Franziska Rölli, Legionellen können bekanntlich in Sanitärsystemen von Gebäuden vorkommen und eine Lungenentzündung - Legionärskrankheit - sowie eine grippeähnliche Erkrankung - Pontiac-Fieber - verursachen, wenn legionellenhaltige Aerosole eingeatmet werden. Wegen zunehmender Fallzahlen wurde vor 2 Jahren das Projekt «LeCo» von den Bundesbehörden angeregt. Wie breit ist dieses Projekt abgestützt?
Franziska Rölli (FR): Richtig, das Projekt «LeCo - Legionellenbekämpfung in Gebäuden» wurde Anfang 2020 von drei verschiedenen Bundesämtern initiiert: dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sowie den Bundesämtern für Gesundheit (BAG) und Energie (BFE). Dies ist bereits ein Hinweis darauf, wie komplex die Legionellenthematik ist und dass diese die verschiedensten Themenbereiche und Akteure betrifft. Als wir uns auf die Projektausschreibung bewarben, war es uns entsprechend wichtig, als multidisziplinäres Konsortium aufzutreten, das die wichtigsten Bereiche abdecken kann. So sind neben uns seitens Hochschule mit Link zur Gebäudetechnik und Energie auch weitere Forschungsgruppen im Projekt-Konsortium vertreten: Seitens Eawag (Wasserforschungsinstitut der ETH) leiten Dr. Frederik Hammes (Trinkwassermikrobiologie) und Dr. Tim Julian (Krankheitserreger und menschliche Gesundheit) Arbeitspakete mit, seitens des Schweizerischen Tropen- und Public Health Instituts Dr. Daniel Mäusezahl (Humangesundheit). Mit Dr. Hans Peter Füchslin, dem Leiter der Fachstelle Legionellen des kantonalen Labors Zürichs, können wir in unserem Konsortium zudem die Brücke zur Vollzugspraxis schlagen.
Und wie ist der Projektstand zur Halbzeit?
FR: Die Zusammenarbeit über verschiedene Institutionen und mehrere Fachbereiche verlangte anfangs natürlich einiges an Aufbauarbeit, Planung und Absprachen. Auch methodisch galt es, erstmals einiges neu zu etablieren, weiterzuentwickeln und verschiedene aufwendigere Sub-Studien, teilweise auch in Zusammenarbeit mit externen Partnern und Ethikkommissionen, aufzugleisen. Gerade in Bezug auf externe Partner hat uns das grosse Interesse am Projekt und die Bereitschaft mitzuwirken sehr gefreut und die verschiedensten Austausche, die wir in diesem Zusammenhang bereits hatten, waren sehr vielfältig und bereichernd.
Langsam können wir die Früchte der vielen Aufbauarbeiten ernten, und viele Sub-Studien laufen zurzeit auf Hochtouren - eine sehr spannende Phase. Zudem freue ich mich sehr auf die kommenden Monate, in denen vermehrt die Datenauswertung und -interpretation im Vordergrund stehen wird. Sicherlich anspruchsvoll, aber auch interessant, wird die Diskussion werden, in welche Handlungsempfehlungen diese umgesetzt werden können.
Was steht bei der Untersuchung im Vordergrund bzw. was sind die wichtigsten Fragen, die in diesem Programm beantwortet werden sollen?
FR: Ausschlaggebend für unser Projekt waren die von Jahr zu Jahr steigenden Fallzahlen der Legionärskrankheit, die die Behörden und die Politik alarmierten. Das Pflichtenheft seitens des Bundes umfasst entsprechend verschiedene Fragestellungen, die für das Verständnis der Legionellenthematik und eine verbesserte Prävention relevant sind. Diese reichen von der Risikobewertung an der Dusche, verbesserten Probenahmestrategien und der Etablierung von Schnellnachweisverfahren, bis zur Beziehung zwischen Umweltquellen und dem Auftreten von Krankheiten. Aber auch der Einfluss von abiotischen Faktoren wie «Temperatur» und «Stagnation» und von biotischen Faktoren (z.B. andere Mikroorganismen im Biofilm) auf Legionellen werden untersucht sowie Möglichkeiten, ihr Vorkommen und ihre Konzentration präventiv aber auch im Rahmen von Sanierungen zu beeinflussen. Anhand der Erkenntnisse sollen schliesslich Managementstrategien so weiterentwickelt werden, dass das Risiko, sich in Gebäuden mit Legionellen anzustecken, vermindert werden kann. Das Projekt wird sich auch positiv auf die Bewusstseinsbildung auswirken und zu einer Verbesserung der Kommunikation zwischen den verschiedenen nationalen und internationalen Interessengruppen beitragen. Schliesslich hat unser Projekt ein Haupt-Ziel: wie wir es schaffen, die Fallzahlen runterzubringen. Nach einem kleinen, wohl corona-bedingten Rückgang der Fallzahlen im 2020 zeichnet sich dieses Jahr bereits wieder ein neues Rekordjahr mit Zahlen so hoch wie nie zuvor ab.
