Nur in einem solchen Technologieverbund können grosse Datenmengen erfasst, verarbeitet und genutzt werden. Durch vernetzte IoT-Anwendungen entsteht ein echter Mehrwert für Gesellschaft und Wirtschaft, denn die Bandbreite von IoT-Anwendungen reicht von optimierten Betriebsprozessen über neue Geschäftsmodelle bis hin zur Steigerung der Lebensqualität der Bevölkerung – ob in der Logistik, Medizin, in smarten Städten oder in der Freizeit. Auch im Bereich der Nachhaltigkeit kann IoT viel bewegen, so durch Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs und der Lenkung von Energie-flüssen (Smart Grids). Durch konsequente Vernetzung und Steuerung kann IoT aber auch die Auslastung der Infrastrukturen verbessern und so die Kosten senken.
Die nunmehr dritte IoT-Konferenz der asut mit rund 350 Teilnehmern (davon 100 virtuell) präsentierte zahlreiche Marktplayer und innovative Anwendungen. Sie war in vier Themenblöcke gegliedert (Technologie, Ökosysteme, Mensch und Technologie, Nachhaltigkeit). Ganz unkonventionell machte eine Podiumsdiskussion zum Thema «Chancen und Herausforderungen durch IoT» den Anfang, der von der Tagungsmoderatorin Barbara Josef souverän geleitet wurde. Im Mittelpunkt standen Sicherheits- und Vernetzungsaspekte von IoT, die bei geschätzten 75 Mrd. IoT-Geräten für 2025 zwei der Herausforderungen darstellen.
Technologie
Dieser Themenblock bot einen praxisnahen Einstieg ins Thema IoT, welches die Fertigungsindustrie tief verändert. Laut Bernd Schneider (Google Cloud Alps) sind die Geschäftsabläufe nirgendwo so komplex wie in der Fertigung. Die produzierenden Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Balance zwischen Prozess-optimierung, Logistik und dem Trend zu mehr Digitalisierung zu finden. Unternehmen, welche die neuesten digitalen Technologien nutzen (bekannt als Industry 4.0), konnten ihre Produktivität um bis zu 20 Prozent steigern. Eine Herausforderung sind unstrukturierte Daten, die zunächst standardisiert werden müssen, um sie in der Cloud speichern zu können. Google setzt auf offene Standards wie Android und Kubernetes, betreibt aber auch eigene Datenautobahnen. Google Cloud existiert seit über 10 Jahren und wächst stark – ebenso wie die Schweizer Niederlassung, die es seit 2004 gibt und über 4000 Mitarbeitende beschäftigt.
Was die Industrie bei der Entwicklung von KI-Lösungen vom Gesundheitswesen lernen kann, zeigte Lisa Falco (Zühlke Engineering AG). In der MedTech- und Gesundheitsindustrie traute man KI bisher eher selten bis nie, da hier sehr hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards gelten. So zwingen Vorschriften die KI-Anbieter dazu, jedes Detail ihrer selbstlernenden Systeme zu verstehen und vor allem auch zu dokumentieren. KI ist insofern heikel, da es sich um selbstlernende Systeme handelt, deren Entscheidungen oft nicht sofort nachvollziehbar sind. Falco sagte aber, dass man aus solchen KI-Prozessen viele Dinge lernen kann, die bei der Entwicklung robuster und vertrauenswürdiger Lösungen helfen. Erste Erfolge hat man z. B. bei der Erkennung von Tumoren. Die gegenwärtige Pandemie hat das Entwicklungstempo für KI erhöht, so Falco.
Datengetriebene Produktionsoptimierung am Beispiel von Aluminiumwalzprozessen waren das Thema von Ralf Kölle (scitis.io GmbH). Sein Unternehmen optimiert komplexe Produktionsprozesse in einem Gesamtsystem aus Maschinen und Anlagen. Am Fallbeispiel eines Aluminium-Walzprozesses zeigte er anschaulich, wie Daten aus Vorprozessen und der Werkzeugbearbeitung mithilfe von KI den laufenden Prozess mit optimierten dynamischen Sollparameter verbessern. Scitis.io offeriert ein umfassendes Framework für Industrial IoT u. a. für die Stahl-, Alu- und Papier-produzierende Industrie. Dank fundierter Daten von Sensoren verbessert IoT/KI die Produktqualität spürbar und hilft, Fehler früh zu erkennen. Denn in der Produktion geht es stets um sehr viel Geld, wenn etwas schief läuft.
