In den vergangenen Monaten konnte man den Medien entnehmen, dass die Schweiz künftig mit Engpässen in der Stromversorgung zu rechnen hat. Laut einem Bericht zur Versorgungssicherheit könnte der Schweiz ab 2025 im schlimmsten Fall zu wenig Strom zur Verfügung stehen, liess der Bundesrat neulich vermelden. Die Begriffe «Ausstieg aus dem Atomstrom, Dekarbonisierung, Wärmepumpen, Elektroautos und Digitalisierung» sind ständige Begleiter geworden. Müssen wir uns Sorgen machen um die Stromversorgung?
Weiterhin hoher Stromverbrauch in der Schweiz
Elektrischer Strom macht rund einen Viertel der insgesamt in der Schweiz verbrauchten Energie aus. Im Jahr 2020 wurden knapp 55,7 Terawattstunden Strom verbraucht. Unser Alltag hängt im Privaten wie im Beruflichen von einer zuverlässigen Stromversorgung ab. Anfang der 2000er-Jahre stieg der Stromverbrauch deutlich an. Wurden im Jahr 2000 insgesamt 52 TWh Strom verbraucht, waren es 2020 schon 55,7 TWh. Zwar haben in den letzten Jahren Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum den Stromverbrauch gesteigert. Dies wurde aber durch Effizienzmassnahmen in verschiedenen Bereichen kompensiert. So blieb der Verbrauch in den letzten Jahren stabil, während der Pro-Kopf-Verbrauch gar einen Rückgang verzeichnet.
Produktion und Lieferungen
Gemäss Bundesamt für Energie wird in der Schweiz Strom zu 58,1% aus Wasserkraft, zu 32,9% aus Kernkraft, zu 2,3% aus fossilen und knapp 6,7% aus neuen erneuerbaren Energien produziert (Schweizer Produktionsmix 2020). An die heimischen Stromverbraucher wird aber nicht nur Strom aus Schweizer Produktion geliefert. Es herrscht ein reger Handel mit dem Ausland, bei dem Strom exportiert und importiert wird. Deshalb stimmt der Schweizer Produktionsmix nicht mit der durchschnittlichen Zusammensetzung des gelieferten Stroms (= Schweizer Liefermix) überein.
Um über den Liefermix jedes Stromversorgers Transparenz zu schaffen und den Konsumenten so einen informierten Entscheid für ein bestimmtes Stromprodukt zu ermöglichen, sind die schweizerischen Stromversorgungsunternehmen seit 2005 gesetzlich verpflichtet, Herkunft und Zusammensetzung des gelieferten Stroms offenzulegen. Mit dem Aus des Rahmenabkommens mit der EU gibt es auch keine Stromabkommen mehr. Die Lichter dürften in der Schweiz auch in Zukunft nicht ausgehen, meint Renato Tami, Geschäftsführer der Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom, die die Stromversorgung der Schweiz überwacht. Ohne dieses Stromabkommen wird die Zusammenarbeit aufwändiger. Es wird schwieriger, die Netzsicherheit aufrechtzuerhalten. Swissgrid ist für die Netzsicherheit zuständig und es wird für sie zusätzliche Kosten bringen.
Stichwort Wärmepumpen
Gefährdet die hohe Zahl der eingesetzten Wärmepumpen die Energieziele des Bundes oder gar die Stromversorgung der Schweiz? Nein, es werden keine neuen AKW benötigt, um den zusätzlichen Strombedarf durch diese Maschinen mittel- und langfristig decken zu können.
Im Gegenteil. Das Bundesamt für Energie weist der Wärmepumpe eine wichtige Rolle zu, um die gesetzten energie- und klimapolitischen Ziele zu erreichen. Im Jahr 2020 gab es in der Schweiz bereits 350 380 Elektrowärmepumpen. Eine Hochrechnung des BFE besagt, dass selbst bei einem Park von 400 000 Einheiten und mehr, würden sie lediglich rund 4% des gesamten schweizerischen Stromverbrauchs beanspruchen. Zum Vergleich: Alleine die Standby-Schaltungen unserer Haushaltgeräte machen heute rund 3,5% des gesamten Stromverbrauchs in der Schweiz aus.