Das Dilemma zwischen Hygiene und Energiesparen, das man schon bei den Differenzen zwischen SIA-Norm 385/1 und SVGW-Richtlinie W3/E3 in Ansätzen erkennen konnte, bleibt weiterhin bestehen – wie sehen Sie das?
Reto von Euw (RvE): Wie hoch die Temperaturen einer Anlage sein sollten und um Hygiene und Energieeffizienz darin in Einklang zu bringen, kann meiner Meinung nach am besten mit Bedürfnisanalysen eruiert bzw. erreicht werden. Optimal erfolgt diese Abklärung bei den Eigentümern oder den Betreibern bereits während der Vorprojektphase. Dabei sollte geklärt werden, wie sensibilisiert diese im Hinblick auf die Hygiene sind. Ist eine grosse Sensibilisierung auszumachen, indem sie Selbstkontrollen während des Betriebs berücksichtigen und davon ausgegangen werden kann, dass die Planung und die Installation hygienisch optimale Betriebsvoraussetzungen schaffen, können sogar 52 °C in warmgehaltenen Leitungen berücksichtigt werden; also 3 Kelvin unter den von der SIA empfohlenen 55 °C.
Wichtig sind dabei optimale Planung und saubere Installation sowie regelmässige Selbstkontrollen der Warmwassertemperaturen im Speicher und in den Verteilleitungen sowie mikrobiologische Untersuchungen durch den Betreiber. Die SIA definiert bei einer solchen Temperaturerleichterung aber eine Speicheraustrittstemperatur von mindestens 55 °C. Welche Temperaturen schliesslich bei der Planung berücksichtigt werden sollten, ist in einer Nutzungsvereinbarung festzuhalten. Damit können sich die Planer rechtlich absichern, falls die Trinkwasserversorgung nicht bestimmungsgemäss betrieben wird und dadurch hygienische Probleme auftreten könnten.
FR: Ich gehe ebenfalls davon aus, dass eine Warmwasserspeicher-Temperatur von < 60 °C in gewissen Gebäuden reichen kann, um einer Vermehrung von Legionellen entgegenzuwirken. Wie Reto von Euw schon erwähnt hat, ist es in einem solchen Fall aber aus Legionellenpräventions-Sicht umso wichtiger, sicherzustellen, dass die Anlage optimal geplant und betrieben wird und die angepeilten Soll-Temperaturen auch tatsächlich permanent eingehalten werden.
Erfahrungen aus der Praxis und Erhebungen in Realobjekten zeigen allerdings immer wieder, dass Anlagenmängel eher die Regel als die Ausnahme sind und eine systematische Installationsabnahme bei Neubauten inkl. allenfalls nötigen Korrekturen sowie periodischen Kontrollen und Optimierungen während des Betriebs oft auf der Strecke bleiben. Vor diesem Hintergrund wäre es meiner Meinung nach heikel, pauschal niedrigere Temperaturen zu propagieren und gleichzeitig zu hoffen, die Legionellen im Griff zu haben. Entsprechend ist eine Temperaturvorgabe von 60 °C im Speicher auch als eine Art Sicherheitspuffer zu sehen. Neben der Speichertemperatur haben aber viele weitere Faktoren einen Einfluss darauf, ob sich Legionellen irgendwo im System vermehren und so auch zu den Entnahmestellen gelangen können.
Zusammengefasst ist es sowohl aus hygienischer wie auch energetischer Sicht wichtig, diese Diskussion nicht nur auf die Speichertemperatur zu reduzieren - diese ist in der Regel sowieso viel dynamischer als die Diskussionen glauben machen - sondern vermehrt das Zusammenspiel der relevanten Faktoren im Gesamtsystem zu betrachten und in den Griff zu bekommen. Punktuell können so zukünftig je nach System und der Qualität von Planung, Ausführung und Betrieb, allenfalls auch Temperatur-Optimierungen möglich sein.
Wo genau stehen Sie beide persönlich im Clinch zwischen Hygiene und Energieeffizienz?
FR: Ich finde es wichtig, dass beide Ansprüche ernst genommen, aber nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wie bereits diskutiert, gibt es verschiedene Aspekte, die sich bei Berücksichtigung sowohl auf die Hygiene wie auch Energieeffizienz positiv auswirken.