Edge Computing, eines der wichtigsten 5G-Charakteristiken, bringt die Rechenleistung näher an den Punkt, an dem die Daten generiert und verarbeitet werden. Stefano Mallè (AWS Schweiz) zeigte, wie Geräte mit AWS IoT-Software lokal maschinelle Lerninferenzen durchführen, um Anomalien zu erkennen, Warnungen zu senden und nahezu in Echtzeit zu reagieren. Kunden nutzen das AWS IoT, um effizientere Fabriken, Präzisionsfarmen oder um sicherere Häuser aufzubauen. Micro Controller und -Prozessoren in Kameras, Routern und Geräten liefern die dazu nötigen Daten, die über 5G-Inhousenetze auf dem Firmengelände gesammelt und dank Edge Computing in Echtzeit verarbeitet werden.
Ökosysteme
Ohne vernetzte Sensoren, Rechner und Datenbanken läuft bei IoT nichts. Diese drei Hochtechnologiekomponenten haben sich im letzten Jahrzehnt bedeutend weiterentwickelt. Doch was hat der Endanwender davon? Nach Meinung von Jürg Meierhofer, u. a. Koordinator zum Thema Industrie 4.0 an der ZHAW, verschiebt sich der Fokus weg von der Einzellösung hin zu «soziotechnischen Ökosystemen», wenn Technologien aus der Service-Perspektive entwickelt werden. Erst dann entsteht eine nachhaltige Wertschöpfung, so der ZHAW-Professor.
Dass auf internationalen Grossbaustellen wichtige Entscheidungen oft gefühlsmässig getroffen werden, bezeugte Inga-Leena Schwager (Amberg Gruppe). Das Unternehmen beschäftigt rund 400 Mitarbeitende und sieht sich als führender Anbieter unterirdischer Infrastruktur und Logistiklösungen. Ob beim Bau des Uetliberg- oder des Ceneri Basistunnels oder auf Baustellen anderer Anbieter: (zu?) viele Entscheidungen werden immer noch nach Bauchgefühl gefällt. Denn oftmals fehlen hilfreiche Daten und die Zeit. Nun werden zunehmend Sensoren und kommunizierende Systeme auf Baustellen eingesetzt, stellen die Bauleute aber vor die neue Herausforderung, ihre Gefühle durch Daten steuern zu lassen, bemerkte Schwager schmunzelnd. Aber der Erfolg gibt ihr Recht, da Unsicherheiten und Ineffizienz verschwinden. Nicht nur im wasserreichen Jahr 2021 ist das Management von Wasser, Abwasser und Gewässern immer anspruchsvoller. Dazu bieten die Digitalisierung und datengetriebene Ansätze wie bei IoT neue Möglichkeiten, um den Herausforderungen besser zu begegnen – auch jenen des Gesetzgebers. Urs Imholz (GWF MessSysteme AG) demonstrierte dazu eine IoT-Lösung auf einer Cloud-basierten Plattform zur kontinuierlichen Überwachung des Wasserleitungsnetzes. Es erfasst den gesamten Wasserverbrauch und alarmiert den Versorger bei Anomalien wie Leckagen. Trotz des Aufwands für Sensoren und deren Vernetzung werden viele Schäden vermieden und die Effizienz im Betrieb spürbar erhöht.
Entlang der Wertschöpfungskette und in Ökosystemen nimmt IoT auch in der Holzwirtschaft eine zunehmend wichtige Rolle ein, meint Hagen Worch, Professor an der FFHS. In dieser Branche sind die Margen dünn und der Wettbewerb stark. Die Analyse und Auswertung von Kundendaten mit Tools der FFHS verbesserte die Marktpositionierung der holzverarbeitenden Betriebe.
