(Bilder: Adobe Stock)

(Bilder: Adobe Stock)

Konstruktive Kritik

Kritikgespräche ohne Klimastörungen

Anlässe für Kritikgespräche gibt es immer wieder. Jemanden zu kritisieren, ist für den Vorgesetzten nicht angenehm, weil er sich dabei aufregt und die falschen Worte wählen könnte. Kritik anzunehmen ist auch für den Kritisierten unangenehm, weil er sich in seinem Selbstwert verletzt fühlt.

Andreas kommt morgens zu spät. Marco hält sich nicht an Anweisungen. Sonja arbeitet zu langsam. Jonas ist so unordentlich. Miriam ist mehr mit ihrem Handy als mit der Arbeit beschäftigt. Anlässe für Kritikgespräche gibt es immer wieder ...

Formen der Kritik
Die „destruktive Kritik“ macht dem Mitarbeitenden die Leistungsdefizite klar und lässt ihn dann „im Regen stehen“. Im Gegensatz dazu steht die „konstruktive Kritik“, der Vorgesetzte klärt die Fehlerursache und erklärt dem Kritisierten, warum das nicht mehr vorkommen darf. Konstruktive Kritik verletzt nicht das wichtige Selbstwertgefühl des Mitarbeitenden. Aus seiner Sicht gilt: nur wer mich lobt, darf mich auch kritisieren.

Konstruktive Kritik
Regel 1: Am Gespräch beteiligen
Dazu eignen sich Fragen: „Warum kommst du nicht pünktlich?“, „Wieso konntest du den Termin nicht einhalten?“ Hat der Kritisierte Gelegenheit zur Stellungnahme, ist er aktiv am Gespräch beteiligt. Der Vorgesetzte muss auch mit Ausreden rechnen, oder damit, dass die Schuld anderen Personen oder Umständen zugeschoben wird: „Das liegt heute am Stress“. Manche Ausrede dient dem Selbstschutz der Mitarbeitenden. Ganz wichtig: Für jedes Kritikgespräch ist ein klarer Tatbestand nötig.

Regel 2: Nie persönlich werden
Im Ärger sagt der Vorgesetzte versehentlich mit lauter Stimme: „Mann oh Mann, bist Du aber langsam heute, Du kommst überhaupt nicht voran.“ Sachbezogene Bewertung hört sich anders an: „Diese Arbeit hat aber verhältnismässig viel Zeit gebraucht.“ Kritik darf sich nur auf den Fehler und das Leistungsdefizit des Mitarbeitenden beziehen, nicht auf seine Person. Die Formulierung „Von Ihnen bin ich enttäuscht“ kann sachlich gemeint sein, sie hört sich für sensible Menschen persönlich an, die meisten werden sich gleich verteidigen. Auch die Konditionaltechnik bewährt sich: „Wenn Du das so und so bearbeitest, geht es schneller.“ Dabei wird die Voraussetzung genannt, unter der sich die Arbeit schneller erledigen lässt. Der Mitarbeitende fühlt sich nicht persönlich kritisiert, sondern sein Verhalten wird korrigiert, er erfährt, wie man eine Arbeit effizienter erledigt.  

Regel 3: Leistungsgrenzen bedenken  
Neue oder jüngere Personen haben nicht die Routine wie ein Kollege mit Erfahrung. Durch gründliche Einweisung und systematische Kontrollen können die meisten Fehler vermieden werden. Bei der Arbeitseinteilung muss auch die Belastungsgrenze des Mitarbeiters beachtet werden. Wer überfordert ist, macht nicht immer alles richtig. Kritik hängt mit dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe und dem Leistungsvermögen des Einzelnen zusammen. Daher muss jeder Fall sehr individuell beurteilt werden, beim Vergleich einer Leistung darf sich der Vorgesetzte nicht am Leistungsstand des allerbesten Mitarbeiters richten. Der Beste ist nicht der Massstab für durchschnittliche Leistungen.