Entsprechend wäre es für beide Ansprüche auch wichtig, noch mehr die herausfordernden und wichtigen Tätigkeiten in der Gebäudetechnik sichtbar zu machen, und mit welchen Vorteilen eine Investition in Qualität einhergehen würde. Schliesslich ist es mir persönlich wichtig, möglichst offen für integrale Lösungen zu bleiben und auch neue Wege und Ideen zu diskutieren und allenfalls auszuprobieren.
RvE: Zwischen Hygiene und Energieeffizienz muss nicht zwingend Clinch herrschen. Eine sauber geplante und installierte Wasserverteilung sowie eine ideale Einbindung des Warmwasserspeichers in das Heizungssystem kann hygienisch einwandfrei und energieeffizient betrieben werden. Dabei muss das Gesamtpaket «Warmwasserversorgung» in allen Phasen, von der Planung über die Ausführung und während des Betriebs, betrachtet werden. Bei beiden Herausforderungen gilt es ideale Lösungen zu finden und sollten gleichwertig thematisiert werden. Auch in der SIA Kommission 385 hatten wir den Anspruch, dass neu geplante Warmwasserversorgungen hygienisch einwandfrei und energieeffizient betrieben werden können.
Welche Zusammenarbeit bzw. Harmonisierungsbestrebungen gibt es im deutschsprachigen Raum bei der Legionellenprophylaxe bzw. der Hygiene in Trinkwasserinstallationen?
RvE: Nicht nur als Dozent, sondern auch wegen meinen Normentätigkeiten fühle ich mich verpflichtet über die Grenzen zu schauen. Dabei gilt es geltende und neu erschienene Regelwerke aber auch Neuerkenntnisse von Anlagen oder Komponenten zu beurteilen. Weiter gibt es SIA-Kommissionsmitglieder, die direkt in europäischen Normenarbeitsgruppen mitarbeiten und uns regelmässig über Entscheide und/oder Diskussionen informieren. Durch Recherchen von wissenschaftlichen Berichten erfahre ich weiter, welche Bestrebungen verfolgt werden sollten. Falls daraus neue Lösungen oder Empfehlungen ergeben, werden diese in unterschiedlichen Gremien diskutiert und wenn sinnvoll, in den Regelwerken aber auch in Produktenwicklungen berücksichtigt.
FR: In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren diesbezüglich sowohl auf Bundesebene wie auch auf kantonaler Ebene und bezüglich des Austauschs unter verschiedenen Verbänden und Richtlinien-Kommissionen einiges getan. Es wurden verschiedene Austauschgefässe und Arbeitsgruppen geschaffen, Veranstaltungen organisiert und Weiterbildungsangebote entwickelt. Bestrebungen, die sowohl die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren und Branchen fördern wie auch die nötigen Grundlagen schaffen, um einen möglichst breit akzeptierten, optimalen Umgang mit diesen Themen zu finden. Dies ist sicher ein langfristiger Prozess, der aber wichtig ist, um Klarheit zu schaffen und Verunsicherungen wie auch Widersprüchlichkeiten abzubauen.
Im LeCo-Projekt ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Beprobung auf Legionellen zu nennen, die bisher sehr unterschiedlich erfolgt ist, oft ohne dies genau zu deklarieren. Entsprechend wurden die Ergebnisse teilweise fehlinterpretiert und «Äpfel mit Birnen» verglichen. Eine verstärkte Optimierung und Harmonisierung in diesem Bereich hätte wohl nicht nur eine positive Wirkung auf die Aussagekraft und entsprechend den Nutzen von Beprobungen, sondern würde es auch eher erlauben, grösser angelegte Auswertungen zu machen. Dies wiederum wäre wichtig, um zukünftig noch besser zu verstehen, wo die Hauptrisiken liegen, welche Objekte am häufigsten betroffen sind und wie stark sich die Legionellenproblematik mittlerweile auch auf Kaltwasserinstallationen verschoben hat. Dieses Wissen wäre wiederum wichtig, um die Ressourcen bei Präventionsbestrebungen möglichst zielgerichtet und entsprechend wirkungsvoll einsetzen zu können.
Franziska Rölli, Sie haben an der letzten Hygienetagung der Branche im Rahmen eines Forschungsprojekts optimierte Untersuchungsmethoden zur fachgerechten Beprobung von Trinkwasserinstallationen auf Legionellen in Aussicht gestellt. Wie weit ist man hier?
