Alois Gartmann, Ihre Delegiertenversammlung hat grünes Licht zur flächendeckenden Einführung von Bildungscoaches in der Schweiz und Liechtenstein gegeben. Welche Erfahrungen konnten Sie aus den Pilot-Regionen sammeln und was wird sich daraus ergeben?
Wir können bereits jetzt schon erkennen, dass das Projekt in den Pilot-Regionen Früchte trägt. So hat sich die Lehrvertragsauflösungsquote in der Sektion Aargau zum Beispiel nahezu halbiert. Auch bei den Durchfallquoten ist eine leicht positive Veränderung messbar. Ein Bildungscoach ist das Beste, was den Betrieben passieren kann. Der Coach ist kein Besserwisser, sondern vielmehr in Analogie zu einem Trainer aus dem Spitzensport zu sehen: Die Ausbildner, resp. die Betriebe erhalten eine individuelle Beratung zur Seite gestellt. Es geht ums «Feintuning»: Aus einer guten Ausbildungskultur wird die bestmögliche Ausbildungskultur rausgekitzelt. Es freut mich, dass die Delegierten die Wichtigkeit und das Potential dieses Projekts erkannt haben und sich für das Projekt ausgesprochen haben.
Von 100 Jugendlichen aus der Gebäudetechnikbranche beenden nur 57 ihre Berufslehre erfolgreich. Die Abbruch- und Durchfallquoten betragen 28 bzw. 21 Prozent. Was wird der Bildungscoach daran ändern bzw. verbessern? Was sind seine Hauptaufgaben und was sind die Ziele?
Unser ambitioniertes Ziel lautet, die Abbruch- und Durchfallquoten auf unter 10 Prozent zu senken. Dazu wird rund ein Dutzend regionaler Bildungscoaches eingesetzt, welche die mehr als 2000 Suissetec-Ausbildungsbetriebe mindestens einmal jährlich besuchen und auditieren. Wichtig ist mir zu betonen, dass die Bildungscoaches explizit für die Unterstützung der Betriebe und ihrer Ausbildungsverantwortlichen zuständig sind – und nicht für die Lehrlinge. Suissetec als Zentralverband koordiniert den Erfahrungsaustausch und die Weiterbildung der Bildungscoaches und nimmt die Qualitätssicherung wahr.
Zu den hohen Durchfallquoten bei den Auszubildenden: wie steht es mit der Unterstützung während der Ausbildungsdauer?
Das kann man nicht generell beantworten, vielfach sind die Betriebe schon sehr gut unterwegs und kümmern sich so wie es sein müsste um ihre Lehrlinge. Teilweise gibt es aber schon noch «Luft nach oben», denn sonst gäbe es nicht so viele, die ihre Lehre abbrechen oder am Ende das QV nicht bestehen. Oftmals ist es wohl auch der Zeitdruck; aber das darf keine Ausrede sein. Zuerst muss man säen und den Acker hegen und pflegen, erst dann kann man ernten. Also wer sich nur ungenügend um die Entwicklung der jungen Berufsleute kümmert, der darf sich nicht wundern, wenn diese wenig motiviert sind, keine Spitzenleistungen erbringen oder gar den Bettel hinschmeissen. Es ist ein Miteinander und es braucht beide Seiten, den Lehrling wie auch den Betrieb – nur gemeinsam lässt sich Erfolg haben.
Wie schnell rechnen Sie mit Verbesserungen in der Branche?
Es ist ein Marathon und kein 100-Meter-Lauf. Bei den Abbruchquoten sieht man schneller Fortschritte, aber auch die Durchfallquoten werden in einigen Jahren sinken. Geben Sie uns ein paar Jahre. 2025 erhoffe ich mir erste positive Zahlen. Die ersten Analysen aus der Pilotregion Aargau, die bereits einen Bildungscoach etabliert hat, sind vielversprechend.
Wie wird der Erfolg gemessen? Was sind neben den quantitativen die qualitativen Ziele?
Die qualitativen Ziele werden wir gemeinsam mit den Sektionen und unter Einbezug der Betriebe formulieren. Wir werden das Monitoring und die Qualitätssicherung in den kommenden Wochen aufgleisen, so dass das systematisch erfolgt und wir frühzeitig Tendenzen spüren, die sich dann später auch zahlenmässig niederschlagen werden.
Wie bzw. durch wen wird der Bildungscoach finanziert?
In Vorleistung gehen die Sektionen und der Zentralverband. Rund 900 000 Franken gehen zu Lasten der Sektionen und rund 250 000 Franken zu Lasten des Zentralverbandes. Wie die Sektionen diese Investitionen – für mich sind es Investitionen und keine Kosten – tätigen, wird unterschiedlich sein. Wichtig ist: Wenn wir die beiden Quoten nur um je 5 Prozent senken, so sind wir bereits kostenneutral unterwegs.
Kümmert sich der Bildungscoach um sämtliche Branchen-Berufe oder geht es nur um die Installateure?
