- Durchschnittlich verbringen wir rund 90% unserer Lebenszeit in Gebäuden. Täglich atmen wir ca. 15-18 000 Liter Luft ein und wir gehen davon aus, dass diese Luft in unseren Gebäuden «frisch» ist und unsere Gesundheit nicht beeinträchtigt.
Das ist aber nicht immer gegeben. Zwar sorgen in den meisten Gebäuden weltweit Heiz- oder Kühlsysteme für thermischen Komfort in Innenräumen, die systematische Zufuhr von Frischluft ist jedoch bei vielen kommerziellen Gebäuden nicht gewährleistet.
Stattdessen gäbe es für die Raumluftqualität in kommerziellen Gebäuden klare Vorgaben. Seco und SIA empfehlen für gute Luft CO2-Werte um 1000 ppm. Dazu sind zentrale, mechanische Lüftungen eigentlich unerlässlich, auch in kleineren kommerziellen Gebäuden und Schulen.
Doch auch eine zentrale Lüftungsanlage allein garantiert noch keine perfekte Innenluft. Es gibt hier einige entscheidende Faktoren zu berücksichtigen. Die Firma Belimo Automation hat kürzlich weltweit 15 Planer-Berater und Experten im Bereich der kommerziellen Lüftungen befragt und wollte wissen, worauf es für eine gesunde Innenluft prioritär ankommt. Aus dieser Befragung haben sich 7 essenzielle Faktoren für die Sicherstellung gesunder Innenluft in kommerziellen Bauten herauskristallisiert.
1. Konsequente Messung der Innenluft-Qualität
«Was du nicht misst, kannst du nicht managen!», besagt eine alte Management-Weisheit. Das gilt genauso für die Innenluft. Es ist erstaunlich, wie wenig Nutzer und Betreiber heute über die Qualität der Innenluft in ihren Räumlichkeiten Bescheid wissen. Essenzielle Grössen wie Luftfeuchtigkeit, CO2-Gehalt oder VOC-Konzentration im Raum werden jedoch kaum gemessen und noch weniger angezeigt.
Luftfeuchtigkeit: Kaum bekannt war bisher die Erkenntnis, wie entscheidend die richtige Luftfeuchtigkeit aus lufthygienischer und mikrobiologischer Sicht ist (vgl. Punkt 4). Es ist wichtig, dass sich die relative Luftfeuchtigkeit in Innenräumen zwischen 40 bis 60% relativer Feuchtigkeit bewegt. Es ist deshalb unerlässlich, dass diese Grösse mittels eines Feuchtigkeitssensors im Raum gemessen wird.
CO2: Menschen emittieren beim Ausatmen CO2. Normale Aussenluft enthält ca. 400 ppm (parts per million) CO2. Über 1000 ppm nimmt die Konzentrationsfähigkeit des menschlichen Hirns bereits ab und über 2000 ppm kann es bereits zu Konzentrationsschwächen, Müdigkeit oder gar Kopfschmerzen kommen. Gerade im Zusammenhang mit COVID-19 hat die Bedeutung der CO2-Messung noch deutlich zugenommen. Die CO2-Konzentration in der Innenluft ist ein hervorragender Gradmesser für potenzielle Bio-Kontamination in der Luft, beispielsweise durch COVID-19-Viren. Ist der gemessene CO2-Wert aufgrund der Anwesenheit vieler Leute und wenig Luftwechsel hoch, so muss auch von einer hohen potenziellen Gefährdung durch infektiöse Aerosole ausgegangen werden.
VOC: Volatile Organic Compounds (VOC) sind organische Verbindungen, die aus vielen verschiedenen Quellen stammen, darunter Parfüm, Farbe, Drucker, Teppichböden, Baustoffe oder Rauch. Bereits geringe Konzentrationen von VOC können Reizungen der Schleimhäute (Augen, Nase und Atemwege) sowie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Übelkeit zur Folge haben. Die Konzentration von VOC am Arbeitsplatz kann direkt gemessen und durch entsprechendes Lüften oder eine Luftreinigung reduziert werden.
Für das Monitoring der Innenluft-Qualität werden idealerweise alle oben erwähnten lufthygienischen Grössen mit Raumsensoren gemessen. Aus heutiger Sicht, mit den aktuellen Erkenntnissen aus der COVID-Krise, sollten mindestens die Messung und Anzeige der Temperatur, Feuchtigkeit und des CO2 Gehalts zum minimalen Standard der Luftqualitätsmessung im Raum gehören.
2. Richtige Menge Aussenluft für das Gebäude
Ein Grossteil kleinerer und mittelgrosser kommerzieller Gebäude besitzen heute keine automatisierte Frischluftzufuhr. Es wird davon ausgegangen, dass die Nutzer von sich aus ab und zu über das Fenster lüften. Es versteht sich von selbst, dass sich dabei auch die Konzentration von infektiösen Aerosolen massiv erhöhen kann und, bei Anwesenheit einer infizierten Person, auch das Risiko einer Übertragung auf Mitarbeiter massiv zunimmt. Eine Lüftungsanlage mit zentraler Luftaufbereitung sollte deshalb heutzutage bei der Planung eines Neubaus oder einer Rennovation zur Minimalausstattung gehören.
