Björn Schrader; wenn wir im Alltag von Licht reden und wenn man es in der Wissenschaft tut, stimmt da der Wortgebrauch überein?
*Björn Schrader: Ob im Alltag oder unter Expertinnen und Experten: Die Dinge können schon durcheinandergeraten: Tageslicht, Sonnenlicht, Kunstlicht, Strahlungsspektren inklusive Ultraviolett und Infrarot oder ohne…
Gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner?
Korrekt kann man sagen: Licht ist Teil der elektromagnetischen Strahlung, genau genommen der Bereich von 380-780 Nanometern. Im Alltag reden wir meist von demjenigen Anteil, der für das menschliche Auge sichtbar ist. Tageslicht allerdings ist mehr als das, was Menschen sehen können; da gehören auch Ultraviolett und Infrarot dazu, die unser Auge nicht sehen kann. Wenn aber in Zeitungen zu lesen ist, Sonnenlicht sei wichtig für die Vitamin-D-Produktion, dann ist die Rede vom nicht sichtbaren Ultraviolett-Bereich. In unserer Forschung ist es wichtig, diese Unterscheidungen zu machen.
Was sind denn die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Tages- und Kunstlicht?
Das Spektrum unterscheidet sich stark. Es gibt Versuche, das Spektrum von LED-Licht dem des Tageslichts anzunähern, aber Ultraviolett- und Infrarot-Anteile sind darin nach wie vor nicht enthalten. Hinzu kommt ein immenser Unterschied in der Stärke des Lichts. Beim Tageslicht sind das bis zu 120’000 Lux. Im Büro schreibt das Arbeitsgesetzt gerade mal 500 Lux vor. Um in Innenräumen die Stärke des Tageslichts zu erreichen, würden wir enorm viel Energie brauchen; zudem müssten alle Räume so hell ausgeleuchtet sein, sonst wird es für das Auge anstrengend. Und schliesslich wechselt das Tageslicht vom Morgen bis am Abend sowohl die Farbe als auch die Intensität. Auf diesen Wechsel reagieren wir: Morgens signalisieren die hohen Blauanteile im Spektrum und die hohen Beleuchtungsstärken, dass es Tag ist; wir werden wach. Gegen Abend wird das Licht wärmer und weniger intensiv; wir kommen zur Ruhe. Wenn das Licht schliesslich vollständig fehlt, schüttet unser Körper das Schlafhormon Melatonin aus.
In Innenräumen darf das Licht also bis zu 240 Mal schwächer sein als draussen. Wie viel Tageslicht brauchen wir denn eigentlich für unsere Gesundheit?
Darüber weiss die Wissenschaft verblüffend wenig. Klar ist: Der menschliche Körper ist darauf ausgerichtet, tagsüber draussen, im vollen, starken Tageslicht zu sein. Heute jedoch halten sich Menschen bis zu 90 Prozent in geschlossenen Räumen auf. Um den Einfluss des Lichts unter Echtbedingungen zu studieren, bräuchten wir Information dazu, welches Licht wann und für wie lange in welcher Stärke beim Auge ankommt. Die fehlen uns aber. Immerhin gibt es seit 2018 eine Europäische Norm für das Tageslicht, die in der Schweiz seit 2019 in Kraft ist. Sie will das Tageslicht aktiv fördern und so die Qualität von Gebäuden erhöhen.
Um wortwörtlich mehr Licht in die Sache zu bringen, haben Sie mit Ihrem Team ein Licht-Dosimeter entwickelt. Worum handelt es sich dabei?
Um ein kleines Gerät, das misst, wie viel Licht und vor allem welche Art von Licht während des Tages in das Auge fällt. Unser Licht-Dosimeter ist so klein, dass man es an einer Brille befestigen kann, wo es so nahe am Auge ist wie irgend möglich. Die Daten werten wir mit einer selbstentwickelten Software aus.
Warum kann man dafür nicht einen der gewöhnliches Beleuchtungsstärkemessgerät oder eine Smartphone-App verwenden?
Die Messgeräte können – mehr oder weniger verlässlich – die Beleuchtungsstärke an einem bestimmten Punkt im Raum erfassen. Sie sind etwa so gross wie ein altes Smartphone. Man kann mit ihnen unmöglich über längere Zeit nahe beim Auge messen. Apps sind aufgrund des Messprinzips nicht geeignet, und gute Geräte kosten gegen 1’000 Franken. Das grösste Problem ist jedoch: Diese Geräte sind auf die Rezeptoren des Auges angepasst, die für die Hell-Empfindung zuständig sind. Für die nichtvisuellen Wirkungen sind ganz andere Anpassungen notwendig, denn die Lichtforscher interessiert die Lichtdosis – wie viel und welche Art von Licht uns über den ganzen Tag oder gar über mehrere Tage am Auge umgibt. Das Dosimeter muss diese Messwerte speichern, damit wir sie später analysieren können. Wir nennen dies auch Lichthistorie. Überspitzt: Sag mir, mit welchem Licht Du dich umgibst, und ich sage Dir, wie es Deinem Wach-Schlaf-Rhythmus geht.
Wer kann dieses Wissen nutzen?
Das Licht-Dosimeter schafft die Grundlagen, um herauszufinden, wie welches Licht eigentlich auf den Menschen wirkt. Im ersten Schritt wird es in der Chronobiologie und verwandten Gebieten zum Einsatz kommen und uns hoffentlich helfen, ganz viele Fragen zu beantworten: Wie viel Tageslicht kommt in geschlossenen Räumen an welcher Stelle überhaupt ins Auge? Wie viel brauchen wir mindestens für unsere körperliche und psychische Gesundheit? Wann kann Tageslicht durch künstliche Lichtquellen ersetzt werden? Kann man sich ein Lichtdepot anlegen, von dem man in dunklen Zeiten profitiert? Und falls ja, wie viel Licht braucht es dafür über wie lange Zeit? – Alles Fragen, auf die es zurzeit schlicht noch keine Antwort gibt. Und das ist ja schon erstaunlich, wenn man bedenkt, wie wichtig das Licht für uns ist.
Sie stellen das Licht-Dosimeter jetzt für die Forschung zur Verfügung. Werden Sie es auch für eigene Projekte einsetzen?
Ja. Die Idee zum Dosimeter entstand aus einem unserer Projekte, in dem wir die Lichtverhältnisse in einem Verteilzentrum der Post untersucht haben und genau die Resultate gebraucht hätten, die ein Licht-Dosimeter hätte liefern können. Es gab es aber keines, das wir hätten nutzen können. Das inspirierte uns, ein eigenes Gerät zu entwicklen, das wir jetzt auch anderen zur Verfügung stellen. An der Hochschule Luzern soll es nun zunächst bei einem Projekt zum Einsatz kommen, das die Lichtversorgung in Pflegeeinrichtungen untersucht, vor allem im Hinblick darauf, wie gut die Lichtversorgung für die Bewohnerinnen und Bewohner, insbesondere für ihren Wach-Schlaf-Rhythmus, ist.
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Ein interdisziplinäres Projekt
Viele Partnerinnen und Partner waren an der Entstehung des Licht-Dosimeters beteiligt. Experten der Institute Gebäudetechnik und Energie und Elektrotechnik der Hochschule Luzern waren daran so gut beteiligt wie die Partner Zentrum für Chronobiologie der Universitären psychiatrischen Kliniken Basel, das eidgenössische Institut für Metrologie METAS sowie das Labor Licht und Gesundheit der Hochschule für angewandte Wissenschaften München. Gefördert wurde das Projekt von der Velux Stiftung.