Regel 4: Nur unter vier Augen kritisieren
Jemanden vor anderen zu kritisieren, zeigt schlechten Führungsstil und ist für das Arbeitsklima besonders schädlich. Kritik an einer Person vor anderen ist ein Verstoss gegen Führungsgrundsätze. Auch nach dem Kritikgespräch sollten nicht unnötigerweise andere davon erfahren. Reklamiert der Kunde, ist es selbstverständlich, dass der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter nicht anschwärzt. Fehler des  Personals werden nur intern besprochen.

Regel 5: Positive Folgen besprechen  
Es werden nicht nur Nachteile besprochen, die sich aus einem Fehler ergeben, sondern die Vorteile, die entstehen, wenn der Fehler vermieden wird. Meist erklärt man dem Mitarbeitenden nur die negativen Folgen, stellt den „Worst-Case“ dar und malt den Teufel an die Wand, statt die positiven Konsequenzen deutlich zu machen. Wirksamer ist es, über den „Best-Case“ informieren: „Wenn du dich genau an die Anleitung hältst, dann bist du schneller fertig“. Das Kritikgespräch wird zur Chance für die Vermeidung von Fehlern.

Muster für die Gesprächsführung
Zwischen der Ich- und der Du-Botschaft besteht ein deutlicher Unterschied. Die Du-Botschaft wirkt persönlich und vorwurfsvoll: „Du bist zu langsam…, Du musst dich mal beeilen…, Du hast das  falsch gemacht…, Du hast wieder… vergessen.“ Die Ich-Botschaft wirkt vorwurfsfrei und wird eher angenommen: „Ich habe festgestellt…, Mir fällt auf…, Ich sehe gerade…“. Auch die Erwartungen an den Kritisierten lassen sich in der Ich-Botschaft konstruktiv formulieren: „Ich wünsche mir…, Ich erwarte, dass…, Ich bitte dich dringend…“.
Mit den unterschiedlichen Formulierungen kann der Wirkungsgrad der Kritik gesteigert oder gesenkt werden. Zunächst formuliert man die Kritik in Stufe 1 und verzichtet auf „müssen“ und „dürfen nicht“. Gesprächstypisch sind Formulierungen wie „Ich empfehle dir…, Ich bitte, dass…, Achte zukünftig bitte auf…“. Gesprächstypisch für die Stufe 4 ist: „Du musst unbedingt…“. Bei weiteren Fehlern oder Verstössen gegen Anweisungen führt kein Weg an einer Abmahnung, der gelben Karte, vorbei. Zum kooperativen Führungsstil gehört es auch konsequent zu sein, das Team erwartet das. Wer den Mut verloren hat, wegen Personalmangel eine Stufe höher zu gehen, wird sich auch bei anderen Mitarbeitern nicht mehr durchsetzen können.

Google hat für seine Mitarbeiter in den USA folgende Grundsätze geschaffen: „Fehler sind keine Katastrophe, sofern sie nicht viel kosten. Fehler müssen schnell erkannt werden und dürfen sich keinesfalls wiederholen. Fehler müssen transparent werden, damit sie sofort beseitigt werden können“. Jüngere, weniger erfahrene Mitarbeitende werden bei schwierigen Arbeiten nicht alleine gelassen, ein erfahrener Kollege überwacht sie und erkennt sofort mögliche Fehler.

