Die Photovoltaik (PV) spielt bei der Energiewende eine zentrale Rolle. Im Gebäudebereich haben sich PV-Module jedoch nur auf dem Dach durchgesetzt. Als Fassadenelement überzeugen die herkömmlichen PV-Module ästhetisch bisher noch nicht. Ihr dunkel-kristalliner Glanz und ihre technische Anmutung wirken abweisend und lassen den Architekten nur wenig Gestaltungsspielraum.
Mit einem Pionierprojekt will der Architekt René Schmid nun in Sachen PV-Fassade einen grossen Schritt nach vorne machen. Sein neues Mehrfamilienhaus in Brütten bei Winterthur ist von oben bis unten in Photovoltaik gehüllt. Das ist dem Gebäude jedoch nicht anzusehen: Mit seiner mattanthrazitfarbenen Fassade und den hellen Holzfenstern wirkt es auf elegante Weise natürlich. Dahinter steckt eine neuartige Fassadenlösung mit PV-Modulen, die auch wirtschaftlich mit anderen Fassadenausführungen mithalten kann und sie sogar übertrifft. Das Bundesamt für Energie hat die Entwicklung der neuartigen Gebäudehülle unterstützt.
Ambitionierte Ziele
Das Gebäude in Brütten ist das schweizweit erste energieautarke Mehrfamilienhaus. Es ist weder an das Strom- noch an ein anderes Energieversorgungsnetz angeschlossen und deckt seinen Energiebedarf vollständig selbst. Dies ist nur möglich mit einer grossen Photovoltaikfläche, die sich nicht auf das Dach beschränkt.
Die Vorgaben der René Schmid Architekten AG an die Photovoltaik- und Fassadenspezialisten waren präzise, aber ambitioniert: Die PV-Fassade sollte edel und warm wirken – auf keinen Fall blau oder schwarz glänzen. Die für PV-Zellen so typischen Silberfäden durften nicht sichtbar sein. Die PV-Hülle sollte das Haus als völlig homogene Fläche einkleiden ohne Sicherheitshalter oder auffällige Randstücke.
Damit nicht genug: Die Fassade sollte maximal 500 Franken pro Quadratmeter kosten. Zum Vergleich: Eine herkömmliche PV-Fassade schlägt mit 1000 Franken/m2 zu Buche. Hätte man einfach eine Spezialanfertigung beauftragt, wäre diese Kostenvorgabe nicht zu erreichen gewesen.
Veredelung der Oberfläche
Die Frage lautete deshalb: Wie gestaltet man aus möglichst preiswerten Standardmodulen eine Fassade in ganz neuem Look? Die konzeptionellen Überlegungen nahmen ihren Ausgang bei einem rahmenlosen Standard-Dünnschichtmodul, das in jeglichen Sondergrössen zu beziehen ist. Durch eine spezielle Oberflächenbehandlung wurde das Modul zu einer homogenen, matt anthrazitfarbenen «Bauplatte» weiterentwickelt. Diese wurde eingehend auf ihre statischen Eigenschaften und ihr Verhalten bei Schlagschatten überprüft.
Die Analyse zeigte: Die behandelten Module mit ihrer neuen edlen Oberfläche sind stabil und können eingebaut werden. Zum Schutz gegen Verschmutzungen erhielten sie abschliessend eine hydrophobe Beschichtung.
Unsichtbares Fassadentragwerk
Eine weitere Herausforderung war das Montagesystem für die PV-Module. Als Fassadenelemente müssen die Module höhere Sicherheitsanforderungen als in Freiflächen- oder Dachanlagen erfüllen. Gleichzeitig sollten sie eine optisch einheitliche Fläche bilden, die nicht durch Halterungssysteme gestört wird. Und: Die Montage sollte kostengünstig vonstattengehen.
In enger Zusammenarbeit zwischen Tragwerksplanern, Photovoltaik-Fachleuten und dem Fassadenbauer entstand die Fassadenkonstruktion, die diese teilweise widerstreitenden Anforderungen erfüllt: Auf die PV-Paneele wurden mit SSG-Verklebung vertikale Profile angebracht, mit denen die Module in die Unterkonstruktion eingehängt werden können. Finite Element-Modellierungen der PV-Module mit aufgeklebtem Montagesystem zeigten, dass mit dieser Konstruktion eine hohe Tragsicherheit der PV-Module auch unter Windlast gegeben ist. Dank einer «minimalinvasiven» Befestigung konnte auch die Wärmebrückenwirkung deutlich verringert werden.
Wirtschaftlichkeit der PV-Fassade
Die Wirtschaftlichkeit einer PV-Fassade hängt von zwei Faktoren ab: von den Kosten für die Fassade und vom Wirkungsgrad der PV-Module im Betrieb. Um die Kosten niedrig zu halten, setzte man auf vorhandene Standardprodukte, die zu neuen und sehr effizienten Lösungen kombiniert wurden. Die Gesamtkosten der neuartigen PV-Fassade inklusive aller Montage- und Installationskosten liegen bei rund 600 Franken pro Quadratmeter – und damit tiefer als der Durchschnittspreis einer Glasfassade. Deshalb wurden auch auf der Nordseite des Hauses PV-Module und keine optisch angepasste Glasfassade verwendet.
