E-Mobilität

Jürg Grossen. (Foto: Annette Boutellier)

Haustech 2/2019

«Es braucht gute Antworten»

Seit 2017 ist Nationalrat Jürg Grossen Präsident des Branchenverbands Swiss eMobility. Ein Gespräch über politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Verbindungspunkte zur Gebäudetechnik und seine persönlichen Erfahrungen am Steuer eines Elektroautos.

Herr Grossen, gemäss einer Auswertung von Swiss eMobility ist der Anteil an elektrischen Neuwagen in der Schweiz weiter gestiegen. Gleichzeitig hat aber auch der CO2-Verbrauch bei Neuwagen erstmals zugenommen. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Das lässt sich dadurch erklären, dass besonders in der Schweiz die grossmotorigen Fahrzeuge sehr beliebt sind und deren Import durch die derzeitige gesetzliche Regelung begünstigt wird: Durch die sogenannten Supercredits, die in den CO2-Emissionsvorschriften festgelegt sind, können sich Autohersteller und Importeure die emissionsarmen Fahrzeuge überproportional anrechnen lassen. Dies führt zwar einerseits zu einem höheren Anteil an Elektroautos, andererseits können gleichzeitig mehr hochmotorisierte Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor importiert werden, die einen hohen Schadstoffausstoss aufweisen. Was ursprünglich als durchaus sinnvolles Anreizsystem gedacht war, hat heute also eine gegenteilige Wirkung.

Was muss auf politischer Ebene geschehen, um die CO2-Emissionen von Neuwagen wieder zu senken?

Durch die Supercredits und das Phasing-in sind die in der Verordnung festgelegten Zielwerte leider wieder aufgeweicht worden. Dies gilt es, rückgängig zu machen. Ausserdem bin ich überzeugt, dass es falsch ist, die Erlöse aus den Strafgebühren für Überschreitungen der Grenzwerte dem Nationalstrassenfonds zugutekommen zu lassen. Wir müssen diese Gelder zugunsten der Elektromobilität einsetzen, und zwar nicht einfach, indem wir Elektroautos subventionieren, sondern indem wir eine grossflächige Ladeinfrastruktur aufbauen. Bei all diesen genannten Punkten habe ich derzeit im Parlament Vorstösse hängig.

Neben der politischen ist da aber auch die gesellschaftliche Komponente. So richtig in der Bevölkerung verankert scheinen Elektroautos – im Unterschied zu E-Bikes – noch nicht zu sein. Wie lässt sich die Akzeptanz steigern?

Alle, die mal mit einem Elektroauto gefahren sind, finden es super. Bei vielen Leuten besteht noch eine gewisse Reichweitenangst. Man ist sich nicht sicher, wie weit man mit dem Auto kommt, wann, wo und wie schnell man es aufladen kann. Hier braucht es gute Antworten. Für mich ist klar, dass die Lade-
infrastruktur zentral ist, um solchen teilweise verständlichen Ängsten zu begegnen. Es braucht einerseits eine Ladeinfrastruktur für jene, die über eine längere Zeit parkieren, also an Arbeitsplätzen, in Mehrfamilienhäusern, Einstellhallen und Parkings, andererseits Schnellladestationen für unterwegs, damit auch längere Reisen (über 200 bis 300 Kilometer) sorgenfrei möglich sind. Ist diese Infrastruktur vorhanden, gibt es keinen Grund mehr, der gegen den Kauf eines Elektroautos spricht.

Für diese Infrastruktur setzen Sie sich auch als Präsident von Swiss eMobility ein. Wo wollen Sie den Verband in den nächsten Jahren hinführen?

Ich habe im vergangenen Jahr versucht, sehr praxisorientiert zu werden. So erarbeiten wir derzeit Merkblätter für Ladeinfrastrukturen, beispielsweise an Arbeitsplätzen, in Mehrfamilienhäusern oder für Gemeinden und wir engagieren uns für den diskriminierungsfreien Zugang zu den Ladesystemen. Weiter lancieren wir derzeit das Projekt «Charge-for-Work», mit dem wir Firmenbesitzer mittels Anreizsystemen dazu animieren, ihre Flotte auf Elektromobilität umzustellen. Ein letzter Punkt ist schliesslich die Gewinnung von Neumitgliedern. So ist es uns beispielsweise gelungen, die Amag oder den Verband öffentlicher Verkehr (VöV) für eine Mitgliedschaft 
zu gewinnen. Es ist uns ein grosses Anliegen, als Verband breit abgestützt zu sein.

Daneben sind Sie ja auch noch Präsident der Konferenz der Gebäudetechnik-Verbände (KGTV). Was verbindet die beiden Branchen?

Sehr viel. Das Laden von Elektroautos erfolgt zu 80 bis 90 Prozent zu Hause und am Arbeitsplatz, also dort, wo die Gebäudetechnik-Planer die Häuser, Einstellhallen und Parkplatzbeleuchtungen planen und errichten – und in Zukunft auch für die Ladeinfrastruktur verantwortlich sind. Die dezentrale Lade-
infrastruktur passt zudem sehr gut zur Dezentralisierung der Energieproduktion, die mit der Energiestrategie 2050 beschlossen ist und welche letztendlich von den Gebäudetechnikern umgesetzt wird.

