Smart Home

Andrew Paice leitet das iHomeLab Forschungszentrum für Gebäudeintelligenz. Mehr als zwanzig Wissenschaftler erforschen, wie dank intelligenten Gebäuden zum Beispiel der Energieverbrauch gesenkt oder älteren Menschen ein längeres Leben in den eigenen vier Wänden ermöglicht werden kann – und das bei optimaler Datensicherheit. (Bild: Lorenz Cugini)

Karin Frick ist Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung am GDI (Gottlieb Duttweiler Institut): «Viele Bequemlichkeitsversprechen werden noch nicht erfüllt.» (Bild: Sandra Blaser)

Aber bitte mit Mehrwert!

Alexa, Apps und Steuerungen: Heutzutage ist fast alles zumindest vermeintlich smart. Die Werbung vermarktet alles mit dem Argument der Bequemlichkeit. Doch bequemer ist nicht immer besser.

«Unsere zunehmende Bequemlichkeit ist der Haupttreiber der digitalen Welt», gab David Bosshart, Präsident der G. und A. Duttweiler-Stiftung sowie ehemaliger CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon, kürzlich in einem Interview zu Protokoll. Oder anders formuliert: Was Bequemlichkeit verspricht, verkauft sich. Das gilt auch im Smarthome-Bereich, wo das Wort «bequem» in fast jeder Marketingkampagne zu finden ist. Geht es in Zukunft also nur noch darum, Smarthomes immer konsequenter in Convenience­Homes zu verwandeln? Bequemlichkeit über Mehrwert?

Smarter ist nicht immer einfacher

Laut einer Studie der Heimwerker-Such-Plattform Ofri nutzen derzeit nur 3 von 10 Schweizerinnen und Schweizern ein Smarthome-Gerät. Geht Bequemlichkeit etwa doch nicht über alles? «Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass viele Bequemlichkeitsversprechen einfach nicht erfüllt werden», sagt Karin Frick, Leiterin Research und Mitglied der Geschäfts-leitung am GDI. Sie nennt das selbst erlebte Beispiel eines smarten Schliesssystems, das mit Fingerabdruckidentifikation und Nutzerautorisierung ausgestattet ist. «Am Schluss bekam ich dann doch einen herkömmlichen Schlüssel, weil es einfacher war!» Auch für ältere Menschen, die entweder noch wenig technikaffin sind oder aus gesundheitlichen Gründen Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Geräten haben, seien smarte Lösungen im Alltag meist eher eine Verkomplizierung statt die erhoffte Erleichterung. «Und darunter leiden dann auch die Angehörigen oder die Betreuungspersonen, die ständig um Hilfe gebeten werden, wie eine GDI-Untersuchung gezeigt hat», so die Ökonomin. Momentan befinde man sich in einer Art Zwischenphase, wo vieles zwar technisch möglich ist, die Technik aber oft noch nicht auf einem Niveau, dass sich smarte Lösungen flächendeckend durchsetzen würden. «Es ist ähnlich wie beim eCommerce, der sich auch erst etablierte, als das Smartphone das Convenience-Versprechen schliesslich einzulösen vermochte», sagt Karin Frick.

Convenience siegt

Aber ist es überhaupt erstrebenswert, alles immer bequemer zu haben? Man weiss von Zootieren, dass sie gesünder sind, wenn man ihnen ihr Futter nicht einfach «pfannenfertig» serviert, sondern sie dafür etwas tun müssen. Und auch der Mensch wird von der Gesundheitsbranche ständig dazu angehalten, aktiv zu sein und sich zu bewegen, statt nur auf dem Sofa zu sitzen und Knöpfe zu drücken. «Trotzdem wird sich Convenience am Markt immer durchsetzen», sagt Karin Frick. Hinzu kommt: Wer erst einmal ein gewisses Convenience-Level erreicht hat, ist in der Regel nicht mehr bereit, sich mit weniger zufriedenzugeben. Frick: «Wer auf einem modernen Herd gekocht hat, will nicht auf den Kachelofen zurückwechseln, und wer seine Waschmaschine per Programmierung zu niedrigpreisigen Stromzeiten laufen lassen kann, möchte das nicht mehr missen.»

Sachzwänge

Dennoch: Welchen echten Mehrwert hat zum Beispiel eine Kaffeemaschine, die man von unterwegs einschalten kann? «Das ist für Unternehmen oft gar nicht so sehr die Frage», sagt Karin Frick. «Gerade kleine Unternehmen und Start-ups müssen sich auf solche begrenzte, für sie finanzierbare Features konzentrieren, um mit ihrer Idee überhaupt auf den Markt kommen zu können. Denn nur so werden sie sichtbar und verhelfen dadurch finanzstarken Grossfirmen zu neuen Ideen und Ansätzen, die es wert sind, weiterentwickelt und umgesetzt zu werden.» Für Andrew Paice, Leiter des iHomeLab der Hochschule Luzern, kommt noch ein weiterer Aspekt in Form eines simplen Marktmechanismus hinzu: «Der Markt verlangt danach, jedem elektronischen Gerät irgendein smartes Feature zu geben – ob es sehr sinnvoll ist oder nicht.» Wer auf IoT-Elemente verzichtet, wird als rückständig wahrgenommen, und Rückständiges verkauft sich schlecht.