Am Ende des Kritikgesprächs zeigt der Kritiker Zuversicht und äussert sein Vertrauen, dass sich der Fehler nicht wiederholt. Damit wird der Kritisierte moralisch zur besseren Leistung verpflichtet, wer motiviert ist, erhöht sogar seinen Ehrgeiz. Nach einem gelungenen Kritikgespräch wird sich der Mitarbeitende besonders anstrengen. Die Verbesserung der Leistung sollte ausdrücklich anerkannt werden, der Mitarbeitende  erwartet das. Denn wer sich nach einem Kritikgespräch bessert, braucht eine Rückmeldung. Das spornt an und motiviert, die gute Leistung zu halten. Der Erfolg eines Kritikgesprächs wird daran gemessen, in wieweit der Betroffene sein Verhalten ändert, seine Leistung verbessert. Kritik wird heute meistens als „Feedback“ bezeichnet, als Rückmeldung über den Leistungsstand des Mitarbeitenden. Mit dem Begriff „Feedback“ wird für den Betreffenden der Ernst der Beurteilung herausgenommen. Viele verstehen Rückmeldung nicht als Kritik, sondern als Meinungsäusserung und nehmen das Gespräch auf die leichte Schulter.

Abmahnung: gelbe oder rote Karte? 
Die Gründe für eine Abmahnung, für gelb, sind vielfältig: Verstoss gegen Anweisungen, Verweigerung von bezahlten Überstunden, Rauchen am Arbeitsplatz, Alkoholkonsum, Verstoss gegen Sicherheitsvorschriften, dauernde Handy-Nutzung, Unpünktlichkeit, Unerlaubte Nebentätigkeit, mehrfach unentschuldigtes Fehlen.
Verstösst jemand trotz der Kritik des Chefs wiederholt gegen Anweisungen, ist eine Abmahnung oder ein Disziplinargespräch die letzte Möglichkeit, eine Kündigung zu vermeiden. Die Abmahnung hat eine Warnfunktion und muss sich auf einen oder mehrere konkrete Verstösse beziehen. Entgegen weit verbreiteter Ansicht, kann eine Abmahnung auch mündlich erfolgen, Schriftform ist zwar besser, aber nicht erforderlich.  
Die Handynutzung kann abgemahnt werden, führt in der Regel aber zum Vergleich der geduldeten Handynutzung in anderen Betrieben. In der Praxis kommt es auf die Verhältnismässigkeit an. Duldet der Arbeitgeber die gelegentliche Nutzung, wird der Arbeitnehmer auch eher bereit sein, Mehrarbeit ohne Vergütung zu leisten. Damit wird Entgegenkommen nicht zur Einbahnstrasse.
Eine Abmahnung ist nicht erforderlich wenn es um schwere Vertragsverletzungen geht, z.B. Veruntreuung oder Diebstahl. Man kann voraussetzen, dass es dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass es in diesen Fällen zur fristlosen Kündigung, zur roten Karte, kommt.


Kommunikationsmuster für unterschiedliche Formulierungen
Stufe 1 / Die Bitte: „Bitte achte zukünftig auf …“
Stufe 2 / Der Wunsch: „Ich möchte, dass Du auf … achtest“
Stufe 3 / Die Erwartung: „Ich erwarte, dass Du ab sofort …“
Stufe 4 / Der Appell: „Du musst unbedingt …“
Stufe 5 / Die Abmahnung: „Ich fordere dich auf …, das ist eine Abmahnung.“

Das Kritikgespräch ist nicht gelungen, wenn ...
...    sich der gleiche Fehler beim Betreffenden wiederholt, also keine Besserung eintritt.
...    sich die Leistung nur kurzfristig bessert und dann wieder nachlässt.
...    der Mitarbeitende guten Willens ist, aber die erwartete Leistung nicht erbringen kann.
...    der Mitarbeitende sich frustriert zurückzieht und sich sein Einsatz verschlechtert.
...    es zu einer Diskussion über den Tatbestand kommt.
...    der Vorgesetzte selbst nachtragend oder auch misstrauisch ist.
...    er die  Diskretion verletzt und andere, vor allem Unbeteiligte, von der Kritik erfahren.
...    er mit seiner Kritik wartet, Tatbestände also schon länger zurückliegen.
...    der Vorgesetzte etwas kritisiert, für das der Betreffende nicht verantwortlich ist.