Der Ansatz klingt spielerisch: «Wiki House ist eine Art digitales Lego», sagt Co-Gründer Alastair Parvin. «Die Idee besteht darin, die Bauteile anhand von Plänen aus der Online-Bibliothek digital zu fabrizieren und diese danach zusammenzusetzen» – analog dem Prinzip des bekannten Spielzeugherstellers. Das System macht sich dabei die Effekte der Digitalisierung zunutze. «Wir haben bereits erlebt, wie schnell und disruptiv die Digitalisierung andere Sektoren wie beispielsweise die Medien verändert hat», führt Parvin weiter aus. «Dieselbe Entwicklung wird nun auch bei physischen Gegenständen erfolgen.»
Fertigkeiten demokratisieren
Die Pläne der einzelnen Bauteile können in einer Online-Bibliothek heruntergeladen werden, die Fertigung erfolgt daraufhin mit CNC-Maschinen. Der Zusammenbau der einzelnen Bauteile erfolgt nach dem japanischen «Poka Yoke»-Prinzip, das technische Vorkehrungen trifft, um Fehler zu vermeiden – ein ähnliches Prinzip wie es auch Ikea bei der Montage seiner Möbel anwendet. Auf diese Weise sind gemäss Alastair Parvin keinerlei Vorkenntnisse im Hausbau erforderlich. So kann eine handwerklich halbwegs versierte Privatperson mit Hilfe einiger Freunde oder Freiwilligen das Haus erbauen.
Parvin verweist dabei auf Beispiele aus seinem Heimatland England. «Gerade in Grossbritannien bestand bisher eine grosse Abhängigkeit von spekulativen Baufirmen, die teure Häuser in schlechter Qualität bauen», sagt er. Mit Wiki House werde die Latte tiefer gesetzt, um diese Abhängigkeit zu mindern. Seine Ambition: Die Fertigkeiten im Baubereich zu demokratisieren, anstatt zu zentralisieren.
Angefangen hat das Projekt mit der Entwicklung von Hardware, aber Parvin und sein Team realisierten bald, dass sie damit nur ein Problem lösen konnten: das Bauen an und für sich. Nicht gelöst werden konnte hingegen das Problem des Wissensmangels seitens der Anwender. Aus diesem Anlass entwarf das Team eine digitale Struktur mit einer Open-Source-Sprache, die auf jedem Webbrowser läuft und auch den Kostenfaktor miteinbezieht. Wer bei Wiki House an Wikipedia denkt, ist also nicht völlig falsch gewickelt. Denn die Grundidee ist grundsätzlich die gleiche: Wissen zu teilen.
Die Arbeit wird nicht ausgehen
Parvin entwirft mit seinem Projekt die durchaus provokative Vision eines Hauses, das jedermann selbst bauen kann – wozu braucht es denn überhaupt noch die Architekten? Diese Frage stellte sich auch Professor Manfred Huber, Leiter des Anfang 2018 gegründeten Instituts Digitales Bauen an der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik der FHNW, anlässlich eines Podiumsgespräches im Rahmen der Swissbau 2018 (s. Box). «Ein bisschen Angst hat mir das schon gemacht», so Huber. «Doch dann kam mir ein zweiter Gedanke: So weit weg ist es eigentlich gar nicht von dem, was wir an unserem Institut machen.» Letztendlich gehe es darum, ein parametrisches Design zu gestalten und dieses einfach zu vermitteln. Die Arbeit werde den Architekten und Planern demnach nicht so schnell ausgehen.
Auch Balz Halter, VR-Präsident von Halter AG, beobachtet die Ansätze von Wiki House genau. Schliesslich könnte das Wiki-Prinzip, wenn es denn Schule macht, auch auf sein Geschäft einen Einfluss haben. «Allerdings dürfen wir auch nicht in Hyperaktivität verfallen», sagt er. «Wir müssen unsere Geschäftsmodelle weiterleben und parallel dazu diese Möglichkeiten übernehmen und weiterentwickeln.» So hat sein Unternehmen schon einige BIM-Projekte umgesetzt. Das Unternehmen hat zusammen mit der Raumgleiter AG einen virtuellen «Decision Room» ins Leben gerufen, wo das digitale 3-D-Modell ganz im Zentrum der Entwicklung von Gebäuden steht.
In anderen Dimensionen denken
Aber zurück zu Wiki House. Wird sich das Prinzip auch in der Schweiz durchsetzen? «Im Hinblick auf die Einfamilienhäuser und deren heute gestalterische Qualität wünsche ich mir sogar neue Ansätze», sagt FHNW-Professor Manfred Huber. «Wenn man aber an die Städte denkt, wo mehr und mehr verdichtet werden muss, braucht es dann doch noch mehr als Häuser aus dem Drucker.»
Auch in diesem Bereich sorgt die Digitalisierung für fundamentale Veränderungen – und mächtige neue Player treten in den Markt. So plant das Google-Mutterhaus Alphabet in Toronto die perfekte Smart City: einen durchwegs vernetzten Stadtteil für rund 10 000 Menschen. «Das Haus ist Teil eines Quartiers, das Quartier Teil einer Stadt – in Zukunft gibt es nicht mehr das einzelne Gebäude, sondern alles ist miteinander vernetzt», sagt Manfred Huber. Sein Schluss: «Wir Architekten und Planer müssen in anderen Dimensionen denken».
Dies tut auch Alastair Parvin, jedoch verweist er darauf, dass man eine Stadt nie in engen Grenzen zeichnen kann: «Ein Quartier oder eine Stadt kann man nie fertig gebaut haben», sagt der Wiki-House-Gründer. «Es ist ein kontinuierlicher Prozess.» Dass die Smart City kommen wird, davon ist auch Balz Halter überzeugt. «Es ist aber nicht so, dass da eine eigene Welt heranwächst», gibt der Unternehmer zu bedenken. «Man wird immer mit vorhandenen Strukturen umgehen müssen. Das Menschliche, Emotionale muss dazukommen. Der Mensch wird auch in Zukunft Regie führen.»
Auf dem Weg zur Vernetzung
Die Zitate aus dem vorliegenden Artikel stammen aus dem Podiumsgespräch «Auf dem Weg zur totalen Vernetzung?», das im Januar 2018 im Rahmen der Swissbau durchgeführt wurde. Neben Alastair Parvin, Manfred Huber und Balz Halter diskutierten Stefan Kurath, Leiter Institut Urban Landscape an der ZHAW, und Pascale Vonmont, Direktorin der Gebert Rüf Stiftung in Basel. Moderiert wurde das Gespräch von Esther Keller.