Elektroheizungen verbrauchen 10%
Vor rund 40 Jahren war in der Schweiz ein regelrechter Boom der Elektrospeicherheizungen. Diese Wärmeerzeuger (Wasserspeicher oder Feststoffspeicher) und rein elektrisch betriebene Warmwasserboiler beanspruchen heute rund 10% des gesamten verbrauchten Stroms. Ein Ersatz dieser Geräte durch Wärmepumpen würde den Stromverbrauch für diese Sparte auf 3-4% senken. Weiter gilt es zu bedenken, dass Entwicklungen sehr weit gediehen sind, die Wärmepumpe mit der Photovoltaik so zu verbinden, dass der für den Betrieb der Wärmepumpe benötigte Strom zu zahlbaren Preisen an Ort und Stelle produziert werden kann. Der Anteil der privaten Haushalte am gesamten Stromverbrauch in der Schweiz beträgt heute nur rund 35% beträgt. Den weitaus grösseren Teil beanspruchen Verkehr, Industrie und Gewerbe.
Sogar Reduktion des Stromverbrauchs
Gemäss BFE führen die Bemühungen zur Reduktion des CO2-Ausstosses in der Schweiz nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung des Stromverbrauchs, auch wenn dies von bestimmten Kreisen so suggeriert wird. Alleine nur schon der Ersatz von Elektroheizungen und Elektroboilern durch Wärmepumpen, der Austausch herkömmlicher Umwälzpumpen durch energieeffiziente Umwälzpumpen neuster Generation und die Auswechslung von bestehenden älteren Tumblern (Wäschetrockner) durch Wärmepumpen-Tumbler würde in der Haustechnik so viel Strom einsparen, dass alle CO2-produzierende Heizungen ohne weiteres und ohne Strom-Mehrverbrauch durch Wärmepumpen ersetzt werden könnten. Wenn das gesamte aktuelle Energiespar-Potential in der Haustechnik genutzt würde, ergäbe es sich sogar eine Reduktion des heutigen Stromverbrauches in der Gebäudetechnik. Es sind also keine zusätzlichen Kraftwerke zur Abdeckung des Strombedarfes erforderlich, selbst wenn sämtliche bestehenden Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt würden.
Stichwort Elektrofahrzeuge
Die Schweiz will mehr Elektroautos und der Atomausstieg ist geplante Sache. Da schwingt ein Widerspruch mit. Eine Studie der Elektrizitätswerke Zürich EKZ zeigt auf, was die wirklichen Herausforderungen sind und wie die zu meistern sind. In 20 Jahren könnten demnach bis zu 60 % der Fahrzeuge auf helvetischen Strassen über einen elektrischen Antrieb verfügen. Der Strombedarf für das Aufladen der Batterien dieser Fahrzeuge würde rund 6,5 TWh betragen, was etwa 11 Prozent des heutigen Schweizer Stromverbrauchs entspricht. Das tönt eigentlich nicht nach besonders viel – aber heute haben wir ja auch noch den Atomstrom aus Beznau, Gösgen und Leibstadt zur Verfügung. Diese Kernkraftwerke produzieren jährlich rund 22 TWh, aber früher oder später wird dieser Anteil wegfallen.
Eine der Herausforderungen der künftigen Stromversorgung ist daher die Speicherung des Stroms, der mit erneuerbarer Energie produziert wird. Besonders wichtig sind Möglichkeiten zur saisonalen Speicherung, damit beispielsweise im Sommer hergestellter Solarstrom im Winter zum Heizen eingesetzt werden kann – oder eben auch zum Aufladen des Elektroautos. Neben den bereits etablierten Pumpspeicherkraftwerken dürften inskünftig sogenannte Power-to-X-Verfahren ein wesentlicher Bestandteil dieser saisonalen Speicherung sein. Dabei wird erneuerbarer Strom dazu genutzt, Wasser mittels Elektrolyse in Energieträger wie Wasserstoff oder Methan zu verwandeln. Diese Energieträger sind längerfristig speicherbar und können bei Bedarf wieder in Elektrizität oder Wärme verwandelt werden. Heute fehlt zwar noch die Infrastruktur, um diese Umwandlungsprozesse in industriellem und wirtschaftlichem Massstab durchzuführen, es sind aber auch in der Schweiz immer mehr Pilotprojekte am Start. Es scheint realistisch, dass die Power-to-X-Technologie in naher Zukunft tatsächlich zur Speicherung von erneuerbarem Strom genutzt werden kann.