Mensch und Technologie
Marc Holitscher von Microsoft Schweiz GmbH erzählte über die exponentiell wachsenden Innovationen und grossen Fortschritte, die IoT in den letzten Jahren durchschritten hat. So ist es z. B. möglich, hoch spezialisierte Fachärzte mit AR-Brillen in den Operationssaal zu beamen. Damit können deutlich mehr Patienten von deren Wissen und Können profitieren. Was in Schweizer Unternehmen und Verwaltungen aber zu wünschen übrig lässt, ist die passende Kultur, zeitgemässes Fachwissen und der nötige Handlungsspielraum. Die globale Pandemie hat die Entwicklung von IoT jedoch begünstigt und das kollektive Bewusstsein für die strategische Relevanz digitaler Technologien geschärft, so Holitscher.
Verlässt man den Bereich hoch entwickelter Länder, so scheint IoT vielleicht doch noch nicht überall angekommen zu sein. Das gilt erst recht für den digitalen Wandel in Kriegsgebieten, wie Balthasar Staehelin vom IKRK berichtete. Hier gehe es um das mangelnde Vertrauen betr. Datensicherheit, dem das IKRK mit seiner Unabhängigkeit zu begegnen versucht. Staehelin zeigte, wie gefährlich Datenklau in Kriegsgebieten sein kann. So haben die USA Daten in Afghanistan hinterlassen, welche die Taliban nun nutzen. Solche Szenarien wären für eine humanitäre Organisation wie dem IKRK eine Katastrophe, wo dem Datenschutz sehr hohe Priorität eingeräumt wird.
Neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson haben oft Gangstörungen zur Folge. Wie man sie via IoT analysieren und daheim behandeln kann, beschrieb Stephan Gerber von der Universität Bern. Dabei bietet die langfristige Aufzeichnung von Gangparametern neue Möglichkeiten zur Überwachung (Telemedizin) und weiteren Prognosen solcher Erkrankungen, ohne dass der behinderte Patient sein Heim verlassen müsste. Für Forschungszwecke wurde dazu die «NeuroTex Loft», eine 3 ½ Zimmer-Wohnung mit über 200 Sensoren gebaut.
Bruno Michel (IBM Forschungslabor in Rüschlikon) bindet die dazu nötigen Sensoren und mobilen Erfassungsgeräte eine IoT-Architektur ein, die Mobile Edge und Cloud kombiniert, um zeitbasierte IoT-Daten mit mehreren Datenströmen zu analysieren. Das System identifiziert Anomalien durch Deep Learning und gewinnt Erkenntnisse aus zeitbasierten Daten. Es trägt zur Verbesserung der Lebensqualität und Sicher-heit bei, ob beim Management von Lungenkrankheiten (Telemedizin) oder bei der Stressüberwachung von Feuerwehrleuten.
Nachhaltigkeit
Welchen Beitrag IoT zur CO2-Reduktion leisten kann, zeigten die beiden letzten Vorträge der Tagung. Beni Huber (ECCO2 Solutions AG) stellte dazu eine intelligente Heizungssteuerung vor, welche bestehende Gebäude bereits heute um 20 Prozent effizienter werden lässt. Aber auch die Landwirtschaft profitiert von IoT und wird deutlich effizienter sowie ressourcenschonender. Sie ist durch viele Faktoren geprägt wie Klima, Boden, Krankheiten/Schädlinge und entsprechende Spritzmittel. Gemäss Thomas Anken (Agroscope Landwirtschaftliche Produktionssysteme) ermöglichen IoT-Anwendungen, die Landwirtschaft als Gesamtsystem besser zu managen. Beispielsweise lassen sich über Wetterstationen und Prognosemodelle Pflanzenkrankheiten prognostizieren. Drohnen können Schädlinge erkennen und Sensoren messen das Fressverhalten der Milchkühe. Oder über Bodenfeuchtemessungen lässt sich der Wasserverbrauch bei der Bewässerung besser dosieren.