melkanlagen oder auch Heizungen würde das Wohlergehen von Mensch und Tier unmittelbar bedrohen. Die Nahrungsmittelproduktion für die Bevölkerung wäre gefährdet. Die 'Nationale Strategie' fordert daher, kritische Infrastrukturen resilient auszugestalten: «Grossflächige und schwerwiegende Ausfälle sollen möglichst verhindert und die Funktionsfähigkeit im Ereignisfall möglichst rasch wieder gewährleistet werden.»

 

«Grüner» Notstrom

Die Eigenversorgung hat durch den Ausbau der dezentralen Produktion erneuerbarer Energien einen grossen Stellenwert erhalten. Die dezentralen Energiequellen könnten auch im Krisenfall gute Dienste leisten. Das ist der Grundgedanke einer kürzlich fertiggestellten Studie, die vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des BFE finanziell unterstützt wurde. Die Projektleitung hatte die Winterthurer Firma Fleco Power AG, eine 2015 gegründete Tochterfirma der Genossenschaft Ökostrom Schweiz (Winterthur), des Solarinstallateurs MBRsolar (Wängi) und der Energiegenossenschaft ADEV (Liestal). Fleco Power vermarktet erneuerbare Energie von über 600 Produzenten und Produzentinnen, die Strom aus Photovoltaik, Biogas, Wasserkraft und Wind gewinnen.

 

Das Schweizer Stromnetz ist eng vermascht. Fällt ein Kraftwerk oder eine Leitung aus, wird die Stromversorgung in aller Regel in kürzester Zeit wieder hergestellt. Im Krisenfall ist allerdings auch ein längerer, flächendeckender Ausfall denkbar. In diesem Fall könnten auf Landwirtschaftsbetrieben Dieselaggregate oder von Traktormotoren angetriebene Zapfwellengeneratoren zur Stromerzeugung genutzt werden, sofern genug Treibstoff am Lager ist. Eine andere Quelle für Notstrom bieten dezentrale Photovoltaik-, Biogas- oder Windkraftwerke. In der Schweiz gibt es mehrere Tausend PV-Anlagen auf Bauernhöfen; allein im Jahr 2021 kamen 750 Anlagen mit einer Durchschnittsleistung von 68 kW neu hinzu. Zudem existieren schweizweit rund 120 landwirtschaftliche Biogasanlagen. Die meisten sind mit Blockheizkraftwerken (BHKW) ausgerüstet, die Biogas in Strom und Wärme umwandeln.

 

Inselbetrieb

Will man solche Anlagen für die Notstromversorgung nutzen, müssen sie im Inselbetrieb – also abgekoppelt vom Stromnetz – betrieben werden. Benötigt wird dafür eine Steuerung, die die Stromproduktion auf den Bedarf der angeschlossenen elektrischen Verbraucher abstimmt. Dezentrale Stromproduktionsanlagen sind heute üblicherweise nicht für den Inselbetrieb ausgelegt. Wenn das Netz ausfällt, stoppen sie die Produktion. Das von Fleco Power initiierte Pilotprojekt ging der Frage nach, mit welchen Anpassungen die Anlagen auf Notbetrieb umgestellt werden können. Notbetrieb bedeutet in der Regel auch, dass nur jene elektrischen Verbraucher versorgt werden, die im Krisenfall unabdingbar sind.

Die Feldtests zur Notstromversorgung erfolgten auf dem «Holzhof» von Projektpartner Otto Wartmann, einem Käserei- und Landwirtschaftsbetrieb in Amlikon-Bissegg (Kanton Thurgau). Dort produzieren zwei PV-Anlagen (Gesamtleistung: 360 kWp) jährlich 330’000 kWh Strom. Hinzu kommt eine Biogasanlage mit drei BHKWs (Gesamtleistung: 750 kW), die nebst Wärme insgesamt 5'000’000 kWh Strom liefern. In einem ersten Feldtest wurde eines der drei BHKW zur Notstromproduktion herangezogen. Obwohl damit bereits genügend Strom für den Notbetrieb zur Verfügung stand, wurde in einem zweiten Testlauf zusätzlich zum BHKW eine der PV-Anlagen in die Notversorgung einbezogen. Damit wollte das Projektteam klären, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Kombination mehrerer dezentraler Kraftwerke möglich ist.

