Der 40-jährige Syrer Aala Eddin Kabbani arbeitete in seinem Heimatland als Elektromonteur, doch sein Diplom wurde in der Schweiz nicht anerkannt. Nun konnte er bei der Firma Nussbaumer Elektro AG eine Ausbildung zum Elektroinstallateur absolvieren. (Foto: zVg)

Roman Müller, Inhaber der Müller Elektro AG und der Nussbaumer Elektro AG: «Ich möchte diesen Menschen eine Chance geben, bei uns beruflich Fuss zu fassen und eine Existenz aufzubauen.» (Foto: zVg)

Beat Waeber, Geschäftsleiter der Riedo Clima AG in Düdingen: «Die jungen Immigranten sind sehr motiviert – schliesslich geht es bei ihnen ums Überleben. Zudem zeigen sie sich sehr loyal gegenüber dem Unternehmen, das für sie wie eine Familie ist.» (Foto: zVg)

Bildungsoffensive Gebäude, Teil 4: Integrationsvorlehre INVOL

«Ohne sie könnten wir viele Stellen nicht mehr besetzen»

Seit 2018 haben Migrantinnen und Migranten in der Schweiz die Möglichkeit, eine Integrationsvorlehre (INVOL) zu absolvieren – unter anderem in der Gebäudebranche. Dort macht man positive Erfahrungen mit diesem Modell.

Aala Eddin Kabani ist aus Syrien geflüchtet. Zuerst nach Jordanien. Von dort über die Türkei in die Schweiz. Der 40-Jährige arbeitete in Syrien als Elektromonteur. Doch sein Diplom wurde in der Schweiz nicht anerkannt. Die Firma Nussbaumer Elektro AG in Baar bot ihm die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Elektroinstallateur zu absolvieren. «Das war eine intensive Zeit», erinnert sich Aala Eddin Kabani, «alles war neu für mich, vor allem die Sprache.» Das Fachliche hingegen, von Mathematik über Physik bis Elektrotechnik, war ihm von seiner Ausbildung in Syrien bereits bekannt. «Dank der tollen Unterstützung meines Lehrbetriebs habe ich die Ausbildung geschafft», freut sich der Handwerker.

Beitrag gegen Fachkräftemangel
Seit etwa neun Jahren arbeitet Roman Müller, Inhaber und Geschäftsführer der H. Müller Elektro AG in Rotkreuz sowie der Nussbaumer Elektro AG in Baar, mit Migranten zusammen. «Ich möchte diesen Menschen eine Chance geben, bei uns beruflich Fuss zu fassen und eine Existenz aufzubauen», begründet der Unternehmer sein Engagement. Zugleich sei es ein Beitrag gegen den Fachkräftemangel, von dem auch die Elektrobranche betroffen ist. Durch die Vermittlung über die Integrationsvorlehre INVOL ermöglichte das Unternehmen jungen Männern aus Ländern wie Eritrea oder Irak eine Ausbildungsmöglichkeit – nachdem diese einen Eignungstest und eine Schnupperlehre absolviert hatten.

Vorbereitung auf schulische Grundbildung
Ziel des einjährigen Programms INVOL ist es, den teilnehmenden Geflüchteten und zugewanderten Personen ohne Abschluss auf Sekundarstufe II grundlegende Kompetenzen im Hinblick auf eine berufliche Grundbildung zu vermitteln. Dabei soll möglichst auf den Vorerfahrungen und Kenntnissen der Teilnehmenden aufgebaut werden. Das Programm startete 2018 als Pilotprojekt und wird ab 2024 verstetigt.
Seit 2018 bietet auch die Firma Schenker Storen AG in Schönenwerd im Rahmen des INVOL-Programms Ausbildungsplätze für Migrantinnen und Migranten an. «Wir sind offen für diese Menschen, denn ohne sie könnten wir viele unserer Stellen nicht mehr besetzen», erklärt Thomas Rykart, Leiter Ausbildung bei Schenker Storen. Das Unternehmen bietet den Migranten die Möglichkeit, sich zu Storenmontagepraktikern EBA ausbilden zu lassen. Davon profitierte zum Beispiel ein junger Afghane, der als Praktikant begonnen und danach erfolgreich die EBA-Lehre zum Storenmonteur abgeschlossen hat. «Er war hoch motiviert und hatte klare Ziele», erzählt Thomas Rykart. Der 32-jährige Afghane hat nochmals zwei Jahre in die Ausbildung investiert und per Juni 2023 die Lehre als Storenmonteur EFZ abgeschlossen. Er arbeitet seitdem bei Schenker Storen in der Montage.
«Betriebe, die einen INVOL-Ausbildungsplatz anbieten wollen, verfügen idealerweise über Erfahrungen als Lehrbetrieb», sagt Tsewang Tsering, Co-Projektleitung Integrationsvorlehre beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Teilnehmen könnten aber auch andere geeignete Betriebe. Wichtig sei eine gute Begleitung und die Unterstützung im Team. Bei administrativen Angelegenheiten sowie bei Fragen oder Problemen würden die Betriebe von einer kantonalen Ansprechperson unterstützt.