Lastmanagement-Systeme erforderlich
Fachleute gehen davon aus, dass die eigentliche Herausforderung durch die Verbreitung der Elektromobilität nicht die Stromversorgung, sondern die Netzkapazität sein wird. Die Niederspannungsnetze auf regionaler und lokaler Ebene sind nicht darauf ausgelegt, eine grössere Anzahl von E-Autos gleichzeitig zu laden. Der Ausbau der Netze wäre zwar eine mögliche Lösung – aber eine teure. Sinnvoller dürfte der Einsatz von zentralen Lastmanagement-Systemen sein. Solche Systeme koordinieren das Aufladen der E-Fahrzeuge aufgrund von verschiedenen Kriterien. Sie berücksichtigen, wie hoch der aktuelle Strombedarf im Netz ist und wie viel Strom gerade produziert wird. Steht etwa tagsüber viel Solarenergie zur Verfügung, kann das Aufladen forciert werden. In den Abendstunden, wenn viele Haushaltgeräte benutzt werden, kann das Aufladen gedrosselt oder unterbrochen werden. In den Nachtstunden, wenn der Bedarf in der Regel tief ist, steht wieder mehr Strom zur Verfügung, um die Batterien zu laden.
Grosses Zeitfenster für Aufladungen
Im Grunde genommen sind auch E-Autos die meiste Zeit über unbenutzt geparkt. Daher steht im Normalfall ein grosses Zeitfenster zur Verfügung, in dem das Aufladen erfolgen kann. Typischerweise ist das tagsüber während der Arbeit und nachts zu Hause in der Garage. Deshalb spielt es keine Rolle, ob das Elektroauto gleich nach dem Abstellen um 19 Uhr aufgeladen wird, oder erst ab Mitternacht. Zudem wird im Alltag selten die gesamte Ladekapazität der Batterie benötigt, sodass auch nicht jeden Tag aufgeladen werden muss. Es ist daher kein realistisches Szenario, dass alle Elektroautos gleichzeitig an die Steckdose angeschlossen werden und eine Netzüberlastung herbeiführen.
Sichere Stromversorgung auch in der Zukunft
Mit der Abschaltung des KKW Mühleberg im Dezember 2019 begann in der Schweiz der Anfang vom Ende der Atomkraft-Ära. Nach und nach sollen auch die verbliebenen Meiler in Beznau, Leibstadt und Gösgen abgeschaltet werden, wenn sie am Ende ihrer Betriebszeit angelangt sind. Die Schweiz verliert damit einen zwar kontroversen, aber sehr zuverlässigen Teil ihrer Stromproduktion. 2018 betrug der Anteil der Atomenergie am in der Schweiz produzierten Strom 36,1 %. Damit war die Kernkraft nach der Wasserkraft (55,4 %) die zweitgrösste Energiequelle, und zwar mit deutlichem Abstand vor den erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft. Nur etwas weniger als ein Fünftel des verbrauchten Stroms stammte aus Atomkraftwerken. Gemäss dem Bundesamt für Energie ist es realistisch, diesen Anteil durch Strom aus erneuerbaren Energien zu ersetzen. Im Unterschied zum Atomstrom fällt Wind- und Solarstrom aber nicht regelmässig an, sondern ist von Tageszeit, Jahreszeit und Wetter abhängig. Wie der Stromverbrauch im Jahresverlauf aussieht, machen die Statistiken von Swissgrid deutlich. Von Oktober bis März wird wesentlich mehr elektrische Energie geliefert als im Sommerhalbjahr.
Erneuerbare Energie für Flexibilität
Die BFE-Studie «Modellierung der Erzeugungs- und Systemkapazität in der Schweiz im Bereich Strom» kommt zum Schluss, dass die Schweiz zwar auch in Zukunft auf importierten Strom angewiesen sein wird. Gleichzeitig habe man dank der flexibel einsetzbaren Wasserkraft ausreichende Kapazitäten, um im Gegenzug auch Strom zu exportieren. Gemäss der Studie wird ein weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien die Versorgungssicherheit in der Schweiz positiv beeinflussen, weil dadurch die Schweizer Flexibilität bezüglich Importbedarf und Einsatz von Wasserkraft erhöht wird. Dies gilt auch dann, wenn die erneuerbaren Energien nicht zu Spitzenlastzeiten eingespeist werden.
Mit anderen Worten, dank Wasserkraft, Anbindung an den europäischen Strommarkt und Ausbau der erneuerbaren Energien wird die Schweiz auch in Zukunft ausreichend Elektrizität zur Verfügung haben. Es ist nur zu hoffen, dass die Politik eine für alle Beteiligten akzeptable und umsetzbare Lösung für «eine Anbindung an den europäischen Strommarkt» finden wird.