3. Richtige Filtration der Luft
Um zu verhindern, dass Staub über die Zuluft-Kanäle in die Innenräume gelangt, müssen in der Luftaufbereitungsanlage Filter eingesetzt werden. Sollen bei Anlagen, in welchen ein Teil der Abluft wieder der Zuluft beigemischt werden, Kontamination durch infektiöse Mikroben vermieden werden, so müssen die richtigen Filter verwendet werden (HEPA-Filter H13 nach EN1822:2009).
Ebenso wichtig ist es, die Filter regelmässig zu warten und, falls nötig, zu ersetzen. Um die Wartung effektiv zu gestalten, sollte der Filter mittels eines Drucksensors und dynamischer Luftstrommessung überwacht werden. Nimmt die Verschmutzung des Filters zu, so steigt auch der Druckabfall über dem Filter an. Bei gleichzeitiger Messung des Volumenstroms durch den Filter kann eine relativ genaue Aussage erfolgen ob und wann der Filter zu ersetzen ist.
4. Korrekte Konditionierung von Temperatur und Feuchtigkeit
Die Zuluft kann in einer zentralen Lüftungsanlage über ein Heiz- oder Kühlregister relativ genau auf die gewünschte Temperatur konditioniert werden. Hochwertige Regelungskomponenten sorgen dafür, dass dies nicht nur möglichst präzise, sondern auch hoch energieeffizient passiert.
Vermehrt ins Rampenlicht ist jetzt die Befeuchtung der Zuluft geraten. Treffen in einem Raum vorhandenen Aerosole bzw. Viren auf ausgetrocknete Schleimhäute anderer Menschen, so erhöht sich die Infektionsgefahr erheblich. Die richtige Befeuchtung der Zuluft, zwischen 40 bis 60% relativer Luftfeuchtigkeit ist deshalb ein essenzieller Faktor für sichere Innenluft.
5. Exakte Menge Luft einer Zone zu- und abführen
Zentrale Lüftungsgeräte versorgen in der Regel mehrere Zonen im Gebäude mit Luft. Es ist wichtig, dass jeder Raum genau jene Menge an Frischluft erhält, die er benötigt. Nimmt in einem Raum, z. B. in einem grösseren Sitzungszimmer, die Anzahl Personen zu, so erwarten wir, dass dort die Luftzufuhr entsprechend hochgefahren wird. Analog soll die belastete Luft aus dem Raum abgeführt werden. Um dies sicherzustellen, müssen Zonen und Räume individuell mit variablem Volumenstrom (VAV) versorgt werden. Detektiert der Raumsensor einen höheren CO2-Gehalt im Raum, so können die beiden VAV-Boxen aufgefahren werden und der Raum wird mit zusätzlicher Frischluft durchströmt. Ist die Sitzung vorbei und die CO2-Konzentration fällt wieder unter 1000 ppm, so kann die Frischluftzufuhr, energiesparend auf ein Minimum zurückgefahren werden.
6. Gute Luftverteilung im Raum
Aus lufthygienischer Sicht ist es entscheidend, in welcher Weise die in einen Raum eingebrachte Luft den Raum durchströmt und ihn danach wieder verlässt. Idealerweise strömt Frischluft von unten nach oben an einer Person vorbei und wird danach direkt aus dem Raum extrahiert, ohne an weiteren Personen vorbeizuströmen (in der Praxis schwierig). Trotzdem sollte jedoch darauf geachtet werden, dass Raumluft nicht mehrfach durch den Raum «gewirbelt» wird oder sich in bestimmten Zonen des Raums festsetzt. Moderne Luftstrom-Simulationen erlauben es, typische Strömungsmuster in einem Raum eingehend zu untersuchen. Durch die richtige Gestaltung, Platzierung und Ausrichtung von Luftauslässen lassen sich dabei grobe lufthygienische Fehler vermeiden.
7. Richtiger Über- und Unterdruck
Die Lufthygiene in einem Raum kann auch dadurch beeinträchtigt werden, dass ungewollte Luftströme von draussen (z. B. von einer stark befahrenen Strasse) oder von anderen Räumen (z. B. Kantine) in eine Zone gelangen. Dies passiert typischerweise bei nicht korrekt ausbalancierten Luft-Druckverhältnissen im Gebäude. Gerade im Zusammenhang mit der Ausbreitung von COVID-Aerosolen in Gebäuden ist eine rege Diskussion um «Cross Contamination» zwischen verschiedenen Räumen entstanden.
Durch den Einsatz von VAV-Reglern in der Zu- und Abluft von Räumen und von Differenzdruck-Sensoren und -Reglern zwischen den Zonen können solche ungewollten Luftbewegungen weitgehend eliminiert werden. Mit diesem Ansatz können in besonders geschützten Räumen (z. B. Patienten-Behandlungsräume) auch gezielt Unter- bzw. Überdrücke erzeugt werden.