Hohe Zufriedenheit
Die Nachfrage von Seiten der Unternehmen ist offenbar gross. 2021/2022 wurden 750 Personen ausgebildet. Seit Beginn des Programms absolvierten über 3000 Personen eine INVOL in verschiedenen Berufsgruppen. «Gemäss der begleitenden Evaluation ist die Zufriedenheit bei den Unternehmen hoch», freut sich Tsewang Tsering. Dies kann Beat Waeber, Geschäftsleiter der Riedo Clima AG in Düdingen, bestätigen: «Wir machen gute Erfahrungen mit der Integrationsvorlehre. Die jungen Leute sind sehr motiviert – schliesslich geht es bei ihnen ums Überleben. Zudem zeigen sie sich sehr loyal gegenüber dem Unternehmen, das für sie wie eine Familie ist.»
Das 1962 gegründete Familienunternehmen arbeitet seit Jahren regelmässig mit Migranten zusammen, sei es für die Vorlehre oder für Ausbildungen zum Heizungs- oder Sanitärinstallateur, Lüftungsanlagenbauer oder Gebäudetechnikplaner. Jüngst hat ein junger Mann aus Eritrea nach der Ausbildung zum Sanitärinstallateur die Lehre als Gebäudetechnikplaner angehängt. Die Hälfte der jährlich neun Lernenden von Riedo Clima verfügt laut Beat Waeber über einen Migrationshintergrund: «Dieses Engagement für Migranten ist Teil der Grundhaltung unseres Unternehmens. Gleichzeitig leisten wir dadurch einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel.»

Rasche Sprachfortschritte
Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Beteiligten der Integrationsvorlehre konfrontiert? «Meist sind es mangelnde Sprachkenntnisse vor allem im Berufsfeld, die am Anfang für Kommunikationsprobleme sorgen können», berichtet Sara De Ventura, Co-Projektleiterin INVOL beim SEM. Deshalb können je nach Berufsfeld unterschiedliche Sprachanforderungen definiert werden. «Die meisten Teilnehmenden machen innerhalb eines Jahres grosse Sprachfortschritte, insbesondere in der Betriebskommunikation und im Vokabular des Berufs.»

Agid Ali - Die Integrationsvorlehre (Video 3 Min.)          ((QR-Code))


Das INVOL-Programm
Im Fokus der einjährigen Integrationsvorlehre INVOL steht die Vermittlung von sprachlichen und schulischen Grundkompetenzen, von kulturellen Normen und Werten, von überfachlichen Kompetenzen, berufsbezogenen Grundfertigkeiten und Grundlagenwissen sowie das Ermöglichen von Arbeitserfahrungen in einem Betrieb im angestrebten Berufsfeld. «Mit diesen Elementen werden die Teilnehmenden praktisch und schulisch solid auf eine berufliche Grundbildung vorbereitet», erklärt Tsewang Tsering vom Staatssekretariat für Migration (SEM).

Zum INVOL-Programm zugelassen sind anerkannte Flüchtlinge (Ausweis B/F), vorläufig aufgenommene Personen, Personen mit Schutzstatus S sowie Personen aus EU/EFTA- und Drittstaaten. Für die Organisation und Umsetzung des Programms sind die Kantone (bzw. die kantonale Berufsbildung) verantwortlich.


Wie kann unser Betrieb teilnehmen?
Das Vorgehen läuft typierschweise so ab: Interessierte Betriebe melden sich bei der zuständigen Stelle für Berufsbildung in ihrem Standortkanton. Dort erhalten sie alle nötigen Informationen zur INVOL. Der nächste Schritt ist die Anmeldung des Betriebs bei der kantonalen Berufsbildung. Der Kanton übermittelt Bewerbungsdossiers von Personen, die sich für das Berufsfeld eignen und die nötigen Voraussetzungen erfüllen (u.a. Sprachniveau A2, Grundkompetenzen). Es folgen Bewerbungsgespräche oder Schnuppertage im Betrieb. Hat sich der Betrieb für eine Kandidatin oder einen Kandidaten entschieden, wird der Integrationsvorlehrvertrag unterzeichnet. Eine Arbeitsbewilligung ist für vorläufg aufgenommene Personen und anerkannte Flüchtlinge nicht notwendig. Stattdessen reicht eine einfache, kostenlose Meldung der Tätigkeit mittels elektronischem Formular (sem.admin.ch/arbeit_asylbereich). Das INVOL-Jahr startet in der Regel im August. Die Betriebe werden während dieser Zeit von der kantonalen Berufsbildung begleitet.

sem.admin.ch/invol