Der Bildungscoach ist für alle Berufe in der Gebäudetechnik-Branche da, egal ob in der Planung oder Ausführung. Jeder Ausbildungsbetrieb hat das Anrecht auf den Besuch eines Bildungscoachs. Es geht uns darum, dass die Qualität in der gesamten Branche angehoben wird: Aus ungenügend soll mindestens genügend werden, und aus genügend soll gut werden... Alle Lehrlinge sollen dank dem Bildungscoach beim QV in Zukunft besser abschneiden.
Viele Lehrbetriebe werden sich nun fragen: Wann erhalten wir einen Bildungscoach?
Nun nach der Sommerpause starten wir mit den ersten Workshops. Sprich, jetzt werden die detaillierten Stellenbeschriebe der Bildungscoachs erstellt sowie die Auditabläufe und sonstigen Prozesse definiert. Ziel ist es, dass sich die Sektionen untereinander absprechen und allenfalls sektionsübergreifende Vereinigungen definieren und in dieser Organisation dann die Bildungscoaches rekrutieren. Wir rechnen damit, dass wir mit dem Start ins neue Jahr rund die Hälfte der Bildungscoaches rekrutiert haben werden und bis Ende 2024 hoffentlich dann alle.
Wie viele Bildungscoaches werden es am Schluss sein, und wie werden sie ausgebildet? Was für ein Profil werden sie haben?
Das genaue Anforderungsprofil wird nun definiert; es ist uns wichtig, dass die Coaches einen Bezug zur Wirtschaft haben bzw. diesen behalten. Deshalb werden es wohl eher nicht vollamtliche Bildungscoaches sein, sondern viele Bildungscoaches werden ihre Aufgaben im Teilzeitpensum machen – und daneben noch «klassisch» in ihrer Firma arbeiten. Deshalb ist das Mengengerüst stark vom Pensum abhängig. Vermutlich sprechen wir schweizweit von rund 15 Personen.
Wie definiert Suissetec eine «gute Ausbildungskultur»?
Eine gute Ausbildungskultur ermöglicht ein permanentes Lernen, das Freude macht und Mehrwert bietet. Die Ausbildung wird zu einer Herzenssache. Es soll eine Win-Win-Situation für beide Seiten sein, für die Lehrlinge wie auch für die Ausbildungsbetriebe. Zu einer guten Ausbildungskultur gehören Interesse und Teamwork, aber genauso auch das Aufzeigen von Grenzen und das Schaffen von Verbindlichkeiten. Eine Begegnung auf Augenhöhe und ein offenes Ohr sind wohl auch Merkmale einer guten Ausbildungskultur. Es ist wie in einer Beziehung, man durchläuft und meistert gute sowie schwierigere Zeiten – stets gemeinsam. Dann kann und soll man von den Lehrlingen auch Engagement einfordern. Und man wird gemeinsam die Ziele erreichen und so qualifizierte Fachkräfte ausbilden. Diese benötigen wir dringend für die Energiewende und das Erreichen der Klimaziele.
Was macht Suissetec, um die Auswirkungen der Akademisierung auf das System der dualen Ausbildung besser zu meistern? Wie bekommt die Branche mehr gute Lehrlinge und Fachkräfte im Gebäudebereich?
Es gibt da seitens Bund die Bildungsoffensive Gebäude, bei der wir auch federführend mitgewirkt haben und uns weiterhin einbringen. Aber auch Suissetec intern engagieren wir uns seit Jahren. Nur können wir leider auch nicht zaubern. Aber ich kann versichern – wir bleiben dran, denn steter Tropfen höhlt den Stein. Es braucht Massnahmen wie den Bildungscoach, damit stärken wir auch Image und Ansehen. Und es braucht wieder mehr Berufsstolz von uns allen – welch coole Projekte wir Gebäudetechniker machen, da braucht sich wirklich keiner zu verstecken! Und unsere Berufe sind ja auch sinnstiftend, krisensicher und systemrelevant. Vorleben und Mund-zu-Mund-Propaganda sind noch immer am glaubwürdigsten und effektivsten. Diesbezüglich sind wir gefordert, und zwar ausnahmslos alle, Tag für Tag!
Was unternimmt Suissetec allgemein für die Nachwuchswerbung bzw. -rekrutierung?
Da verweise ich auf die zahlreichen Image- und Rekrutierungskampagnen aus unserer «MarKom-Küche»; gerade diesen Herbst starten wir mit einer neuen Kampagne, die zum Schnuppern animieren soll. Denn eine Schnupperlehre ist eigentlich immer nötig, um festzustellen, ob es gegenseitig «matcht». Daneben läuft unser Markenbotschafter-Programm nun schon im dritten Jahr und zeigt immer wieder neue, vielfältige und erfolgreiche Karrieren in der Gebäudetechnik – dies macht stolz und stärkt die Aussenwahrnehmung einer erfolgsversprechenden Branche, in der es Jobs mit Zukunft und hervorragenden Perspektiven gibt.