Wirtschaftlich interessant wird das neue Fassadenmaterial aber vor allem als Stromlieferant. Der Wirkungsgrad wird durch die Oberflächenbehandlung der Module nicht verringert. Dies haben Tests ergeben. Doch lohnt es sich überhaupt, Photovoltaik auf Fassaden aufzubringen? Der Einstrahlungswinkel ist weit vom Ideal von 25 Grad Neigung entfernt und dennoch lautet die Antwort: Ja, es lohnt sich überraschend gut. Gründe dafür sind die diffuse Sonnenstrahlung, die von Dünnschichtzellen besonders gut genutzt wird, und der flache Einstrahlungswinkel der Sonne in den Wintermonaten sowie in den Morgen- und Abendstunden. Beides erhöht die Ausbeute der Fassade im Vergleich zum Dach.
Insgesamt erbringt die Fassade rund 50 Prozent des Ertrags eines optimal ausgerichteten Daches derselben Fläche und trägt damit 37 Prozent zur gesamten solaren Jahresernte des Hauses bei. Bei einem Strompreis von 25 Rp/kWh erwirtschaftet die Fassade pro Jahr 11 Franken/m2 (Wartungskosten bereits abgezogen), das Dach, auf dem hocheffiziente monokristalline Solarzellen installiert sind, 33 Franken/m2. Nach einer Lebensdauer von 30 Jahren ist die PV-Fassade günstiger als eine verputzte Fassade.
Selbstversorgung dank ausgefeiltem Speicherkonzept
Um den Energiebedarf des Mehrfamilienhauses zu decken, ist die Solarhülle darauf ausgelegt, rund 100 000 kWh Strom pro Jahr zu liefern. Einem Vier-Personen-Haushalt stellt die Bauherrschaft ein definiertes monatliches Energiebudget zur Verfügung, das er kostenlos beziehen kann. Das Haus ist mit effizientester Technik ausgestattet, so dass dieses Budget ausreicht, ohne dass Komforteinbussen in Kauf genommen werden müssen. Eine hochmoderne Haussteuerung informiert die Bewohner über ihren aktuellen «Kontostand». Benötigen sie mehr Energie als budgetiert, erhalten sie dafür Ende des Monats eine Rechnung.
Die grösste technische Herausforderung ist jedoch nicht die ausreichende Produktion der benötigten Gesamtenergiemenge, sondern die Bereitstellung zum richtigen Zeitpunkt: Die PV-Hülle produziert einen Grossteil der Energie im Sommer, der Bedarf ist jedoch im Winter am grössten. Bei einem völlig autarken Inselsystem wie dem hier vorgestellten Mehrfamilienhaus kann diese Differenz nicht einfach in das öffentliche Stromnetz abgegeben und von dort bei Bedarf wieder bezogen werden. Die Energie muss durch Speicherlösungen vor Ort «auf Vorrat gehalten» werden. In Brütten ist eine ganze Serie von Speichern vorgesehen: Als Kurzzeitspeicher dienen Batterien, die Stromlücken von bis zu 3 Tagen füllen können.
Als Langzeitspeicher wird mittels Elektrolyse Wasserstoff produziert, der in einem grossen Tank aufbewahrt und bei Bedarf über eine Brennstoffzelle verstromt wird. Als thermischer Langzeitspeicher wirken zwei unterirdische Wassertanks mit einem Durchmesser von 6 Metern, die bei Stromüberschuss von der Wärmepumpe aufgeheizt werden und ihr in einer Senke als Wärmespeicher zur Verfügung stehen. In die Wasserspeicher fliesst auch die Abwärme aus der Elektrolyse. Dank dieser Speicherkaskade verfügt das Gebäude auch ohne Netzanschluss über eine hohe Versorgungssicherheit.
Pilotprojekte bereiten den Boden
Das Mehrfamilienhaus in Brütten ist in mehrfacher Hinsicht ein Pioniervorhaben: Es zeigt, welches ästhetische Potenzial in der Photovoltaik steckt. Auch andernorts sind hierzu Neuentwicklungen in der Erprobung wie zum Beispiel PV-Module in verschiedenen Farbtönen. All diese Initiativen werden zu einer höheren Akzeptanz der Photovoltaik als Fassadenelement beitragen.
Mindestens ebenso wichtig für die ehrgeizigen Klimaziele der Schweiz ist der Beitrag des Projekts im Bereich der Speichertechnologie. Ebenso wie bei der PV-Fassade wurden hier keine bahnbrechenden Innovationen entwickelt, sondern bestehende Technologien zu einer neuartigen Lösung kombiniert. Das Ergebnis ist ein Gebäude, das sich ausschliesslich mit Sonnenergie selbst versorgt. In den ab Juni 2016 folgenden Betriebsjahren werden Energieproduktion und -verbrauch im Gebäude intensiv ausgewertet. Auch daraus werden neue Erkenntnisse für das Bauen der Zukunft gewonnen werden können.