 

Schwarzstart hat seine Tücken

Die Ergebnisse zeigen: In beiden Testanordnungen (BHKW allein, BHKW mit PV) konnte ein Inselbetrieb zur Notstromversorgung mit erneuerbarem Strom realisiert werden. Der Landwirtschaftsbetrieb wurde während jeweils mehrerer Stunden mit bis zu 180 kW Leistung versorgt. Im Ernstfall kann eine Notstromversorgung oft nur die wichtigsten Verbraucher mit Strom beliefern. Beim Testbetrieb auf dem Holzhof war das anders: Hier wurde der gesamte Strombedarf des Landwirtschaftsbetriebs gedeckt. Die Herausforderung bestand hier darin, einen genug hohen Verbrauch sicherzustellen, da das BHKW aus technischen Gründen auch im Notbetrieb mindestens auf 60% der Leistung betrieben werden muss.

Mit den Feldtests wurden verschiedene Herausforderungen eines Notbetriebs identifiziert: Die Schwarzstartfähigkeit (Aufbau des Inselnetzes) scheiterte anfangs in mehreren Anläufen, beispielsweise an fehlerhaften Einstellungen oder der fehlenden Notstromversorgung von Steuerungskomponenten. Fazit von Projektleiter und Fleco-Power-Manager Martin Schröcker: «Für den Betrieb eines Inselnetzes braucht es die erforderlichen technischen Komponenten und Steuerungsanlagen, aber auch Personen, die die Notstromversorgung in Betrieb nehmen können und dafür den Krisenfall regelmässig proben.»

 

Wichtigkeit der Netzqualität

Besonders anspruchsvoll ist eine Notstromversorgung über mehrere Tage und Wochen. In solchen Fällen muss die Versorgung mit Substraten für die Biogasanlage sichergestellt werden. Zudem muss die Netzqualität hohen Ansprüchen genügen. Zwar sind für einen abgekoppelten Notbetrieb die Anforderungen von Normen wie der Europäischen Norm EN 50160 nicht direkt gültig, sie bieten aber eine gute Grundlage für eine Beurteilung der notwendigen Netzqualität in Dimensionen wie Spannungs- und Frequenzhaltung. Erfolgt ein Notbetrieb über längere Zeit, können Abweichungen der Netzqualität elektrische Verbraucher beschädigen, beispielsweise durch erhöhte thermische Belastungen bei Schieflasten. Für die Einbindung der erneuerbaren Energien in die Notversorgung ist somit eine sorgfältige Planung des Notnetzes und der involvierten Komponenten nötig.

Martin Schröcker von Fleco Power ist überzeugt, dass gerade PV-Anlagen ihren Beitrag zur Notstromversorgung leisten können. Zwar ist Solarstrom für diese Aufgabe auch bei Einsatz eines Batteriespeichers noch nicht ausreichend, weil vor allem in den Wintermonaten Energielücken auftreten, wie das Projektteam im Schlussbericht festhält. Anders sieht es aus, wenn Photovoltaik mit einer zweiten Stromquelle kombiniert wird. Martin Schröcker sieht ein vielversprechendes System darin, zur Hauptsache PV-Anlagen zu nutzen und diese nach Bedarf temporär mit Strom aus einem Zapfwellengenerator zu ergänzen. Ob diese Kombination praktikabel ist, wurde in einem Feldversuch bisher nicht untersucht. «Die Integration von mehreren Energiequellen in einem gemeinsamen Notnetz wird die bereits beträchtliche technische Komplexität des Notbetriebs jedoch zusätzlich erhöhen», geben die Autoren des Projektschlussberichts zu bedenken. Martin Schröcker bleibt optimistisch: «Aus unserer Sicht bietet dezentral produzierter erneuerbarer Strom eine riesige Chance, um eine robuste Lösung für die Notstromversorgung zu nutzen. Wenn dazu vor allem Anlagen eingesetzt werden, die für den Normalbetrieb angeschafft wurden, lassen sich die Zusatzkosten in Grenzen halten. So kann die Energiewende dazu beitragen, das Schweizer Stromnetz als Ganzes robuster gegen Blackouts zu machen. Die Landwirtschaft ist aufgrund der grossen Potenziale für Erneuerbare Energien und der gut geschulten Betreiber und Betreiberinnen der beste Ort, um damit anzufangen.»