Wie werden sich damit die Anforderungen an den Bau von Gebäuden verändern?

Der wichtigste Punkt ist sicher das Management des Stromnetzes und der Ladevorgänge. Wenn mehrere Fahrzeuge am Ladesystem angeschlossen sind, müssen nicht alle zur gleichen Zeit und mit voller Spitzenleistung geladen werden. Bei einem Fahrzeug, das erst am nächsten Tag wieder genutzt werden muss, ist es beispielsweise sinnvoll, den Ladevorgang auf einen Zeitpunkt zu verschieben, an dem genügend erneuerbare Energie aus Photovoltaik verfügbar ist. Ein Gebäude mit Ladeinfrastruktur muss also mit einem intelligenten System ausgestattet sein, das Produktion und Verbrauch von Strom sinnvoll steuert, Spitzenbelastungen vermeidet und das Stromnetz schont. Daneben sind für den Bau von Gebäuden mit vielen Ladestationen auch Aspekte 
des Brandschutzes zu beachten.

Welche?

Batterien benötigen andere Löschmittel als Verbrennungsmotoren. Sie brennen zwar nicht häufiger, jedoch hat man bei Verbrennungsmotoren eine jahrzehntelange Erfahrung, wie im Brandfall zu reagieren ist, während dies bei der Batterie noch weniger der Fall ist. Entsprechend muss die Brandschutz- und Lüftungsinfrastruktur in Einstellhallen auf diese neuen Löschmethoden ausgerichtet werden.

Durch den sogenannten Substitutionseffekt werden fossile Energieträger von elektrischer Energie abgelöst. Damit steigt die Abhängigkeit vom Strom. Sehen Sie darin ein Risiko?

Es ist mehr Chance als Risiko. Im Moment ist die Abhängigkeit insgesamt zu 75 Prozent bei fossilen Brennstoffen oder bei Uran, die wir in der Schweiz nicht gewinnen können. Strom hingegen können wir mit Wasser, Sonne und Wind zu einem grossen Teil selbst erzeugen. Die Fossilabhängigkeit und die Abhängigkeit von Nuklearenergie zu reduzieren, ist zum Wohle der Schweiz, weil wir aus jedem Gebäude ein Kraftwerk machen können. Hinzu kommt, dass heute rund 40 bis 50 Prozent des Stroms ohne Wirkung verbraucht werden. Mit einer höheren Effizienz benötigen wir am Schluss nicht mehr Strom als heute, auch wenn wir die ganze Schweiz vollelektrisch betreiben. Dieses Bewusstsein wünsche ich mir gerade in den direkt betroffenen Branchen verstärkt.

An welche Branchen denken Sie da?

Beispielsweise an die Landwirtschaft oder den Tourismus. Unter dem vergangenen Hitzesommer haben ja gerade die Bauern gelitten und den Bund um Geld gebeten, trotzdem lehnen sie Massnahmen zum Klimaschutz ab. Das finde ich inkonsequent. Ich wünsche mir, dass insbesondere die direkt betroffenen Kreise anerkennen, dass wir beim Klimaschutz etwas tun müssen, und dass sie auch mithelfen, im Parlament griffige Massnahmen zu beschliessen. Mit dem CO2-Gesetz, das jetzt beraten wird, haben wir diese Chance. Im Bereich der Mobilität heisst das, den Wechsel von Verbrennern und Elektromobilität zu forcieren.

Die Erdgas-Branche pusht derzeit das Gasfahrzeug als umweltfreundliche Alternative zum Verbrennungsmotor. Sehen Sie dieses als Konkurrenz zum Elektroauto oder ist Ihnen alles lieber als ein Benzinfahrzeug?

Vor allem Zweiteres. Letztendlich geht es um das Zusammenspiel verschiedener Energie- und Antriebsformen. Gerade bei Gasfahrzeugen ergeben sich durch die Power-to-Gas-Technologie interessante Möglichkeiten im Fall von grossen Überschüssen
erneuerbarer Energie. Ich würde erneuerbar betriebene Gasautos deshalb sicher nicht von Vorneherein schlechtreden, auch wenn ich persönlich von den Vorteilen der Elektromobilität tief überzeugt bin und nie auf ein Gasauto umsteigen würde.

Sie sind ja selbst seit sieben Jahren elektrisch unterwegs. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?

Heute überwiegend positiv: Man ist leise und emissionsfrei unterwegs und hat durchwegs ein gutes Gefühl. Natürlich gab es auch die eine oder andere negative Erfahrung, vor allem im Winter, wenn die Batterie kalt ist und sich dadurch die Reichweite verkürzt. Gerade beim Thema Reichweite sollten die Elektroauto-Hersteller ein wenig realistischere Angaben machen, hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass die im Produktkatalog angegebenen theoretischen Werte in der Praxis kaum je erreicht werden können, ähnlich wie bei den Verbrennern. Das muss sich verbessern, damit der Kunde am Schluss auch kriegt, was im Prospekt steht. Insgesamt kann ich das Elektroauto jedem mit gutem Gewissen empfehlen. Ich habe gerade kürzlich wieder eine längere Reise ins Ausland damit unternommen – und es hat ausgezeichnet funktioniert, auch mit der Ladeinfrastruktur.