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Bild: zVg.

Einheitlich – einfach – Matter

Der neue Standard „Matter“ könnte den Smarthome-Markt revolutionieren. Ob dies gelingen wird, ist derzeit schwer abzuschätzen – liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen.

Rund 84 Prozent aller erwerbstätigen Erwachsenen in der Schweiz besitzen mindestens ein Smarthome-Gerät. Wie viele dieser Geräte tatsächlich in einem Smarthome-System betrieben werden, ist allerdings ungewiss. Denn bis anhin herrscht im Smarthome-Bereich ein babylonisches Sprachengewirr: Die Lampen kommunizieren nicht mit dem Fernseher, der sich seinerseits nicht mit den Lautsprechern austauschen kann. Das Resultat: Viele Steuerapps, die das Leben im Smarthome unnötig verkomplizierten.

 

Grosse Entwicklerallianz

In der Welt der Elektronik ist ein solcher Zustand eher die Regel denn die Ausnahme. Denn geschlossene Systeme führen sehr oft notgedrungen zu Kundenbindung. Mac oder Windows? Xbox, Playstation oder Nintendo? Canon oder Nikon? Die Wahl will gut überlegt sein, denn oft ist der systemübergreifende Einsatz von Komponenten nur mit Tricks oder über Umwege möglich. Zwar gibt es im Smarthome-Bereich mit Standards wie KNX oder Zigbee bereits Bemühungen, die kommunikativen Gräben zwischen verschiedenen Systemen zu überwinden. Doch der Branche war offenbar klar: Soll sich das Smarthome flächendeckend etablieren, muss es grösstmögliche Wahlfreiheit und höchstmöglichen Bedienkomfort bieten. Deshalb taten sich fast 300 Unternehmen der Connectivity Standards Alliance (CSA) – darunter Branchenriesen wie Google, Apple, Samsung, Amazon und Somfy – 2019 zusammen, um einen lizenzierten Kommunikationsstandard für Smarthome-Komponenten zu entwickeln. Das Resultat dieser Bemühungen heisst Matter und wurde am 4. Oktober 2022 als Version 1.0 veröffentlicht.

 

Privatanwender im Fokus

Doch worin unterscheidet sich das neue Matter vom fast schon uralten KNX? «Zum einen wurde Matter gezielt für den Smarthome-Markt entwickelt», sagt Olivier Steiger, Dozent und Forschungsgruppenleiter am Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE der Hochschule Luzern (HSLU). KNX, Modbus und ähnliche bereits existierende Standards sind vor allem für Zweckbauten und Profi-Anwender und -Installateure gedacht. Matter wurde hingegen mit Blick auf Anwender entwickelt, die kein abgeschlossenes Informatikstudium haben. «Ihnen will Matter eine einheitliche Erfahrung bieten, die unabhängig von Marken und Herstellern funktioniert.» Steuerung, Installation und Funktionserfahrung sollen auf Softwareebene systemübergreifend vereinheitlicht und vereinfacht werden. Bisher sei so etwas im Smarthome-Markt nur sehr begrenzt möglich gewesen, sagt der Experte. Also ist Matter eine Art Dolmetscher zwischen den smarten Philips-Lampen, den Somfy-Storen und den Danfoss-Thermostaten? «Eher eine Sprache, die von allen am Smarthome Beteiligten verstanden und gesprochen wird», erklärt Olivier Steiger.

 

Konsequent übersichtlich

Der Kern von Matter ist die Beschränkung auf wenige, bereits vorhandene Kommunikationsstandards. Steiger: «Matter-Geräte müssen zwingend über WI-FI oder Thread kommunizieren und über Bluetooth Low Energy in Betrieb genommen werden können.» Andere Kommunikationsstandards sind nicht vorgesehen. Denn je mehr Kommunikationsstandards zugelassen werden, desto schwieriger wird es sicherzustellen, dass auch wirklich alle Matter-Geräte untereinander Signale senden und empfangen können. «Ganz wichtig ist auch, dass gewisse Abläufe standardisiert wurden», fährt Olivier Steiger fort. «Zum Beispiel funktioniert die Aufnahme ins heimische Matter-Fabric nur über einen QR-Code, NFC-Tag oder eine Zahlenkombination. Sie führen auf eine Bluetooth-Low-Energy-Verbindung, über welche die Inbetriebnahme eingeleitet und abgeschlossen wird.» Schlank und vereinheitlicht ist auch die Auswahl an Befehlen, mit denen die Geräte gesteuert werden. Jede Matter-zertifizierte Leuchte, egal von welchem Hersteller, wird mit denselben Befehlen ein- und ausgeschaltet.

