Die Gewitterzutaten am 24. Juli waren definitiv vorhanden. An diesem Tag war die Atmosphäre sehr labil geschichtet und es war viel Feuchtigkeit vorhanden, was bereits eine sehr gute Voraussetzung für Gewitter darstellt. Zudem waren deutliche Windscherungen vorhanden, denn der Wind nahm mit der Höhe zu.
Eine Zunahme des Windes mit der Höhe führt dazu, dass die Gewitter in der Regel viel länger als sonst halten, da ihre Auf- und Abwärtsströmungen tendenziell verstärkt werden. All diese Eigenschaften liess die Entwicklung potenziell heftiger Gewitter erwarten. Deshalb hatte MeteoSchweiz bereits am Vortag eine Warnung von möglichen schweren Gewittern für den 24. Juli herausgegeben.
Wetterlage
Bereits am Vormittag entwickelten sich von Westen her viele Gewitter. Gegen 11:15 Uhr traf eine sich rasch entwickelnde Gewitterzelle aus dem französischen Jura kommend von Westen her in die Region Le Locle und La Chaux-de-Fonds. Die kräftige Gewitterzelle brachte Starkregen, Hagel und Sturmwinde mit sich und zog innerhalb einer Viertelstunde über La Chaux-de-Fonds und Umgebung hinweg, wobei sie heftige Schäden anrichtete.
Bei diesem Sturm müssen unglaubliche Windgeschwindigkeiten aufgetreten sein. Sämtliche Verkehrsschilder im Gebiet Le Crêt-du-Locle waren ebenerdig herunter gedrückt! Massive Grabmäler aus Stein wurden umgekippt und der Kirchturm beim Flugplatz Les Eplatures abgerissen. Bei der Bushaltestelle waren das Dach und die Anzeigetafel mit den Eisenstangen ebenfalls vom Wind umgebogen worden. Überall lagen Teile von Schaumstoff und Photovoltaikanlagen herum. Bei den Gebäuden wurden entweder die Dächer abgedeckt oder die Aussenverkleidung weggerissen. Die extremen Winde rissen Dachteile herunter, wehten Gegenstände durch die Strassen und warfen sogar einen Baukran um. Eine Person verlor ihr Leben, rund 40 Personen wurden dabei verletzt.
Eine erste Schadensbilanz der kantonalen Gebäudeversicherung geht von 4000 bis 5000 Schadensfällen aus. Allein die Gebäudekosten machen rund 90 Millionen Franken aus.
Erster Verdacht auf Tornado
Solche Schäden erinnern an Bilder aus den USA nach einem Tornado. Deshalb wurde zuerst davon ausgegangen, dass ein Tornado über La Chaux-de-Fonds hinweg gefegt sei und diese Meldung verbreitete sich auch rasend schnell in den Medien. Tatsächlich haben Tornados in der Schweiz schon mehrmals zu katastrophalen Zerstörungen geführt. Am 19. August 1890 und am 26. August 1971 im Vallée de Joux im Waadtländer Jura, sowie am 12. Juni 1926 bei La Chaux-de-Fonds. Dort haben Tornados von Südwesten nach Nordosten kilometerlange Schneisen in den Wald geschlagen und viele Gebäude teilweise oder total zerstört. Hinweise auf Tornados im Jura können bis ins Jahr 1624 zurückverfolgt werden, wobei die häufigsten aus dem Vallée de Joux stammen.
Downburst – gefährliche Fallböe
Auswertungen von Video-Material und der Art der Schäden deuten jedoch darauf hin, dass es sich mit grosser Sicherheit um einen sogenannten Downburst (Fallböe) handelt. Es war keine eigentliche Schneise vorhanden, wie sie ein Tornado hinterlässt. Vielmehr präsentierte sich eine bestimmte Fläche, in der alles platt gewalzt wurde. Bei heftigen Gewittern können immer wieder kräftige Fallwinde auftreten, die aus der Gewitterwolke herausstürzen: sogenannte Downbursts. Dieser kräftige Fallwind, der im Vorfeld eines starken Gewitters auftreten kann, ist kühl und hat deshalb eine höhere Dichte, deshalb stürzt diese Kaltluft nach unten. Wenn in einer Gewitterwolke der Hagel schmilzt oder die Regentropfen verdunsten, kühlt sich die Luft weiter ab und wird dadurch dichter, das heisst, in einem konstanten Volumen wird die Luft darin schwerer.
Besonders gut können sich diese starken Fallwinde bilden, wenn die mittlere Wolkenschicht in rund fünf Kilometern Höhe relativ trocken ist und genau in diese Schicht fallender Niederschlag verdunstet. Das Verdunsten von Wasser entzieht der Umgebungsluft Energie und kühlt sie deshalb weiter ab. Die fortschreitende Abkühlung verdichtet die Luft weiter und führt zu einer Beschleunigung des Falls. Trifft dieser Kaltluftschwall mit grosser Geschwindigkeit auf den Boden, entstehen heftige Winde, die sich radial nach allen Seiten hin ausbreiten, wobei die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Entfernung vom Auftreffpunkt wieder abnimmt. Solche Winde können sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen und schwere Schäden anrichten. Am Flugplatz Les Eplatures registrierte der Windmesser Höchstgeschwindigkeiten von 217 km/h. Downbursts können so schwere Schäden anrichten, die örtlich jene von mässig starken Tornados erreichen können, jedoch in ihrer Summe diese noch übertreffen, da die geschädigte Fläche meistens grösser ist. Ein so schwerer Fall wie in La Chaux-de-Fonds ist glücklicherweise selten. In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2021 war z.B. die Region Zürich von einem Downburst betroffen. Bei Downbursts zeigt das Schadensbild oft flächenhafte Schäden, in Wäldern meistens Bruch-, Wurf- und Druckschäden. Im Zweifelsfall einer Schadensanalyse ohne Augenzeugen kann eher von einem Downburst ausgegangen werden als von einem Tornado, da diese viel häufiger vorkommen.
Für den Luftverkehr stellen Downbursts eine sehr grosse Gefahr dar, wenn das Flugzeug in den Downburst gerät. Nachdem in den 1970er und 1980er Jahren eine Serie von schweren Unglücksfällen in der Luftfahrt auftrat, wurden Downbursts intensiv erforscht und entsprechende Detektions- und Warnsysteme in Flugzeugen und auf Flughäfen installiert.