Wasserschäden im Flachdach sind kostspielig: Meistens muss das Dach grossflächig geöffnet werden, damit die Wärmedämmung und allenfalls die Abdichtung in Teilen oder gar vollflächig ersetzt werden können. Wenn das Wasser zu tief eingedrungen ist oder die Abdichtung leckte, sind auch Renovationsarbeiten in den Innenräumen notwendig. Sehr teuer werden solche Schäden, wenn Zweckbauten mit wertvollem «Lagergut» betroffen sind, etwa Oldtimersammlungen oder Kunstarchive. Bis vor kurzem gab es jedoch ausser visuellen Inspektionen kaum befriedigende Lösungen, um Flachdächer zu inspizieren und Schäden rechtzeitig einzudämmen. Die bestehende «Hum ID»-Lösung arbeitet mit RFID-Chips. Um ihre Daten auszulesen, sind jährliche Dachbegehungen notwendig. Die Schweizer Firma Siworks AG will dies ändern. Mit ihrem drahtlosen Überwachungssystem «Orkanet» meldet sich das Dach gleichsam selber, wenn Wasser eindringt oder wenn sich in der Dämmebene Feuchtigkeit bildet.
Vom Draht zum Funk
Die Vorgängerlösung von Orkanet entstand vor rund drei Jahren. Eine Holzbaufirma suchte ein System, um Flachdächer zu überwachen, und klopfte bei der Siworks AG an. «Damals bauten wir eine tolle, aber sehr aufwendige Lösung mit Sensoren und einer SPS-Steuerung», erinnert sich Geschäftsführer Lukas Arnet. Wassereintritt und Feuchtigkeitswerte konnten mit dem System zwar einwandfrei erkannt werden, doch der Aufwand für den Bau und die Inbetriebnahme war gross. Auch die Signalübermittlung erwies sich als knifflig: Für eine stabile Verbindung waren Daten- und Stromkabel und damit weitere Dachdurchdringungen notwendig, ein GSM-Modul hingegen verbrauchte zu viel Batterieleistung. «Etwa um diese Zeit gab die Swisscom den Aufbau ihres LPN-Netzes bekannt. Das war die ideale Lösung für unsere Herausforderung», sagt Arnet. LPN nutzt das LoRaWAN-Netz, für das schon zahlreiche interessante Anwendungen existieren (vgl. «Haustech» Nr. 9/2017).
Das neue Produkt, das seit zirka zwei Jahren am Markt ist, funktioniert mit wenig Aufwand. Auf Dachflächen von bis zu 600 Quadratmetern Grösse verlegt man jeweils zwei Kabel. Das obere Kabel verläuft wie eine Ringleitung entlang der Dachkanten. Es wird nicht offen verlegt, sondern einige Zentimeter tief im Kies eingebettet. Das untere Kabel ist schlangenförmig angeordnet, damit möglichst viele potenzielle Kontaktpunkte entstehen. «Viele Systeme sehen eindringendes Wasser als Feind an. Wir nutzen es hingegen, um Kontakt zwischen den beiden Kabeln herzustellen», erläutert Arnet das Prinzip. Beide Kabel führen zu einem kompakten Modul, das etwa so gross ist wie ein Taschenbuch. Es ist innerhalb eines normalen Dachdurchgriffs platziert, also einer geschützten Öffnung im Flachdach. Das Modul misst mit verschiedenen Sensoren den aktuellen Wasserstand, die Feuchtigkeit und die Temperatur im Dach. Sobald gewisse Werte überschritten werden oder zwischen den beiden Potenzialkabeln ein Kontakt entsteht, schlägt es Alarm via SMS, E-Mail oder automatischen Anruf.
Präventive Überwachung
Nach Angaben von Siworks werden ungefähr 70 Prozent aller Schweizer Neubauten mit einem Flachdach ausgeführt. Sehr viele Flachdächer gibt es auch im bestehenden Gebäudepark. «Für Bestandesbauten bieten wir eigens eine ‹Light›-Version an. Bei dieser werden keine Kabel verlegt, der Dachdecker installiert lediglich das Sensormodul für eine Punktmessung», sagt Arnet. Ebenso gibt es die Produktvariante «Orkanet ready» für Neubauten. Hier werden zwar die Kabel installiert, jedoch wird noch keine Sensorbox installiert. Einige Dachdecker nutzen diese Variante laut Arnet, um exponierte Dächer bei Bedarf leicht überwachen zu können. Denn für die Handwerker ist das Geschäftsmodell durchaus interessant: Sie können ihren Kunden nicht nur die Arbeit für die Einrichtung verrechnen, sondern auch ein Serviceabonnement über Jahre oder gar Jahrzehnte anbieten. Im hart umkämpften Markt führt dies zu einer zusätzlichen Verdienstquelle.