 

Zertifiziert kompatibel

Entscheidend für den reibungslosen Einsatz von Matter-Geräten ist der Zertifizierungsprozess. «Allerdings ist die Zertifizierung nicht obligatorisch», weiss Olivier Steiger. Mit anderen Worten: Es ist möglich und erlaubt, Smarthome-Komponenten zu entwickeln und zu verkaufen, ohne dass sie den Zertifizierungsprozess durchlaufen müssen. Auf das offizielle Matter-Logo müssen solche Geräte dann aber verzichten. «Für den User ist das Label jedoch insofern wichtig, als dass er so absolut sicher sein kann, dass die Funktionstüchtigkeit im Matter-Umfeld am hergestellten Gerät geprüft und für gut befunden wurde.» Die unzähligen Smarthome-Geräte, die schon jetzt in Millionen von Haushalten überall auf der Welt im Einsatz sind, werden derzeit auf ihre Matter-Tüchtigkeit überprüft. Diese nachträglichen Zertifizierungsprozesse tragen dazu bei, dass Matter weniger schnell Verbreitung findet als erhofft. «Derzeit gibt es rund 1300 Matter-zertifizierte Geräte», sagt Olivier Steiger. «Das klingt zwar nach viel, doch ein Blick in die Regale der Fachgeschäfte zeigt, dass vom Matter-Zertifikat noch nicht allzu viel zu sehen ist.» Erhältlich sind momentan vor allem Beleuchtungs- und Sicherheitsprodukte, Thermostate und einfachere Steuerungen.

 

Aller Anfang ist (ziemlich) einfach

Matter will das Einrichten und Bedienen eines Smarthomes für die User vereinfachen. Entsprechend gering soll die Zahl benötigter Komponenten sein, um ein Matter-Umfeld betreiben zu können. «Neben Matter-kompatiblen Komponenten braucht es noch ein Ökosystem, das mit Matter kompatibel ist und mit dem die Steuerung der Komponenten ausgeführt werden kann», sagt Olivier Steiger. Derzeit sind dies Amazon Alexa, Apple HomeKit, Google Home und Samsung SmartThings; dass in Zukunft weitere in den erlauchten Matter-Kreis aufgenommen werden, ist nicht ausgeschlossen. Unverzichtbar ist auch ein Border Router, die Zentrale, aus der Matter später operiert. Und was ist mit den Smarthomegeräten, die bereits verbaut sind? Müssen sie samt und sonders ausgetauscht werden? «Das kommt auf das jeweilige Gerät und den Hersteller an», sagt der Experte. «Einige bestehende Geräte können durch ein Software-Update Matter-fähig gemacht werden, bei anderen ist dies nicht möglich.» Grundsätzlich werden diese Matter-Updates nur in seltenen Fällen automatisch ausgeführt; sie müssen vom User initiiert werden. Selbst wenn kein Matter-Update gemacht werden kann, bedeutet das nicht das Ende einer Komponente: Über die Matter-Bridge kann sie in der Regel dennoch ins Matter-Umfeld eingebunden werden.

 

Kein Internet nötig

Ein weiteres Plus von Matter: Intelligenz, Regel- und Steuerfunktionen benötigen kein Internet und keine Cloud. «Matter ist ein lokales System, und das ist eine sehr elegante Lösung», findet Olivier Steiger, «besonders, weil so die Performance der Hausautomation nicht von der Performance des Internets abhängig ist.» Und wie steht es um die Datensicherheit? «Matter verwendet Verschlüsselungen und Blockchain-Mechanismen», weiss der Experte. Der technische Schutz gegen unbefugte Manipulationen von aussen dürfte damit grundsätzlich erfreulich hoch sein. Wie es um den Datenschutz bestellt ist, steht jedoch auf einem anderen, derzeit noch weitgehend unbeschriebenen Blatt. Die Nutzungsbedingungen genau zu lesen, ist zwar empfehlenswert, wird in der Praxis jedoch kaum je gemacht. «Das Potenzial zum Datenmissbrauch ist sicherlich vorhanden und wird bestimmt auch noch zum Thema werden», so Olivier Steiger.

 

Wie weiter?

Der Matter-Standard steht in der Branche auf einer breiten Herstellerbasis, der auch die Platzhirsche angehören. Es scheint, als sei Matter gekommen, um zu bleiben. «Das kann so sein, muss aber nicht», sagt Olivier Steiger, und er gibt zu bedenken: «Die grossen Firmen werden natürlich nicht über Nacht vom Markt verschwinden. Aber in der Vergangenheit hat sich öfter gezeigt, dass sie nicht davor zurückschrecken, Produkte und Projekte fallen zu lassen, wenn diese sich nicht rentieren.» Zurzeit stehen die Chancen, dass Matter sich durchsetzen wird, nach Ansicht des Experten, bei 50 Prozent. Die ersten Konsumentenerfahrungen können für die weitere Entwicklung von Matter ebenso wichtig sein wie die Preisgestaltung und der Nutzwert. «Zurzeit liegt der Schwerpunkt noch bei den Gadgets», sagt Olivier Steiger. «Themen wie Energiemanagement, Speichermanagement und die optimierte Einbindung erneuerbarer Energien müssen in Zukunft unbedingt in Matter integriert werden, damit der Standard langfristig Erfolg haben kann.» Wie es mit Matter weitergeht, ist jedenfalls noch schwer abzuschätzen. Das Projekt steckt mit seiner Version 1.1 noch in den Kinderschuhen und ist damit erst noch dabei, richtig laufen zu lernen.