FR: Tatsächlich ist dies ein Thema, das wir zusammen mit verschiedensten Akteuren aus der Praxis im Rahmen eines Forschungsprojekts angegangen sind. Ein Produkt daraus ist die neue Methode MW 101, in der viele wichtige Aspekte zusammengefasst sind, die es bei der Untersuchung von Trinkwasserinstallationen auf Legionellen zu berücksichtigen gilt. Vor allem sollte zuerst das Untersuchungsziel definiert und ein Überblick über die zu beprobende Anlage geschaffen werden. In Abhängigkeit von Ziel und Anlagenbegebenheiten erfolgt dann die Definition des Vorgehens. Die MW 101 unterstützt anhand von verschiedenen Flussdiagrammen, Anleitungen und Dokumentationsvorlagen dabei, jeweils das richtige Vorgehen zu wählen, die wichtigsten Aspekte zu berücksichtigen und dank der Dokumentation der Beprobung auch eine aussagekräftige Interpretation zu ermöglichen.
Im Rahmen des LeCo-Projekts konnten wir eine erste Version der Methode finalisieren und diese dank dem SVGW auf der SVGW-Methodenplattform publizieren. Auf der gleichen Site besteht zudem die Möglichkeit, Rückmeldungen zur Methode oder einzelnen Aspekten zu geben. Zum Beispiel, was sich bewährt, was unverständlich ist und welche Optimierungspotentiale noch bestehen. Im Verlaufe des nächsten Jahres soll basierend darauf und neuen Erkenntnissen aus dem LeCo-Projekt bereits eine erste Überarbeitung und Verbesserung der Methode erfolgen.
Da eine aussagekräftige Beprobung erfahrungsgemäss mehr erfordert, als nur irgendwo eine Flasche mit Wasser zu füllen, haben wir auf Basis der MW 101 zudem einen eintägigen Weiterbildungskurs entwickelt, den wir seitens HSLU zusammen mit der STFW und Suissetec an drei Standorten regelmässig anbieten.
Was steht in den nächsten 2 Jahren im Vordergrund bzw. womit kann die Gebäudetechnik rechnen?
RvE: Einiges habe ich bei der Frage dezentrale vs. zentrale Wassererwärmung bereits erwähnt. Ich erhoffe mir, dass in zwei Jahren bezüglich Kalt- und Warmwassertemperaturen weitere eindeutigere Erkenntnisse vorhanden sind. Weiter werden wir vermehrt auf das Kaltwasser ein Augenmerk legen müssen. Da gilt es, Lösungen zu erarbeiten, bei denen die Kaltwassertemperaturen unter 25 °C oder noch tiefer gehalten werden können. Ziel dabei sollte sein, dass diese Lösungen ohne grossen technischen Mehraufwand und ohne energieintensive Anlagen möglich sein werden. Daneben erhoffe ich mir, dass durch bestehende oder neue Filtertechnik, die Hygienelösungen vereinfacht werden können. Gewisse Filtertechnikverfahren verursachen «Verwurfwasser». Dieses aber auch Wasser aus Spülsystemen gilt es anderweitig wieder zu nutzen. So könnte das «Verwurfwasser» während wasserarmen Monaten z.B. für Gartenbewässerung und/oder Kanalspülung wieder genutzt werden.
Ganz bestimmt müssen alle am Bau beteiligten Personen sich regelmässig über geltende hygienische Anforderungen von gebäudetechnischen Wasser- und Lüftungsanlagen auf dem Laufenden halten. Dies aufgrund von neuen Erkenntnissen, neuen Regelwerken und neuen Lösungen. Die ganze Hygieneproblematik ist sehr dynamisch.
FR: Ich schliesse mich da an, dass neue Erkenntnisse immer wieder zu Änderungen in den Regelwerken führen, und neue Verfahren und Technologien es nötig machen, sich laufend wieder Gedanken zu machen, wie diese hygienisch und energetisch möglichst optimal eingesetzt werden können. Entsprechend ist es erforderlich, sich auf dem Laufenden zu halten und regelmässig weiterzubilden. Diese Investition lohnt sich sicherlich auch, weil nicht davon auszugehen ist, dass die hygienischen und energetischen Ansprüche in naher Zukunft abnehmen werden.
Unabhängig von zukünftigen Änderungen, Präzisierungen und Ergänzungen in den Regelwerken, wäre es aber zurzeit meiner Meinung nach vor allem wichtig, dass den bisherigen Vorgaben vermehrt Beachtung geschenkt wird und wieder mehr in Qualität in Bezug auf Planung, Umsetzung und Betrieb gesetzt wird. Mit der seriösen und systematischen Abnahme einer Installation bei Gebäudeübergabe wie auch regelmässigen Kontrollen während des Betriebs (z.B. anhand der SVGW Richtlinien-Ergänzung W3/E4) könnten zudem relevante Mängel unmittelbar entdeckt und sofort Massnahmen eingeleitet werden, sodass sich diese Mängel nicht jahrelang auf Hygiene und Energieeffizienz auswirken können.
Der vollständige Beitrag ist in p+i 05/22 erschienen