Remo Brunner, diplomierter Dachdeckermeister und Abteilungsleiter Flachdach bei der Räss AG in Altstätten SG, hat Orkanet Light diesen Sommer bereits eingesetzt. Auf dem 5500 Quadratmeter grossen Flachdach eines Industriegebäudes installierte Brunner als Präventivmassnahme zwei Orkanet-Light-Messpunkte. «Auf dem Dach stehen unter anderem schwere Rückkühler. Gemeinsam mit der Bauherrschaft haben wir entschieden, die bestehende Kunststoffabdichtung unter den Geräten zu belassen.»
Deshalb installierte die Räss AG auf eigene Kosten die beiden Messpunkte in der Übergangszone von der Kunststoff- zur Bitumen-Abdichtung. «Falls es im Bereich der alten Abdichtung Undichtigkeiten gäbe, könnte man nun rasch und richtig handeln», meint Remo Brunner. Dank der Orkanet-Daten könnte man bei einer Sanierung sehr gezielt arbeiten und anstelle der ganzen Dämmung nur die vollgesogenen Platten ersetzen. «Den Rest der Dämmung könnte man durch kontrollierte Belüftung austrocknen lassen und so viel Sondermüll vermeiden. Aus ökologischer Sicht ist das überzeugend», sagt Brunner.
Lücken im Versicherungsschutz
Eine gute Flachdachüberwachung lohnt sich. Denn ein Versicherungsprodukt, das alle Schäden eines lecken Daches abdecken würde, existiert bis heute nicht. Zwar decken die meisten kantonalen Gebäudeversicherungen «Elementarschäden», also Schäden aufgrund von Elementarereignissen, ab. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Baum auf das Dach stürzt oder Dächer von einem Sturmwind abgedeckt werden. Auch Hagelschauer gehören dazu.
Jedoch sind Schäden durch eintretendes Wasser, zum Beispiel wegen einer defekten Dachabdichtung, nicht gedeckt. Für solche Schäden muss eine Zusatzversicherung aufkommen, die von Privatversichererungen oder – in manchen Kantonen – auch von der Gebäudeversicherung angeboten werden. In einer Handvoll Kantone (AI, GE, OW, SZ, TI, UR, VS) gibt es keine kantonale Gebäudeversicherung, entsprechende Schäden müssen bei privaten Versicherungsgesellschaften versichert werden.
Eine solche Zusatzversicherung ist die «Wasserversicherung» der Mobiliar. Sie deckt Schäden im Gebäudeinneren, die entstehen, weil Regen, Schnee und Schmelzwasser in das Gebäudeinnere eindringen. Dies gilt, wenn das Wasser den Weg via Dach, Dachrinnen oder Aussenablaufrohre oder durch geschlossene Fenster, Türen oder Oberlichter findet. Schäden an der Hausfassade (Aussenmauern inklusive Wärmedämmung) oder am Dach selbst (Tragwerk, Dachaufbau und Dämmung) sind jedoch nicht gedeckt. Bei der Mobiliar signalisiert man jedoch eine gewisse Offenheit für präventive Lösungen à la Orkanet. «In der Ergänzung der klassischen Versicherungen mit technischen Hilfsmitteln liegt sehr viel Potenzial», sagt Mediensprecherin Susanne Maurer. Ein grosses Potenzial sehe man bei der Mobiliar insbesondere in der Reduktion von Wasserschäden.
Mehr Möglichkeiten
Für die Dachdecker ist Orkanet eine weitere Diagnosemöglichkeit und eröffnet mit dem datenbasierten Blick ins Dach neue Geschäftsmodelle. «Bei der optischen Kontrolle eines Flachdachs reinigen wir Kiesstreifen und Abläufe, sehen aber nicht in den Dachaufbau hinein», sagt Remo Brunner. «Bei Neubauten können wir nun zum Beispiel zehnjährige Wartungsverträge inklusive Überwachung anbieten.» Die jährliche Datenauswertung verschaffe dem Kunden wie dem Handwerker ein gutes Bild des aktuellen Dachzustands. Allfällige Sanierungen könne man damit viel besser planen und effizienter umsetzen.
Ein gewisses Marketing-Problem gebe es schon, räumt Brunner ein: «Unsere Kunden erwarten von uns dichte Dächer. Wir müssen ihnen klarmachen, dass wir Orkanet nicht aus Furcht vor Lecks verkaufen, sondern als zusätzlichen Service.» Bei Heizungsanlagen, Umwälzpumpen oder Stellventilen funktioniert dies schon heute: Das frühzeitige Erkennen und Beheben von Problemen dank der «preventive maintenance» überzeugt Bauherrschaften ebenso wie Gebäudebetreiber. Gut möglich, dass in fünf Jahren auch das «intelligente Dach» zu einer klugen Unterhaltsstrategie gehört.