Arbeiten an der Zukunft

Das iHomeLab ist das Kompetenzzentrum für Gebäudeintelligenz der Hochschule Luzern. Was im Research Center erforscht und entwickelt wird, wird im Visitor Center mithilfe von Partnern aus der Wirtschaft implementiert und präsentiert. Convenience ist hier vor allem ein Nebeneffekt von echten Mehrwerten. «Ein wichtiges Thema für uns ist AAL – Active Assisted Living», so Paice. Mit einer Mischung aus Wearables und Smarthome-Elementen sollen ältere Menschen länger, sicherer und mit mehr Lebensqualität zu Hause leben können. Zurzeit beschäftigen sich die Forscher unter anderem mit ADLs – Activities of Daily Living. Das Konzept beruht auf der gesicherten Annahme, dass Menschen Gewohnheitstiere sind und es im Alltag gewisse wiederkehrende Verhaltensmuster gibt. «Wir arbeiten an Systemen, die diese Muster erkennen und merken, wenn sich etwas Aussergewöhnliches zuträgt.» Aus den Mustern zu lernen und als Smarthome-System daraus Empfehlungen für den User abzuleiten, ist ein weiteres Forschungsfeld. «Machine Learning und Künstliche Intelligenz haben bei uns einen festen Platz», so Paice.

Keine Kameras!

Muss man Angst haben, dass man irgendwann zu Hause ständig überwacht wird, wenn man es smart und bequem haben will? Andrew Paice verneint. Der Mensch lasse nicht alles für seine Bequemlichkeit einfach so zu: «Smarte Kameras können heute zum Beispiel mithilfe geeigneter Software schon Erstaunliches leisten», sagt der iHomeLab-Leiter. Sie können das Schlafverhalten aufzeichnen, um daraus die Schlafqualität abzuleiten; oder sie können Stürze erkennen und unter bestimmten Voraussetzungen – wenn die Person nicht mehr von selbst aufsteht – melden. Das Problem dabei, so Paice: «Niemand will Kameras bei sich zu Hause haben, weil sie ein Gefühl des Überwachtwerdens vermitteln.» Anders bei Sensoren, die in der Regel nicht sichtbar verbaut werden können. Sie können zum Beispiel Daten und Informationen über das Smarthome liefern, wenn der Bewohner nicht zu Hause ist. Fällt die Heizung aus, wird dies gemeldet, und der Reparaturservice kann avisiert werden, im besten Fall sogar automatisch. Auch beim Thema Sicherheit können Sensoren viel leisten, zum Beispiel Einbrüche am Geräusch erkennen und melden.

Der digitale Zwilling

Den Blick auf das grosse Ganze – auf das Smarthome als Ökosystem – richtet die Forschung und Entwicklung im Bereich Digital Twins. In einigen Produktionsunternehmen sind digitale Abbilder realer Produktionsstätten bereits Realität. Sie sollen dabei helfen, Prozesse zu optimieren und damit Umsätze und Gewinne zu steigern. Im Bereich Smarthomes unterstützt eine digitale Kopie des realen Zuhauses die effiziente Vernetzung der einzelnen Elemente und deren Anpassung an individuelle Nutzungsmuster; zudem ermöglicht der digitale Zwilling der Hausbewohner eine schnelle und effiziente Behandlung, vor allem von Langzeitpatienten. Dies hält das Beraterunternehmen Deloitte in einem Bericht fest: «Diabetespatienten können über vernetzte Messgeräte ihre Blutzuckerwerte nicht nur bequem speichern und

auf einem Dashboard visualisieren lassen. Einen besonderen Mehrwert bietet die Echtzeit-Übertragung der Vitaldaten an den behandelnden Arzt.» Der digitale Zwilling könnte auch überallhin mitgenommen werden, seine Grundfunktionen lassen sich dann in andere Smarthomes übertragen.

Auf der Suche nach der Vision

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Derzeit, darin sind sich Karin Frick und Andrew Paice einig, sind die meisten Smarthomes lediglich Ansammlungen vieler kleiner Einzellösungen. Von einem Gesamtsystem ist man noch weit entfernt. «Es gibt zwar Anbieter, die mehr oder weniger umfassende Gesamtlösungen oder wenigstens breit angelegte Lösungen anbieten», sagt Andrew Paice, «doch da stellt sich noch immer die Frage, wie kompatibel Elemente anderer Anbieter sind, die man vielleicht auch gern integrieren möchte.» Trotz Initiativen wie «Connected Home over IP» (CHIP) ist man noch weit von einem Branchenstandard entfernt, der es auch dem User erlauben würde, sein Smarthome selbst zu erweitern und zu individualisieren. Paice: «Meist sind es die Softwareschnittstellen, die von den Herstellern unter Verschluss gehalten werden. Die Argumente gegen eine Freigabe der Schnittstellen klingen immer ähnlich und drehen sich meist um vermeintliche Sicherheitsaspekte.» Trotzdem hofft er, dass Smarthomes in zehn Jahren zumindest so weit sind, dass Software Wizards die Installation und Konfiguration von Smarthome-Lösungen übernehmen und dass gewisse Grundelemente normal geworden sind: «Es gibt so viele bessere Möglichkeiten als Lichtschalter, um mit Licht umzugehen», sagt er, «und ich hoffe, dass wir uns in naher Zukunft darüber keine Gedanken mehr machen müssen.» Die beinahe philosophische Frage, wohin die Smarthome-Reise eigentlich gehen soll, sei jedoch im Grund immer noch unbeantwortet. Ähnlich sieht es Karin Frick: «Der Branche fehlt eine Figur wie Elon Musk, jemand, der Altbekanntes neu definiert und in grossen Massstäben denkt; jemand, der nicht endlos über Pros und Contras diskutiert, sondern Risiken eingeht – und damit die Richtung vorgibt, in die sich die gesamte Branche orientieren kann.» In der Hoffnung, dass aus Smarthomes dereinst Smart Communities oder gar Smart Cities werden, die den Menschen nicht nur Bequemlichkeit, sondern auch Mehrwert bieten.