«Die Lüftungsindustrie hat schon vor den Gesundheitsbehörden reagiert»
Nachgefragt bei Dr. med. Walter Hugentobler, SVLW
Seit dem März haben die Wissenschaftler und Fachleute der Corona-Materie viel Fachwissen erarbeitet, und man weiss jetzt viel mehr als zu Beginn der Pandemie. Was ist für Sie dabei heute anders, im Besonderen bezogen auf die Lüftungsproblematik in Innenräumen?
Dass der Erreger SARS-CoV-2 auch – oder vermutlich sogar in erster Linie – über schwebefähige Aerosol-Tröpfchen übertragen wird, wurde von den internationalen und nationalen Gesundheitsbehörden erst Mitte dieses Jahres als wahrscheinlich angenommen. Die Lüftungsindustrie jedoch hat schon vor den Gesundheitsbehörden reagiert und sinnvolle Empfehlungen abgegeben zur Risikoverminderung der Aerosolübertragung durch mehr Frischluftzufuhr und Vermeidung von Rezirkulation.
Das Thema Luft-Feuchtigkeit ist immer zu betonen, auch wenn Wissenschaftler offenbar die widersprüchliche These aufgestellt haben, dass trockenere Luft hilft, die Virengefahr in Innenräumen zu verringern. Was ist Ihre Meinung dazu?
Die Meinung, dass die Virengefahr in trockener Raumluft geringer sein könnte als in mittlerer Luftfeuchte von 40 bis 60% wurde nur ganz selten geäussert und ist nicht haltbar. Die Meinung beruht auf der falschen Vorstellung, dass Atemwegsviren in trockenen Aerosolkernen ihre Infektiosität verlieren würden. Das Gegenteil wurde jedoch in allen Aerosol-Experimenten mit SARS-CoV-2 nachgewiesen: Die Inaktivierung nimmt mit fallender Luftfeuchtigkeit (und Temperatur!) ab. Bei ca. 20% Luftfeuchtigkeit wird das Virus gar nicht mehr inaktiviert und bleibt tagelang infektiös.
Aerosole sind in Innenräumen das herausragende Thema. Was kann hier schnell unternommen werden, damit allgemein auf die Gefährlichkeit des Virus in Innenräumen hingewiesen wird? Worauf ist baulich bzw. ausrüstungstechnisch zu achten?
Die Bevölkerung hat begriffen, dass längere Aufenthalte von vielen Personen, bei geringen Abständen und vor allem wenn laut gesprochen, gesungen oder Sport getrieben wird, ein grosses Gefahrenpotential darstellen. Die Steigerung der Frischluftzufuhr möglichst unter einen Grenzwert von 1000 ppm CO2 sowie die Einhaltung einer Luftfeuchtigkeit von 40-60% sind anerkannte Massnahmen zur Risikoverminderung, die leider unglücklich miteinander verknüpft sind. Jede Steigerung der Frischluftzufuhr führt im Winter – ohne aktive Befeuchtung der geheizten Aussenluft – zu einer Senkung der Raumluftfeuchtigkeit. Niemand weiss bisher, wo das ideale Verhältnis zwischen sinnvoller Steigerung des Luftaustauschs und den negativen Auswirkungen fallender Luftfeuchtigkeit liegt. Deshalb fordern wir ein flächendeckendes Monitoring von CO2, Temperatur und relativer Feuchte in öffentlichen Gebäuden, um Erfahrungswerte zu erhalten zur optimalen Balance zwischen Lüftung und Raumluftfeuchte.
Was soll zur Ansteckungsverminderung in der kommenden Winterzeit für Innenräume besonders gelten? Was ist in den Vordergrund zu stellen?
Vor allem ausreichende Frischluftzufuhr und auch Maskentragen sind aus meiner Sicht die wichtigsten Massnahmen zur Ansteckungsverminderung in Innenräumen. Die Wirksamkeit der einfachen chirurgischen Masken ist unbestritten, auch im Hochrisikobereich der Pflege von COVID-19-Patienten, wo die Abstände nicht eingehalten werden können. Da diese Masken für Ein- und Ausatmung wohl einen Leckage-Faktor von mehr als 50% haben, beruht ihre Wirksamkeit v.a. in der spürbaren Erwärmung und grossen Feuchtigkeit hinter der Maske. Das Klima von ca. 37 °C und 100% Luftfeuchtigkeit ermöglicht unseren Nasen eine optimale Schleimhautabwehr der eingeatmeten Viren.
Wie breit angelegt ist Ihr im September verabschiedetes SVLW-Manifest von Goldau, und was steht dabei zur Pandemiebekämpfung im Fokus?
Ich setze mich dafür ein, dass die vier Kernpunkte unseres Manifests beachtet und umgesetzt werden:
Abgegebene Schadstoffe in Innenräumen sind abzuführen.
CO2 ist der wichtigste Indikator für die Lüftungseffizienz.
Untergrenze 40% Luftfeuchtigkeit minimiert das Übertragungsrisiko.
Der kontinuierliche Nachweis von CO2 und rel. Luftfeuchtigkeit ist zwingend. Einen weiteren Faktor sollten wir optimieren und nicht schwächen: die Infektionsabwehr durch unsere Schleimhaut. Wir tun das auch, nochmals gesagt, indem wir Masken tragen.■