Tageslicht ist die Lichtquelle mit der höchsten Akzeptanz und der höchsten Qualität. Bei Lichtgestaltern gilt die Planung von Tageslicht als die Königsdisziplin, da es sich permanent über den Tag und das Jahr verändert und vom jeweiligen Standort abhängig ist. Architektur und Tageslicht sind eng miteinander verbunden, denn ohne Licht gibt es keine Wahrnehmung des gebauten Raums. Tageslicht war früher ein fundamentales Element, das die Baumeister der alten Schule für die Inszenierung ihrer Räume zu nutzen wussten. Vor der Erfindung des elektrischen Lichts war das Tageslicht die Hauptlichtquelle im Innenraum. Die Positionierung und Dimensionierung von Fenstern war deshalb eine sehr bewusste und wichtige Entscheidung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam das Kunstlicht auf, womit das Tageslicht zunehmend an Bedeutung verlor. Kunstlicht ermöglichte die Beleuchtung der Räume zu jeder Tageszeit und wurde allmählich zur Selbstverständlichkeit. Unzulänglichkeiten in der Tageslichtplanung konnten nun mit dem Kunstlicht kaschiert werden. Diese Feststellung ist nicht neu, sondern wurde schon in den 1930er-Jahren von Fachpersonen der Lichttechnik anlässlich der Einführung der «Leitsätze für Tageslichtbeleuchtung» in der Zeitschrift «Das Licht» geäussert.
Wissen um Tageslichtplanung verschwand
Das Tageslicht büsste an Aufmerksamkeit ein und so kam auch das Wissen um die Tageslichtplanung in den vergangenen Jahrzehnten nach und nach abhanden. In vielen Ausbildungsstätten der Architektur werden heute immer seltener Grundlagen und Methoden zur Tageslichtplanung vermittelt.
Aber es gibt gute Gründe, sich auch heute noch mit dem Tageslicht zu beschäftigen. Fenster regeln nicht nur den Einlass von natürlichem Licht. Sie schaffen einen Bezug zur Aussenwelt und haben Einfluss auf den Energieverbrauch von Beleuchtung, Heizung, Kühlung und Lüftung. Das Tageslicht sorgt für hohen Komfort, ist kostenlos und CO2-neutral. Deswegen sollte Kunstlicht nur da zum Einsatz kommen, wo das natürliche Licht unzureichend ist oder gänzlich fehlt. Der Beruf der Architekten ist kaum noch mit dem der Baumeister von damals zu vergleichen. Es wird heute eine enorme Breite an Fähigkeiten und Kenntnissen erwartet. Es gilt, unzählige Normen und Vorschriften einzuhalten. Gewerke, die keiner Lobbygruppe angehören, haben das Nachsehen. Seit Jahrzehnten liegt der Fokus der Gebäudeoptimierung bei der Wärmeerzeugung und der Reduzierung möglicher Wärmeverluste – Stichwort Dämmung. Das Fenster galt früher als Schwachstelle. In den 1970erJahren verringerte sich die Fenstergrösse und es wurden sogar Räume ohne Fenster erstellt. Verbesserungen bei den Fenstern führten von der Einfachverglasung über die Zweifachverglasung zur Dreifachverglasung. Der u-Wert sank und mit jeder Scheibe verringerte sich stetig, aber unauffällig auch der Transmissionsgrad. Licht dringt zwar heute immer noch in unsere Räume ein, aber um ein Etliches weniger. Erschwerend kommt hinzu, dass der moderne Mensch rund 90 Prozent seiner Zeit in Gebäuden verbringt.2 Wann halten wir uns überhaupt noch im Aussenraum auf? Wie hoch ist unsere tägliche Dosis an Tageslicht? Wann und wie lange setzen wir uns freiwillig anderen Lichtquellen aus und welche Wirkung haben diese langfristig auf unsere Gesundheit? Sollten wir nicht beginnen, uns mit Lichthistorie und Lichthygiene interdisziplinär auseinanderzusetzen?
Der Klimawandel
Der altbekannte Zielkonflikt zwischen dem sommerlichen Wärmeschutz, der Tageslichtnutzung und der Nutzung von solaren Gewinnen wird sich in Zukunft weiter verschärfen. Wo früher die Dämmung und das Reduzieren des Wärmeverlusts oberste Priorität genoss, werden sich die Anforderungen an heutige und zukünftige Gebäude aufgrund des Klimawandels massiv verändern, wie die ClimaBau-Studie3, welche vom Schweizer Bundesamt für Energie in Auftrag gegeben wurde, eindrücklich zeigt. Als eine wesentliche Stellgrösse wurden die Gebäudeöffnungen identifiziert. Erneut wird die Verkleinerung der Fenstergrössen gefordert.
Wie konnte es nur soweit kommen?
In vielen Ländern gab es bis vor Kurzem kaum Normen oder Empfehlungen für Tageslicht. Dies hat sich 2019 geändert, denn letztes Jahr trat die «EN 17037 – Tageslicht in Gebäuden» in Kraft. Dem Autor ist bewusst, dass es in Deutschland die DIN 5034 gegeben hat. Leider konnte diese aber nie eine Durchschlagskraft in der Praxis entfalten. Die Einführung der
EN 17037 ist somit als Chance zu sehen, dem Thema Tageslicht wieder die Bedeutung zu verschaffen, die diesem gebührt.
In anderen Ländern, wie auch der Schweiz, existierten keine ernst zu nehmenden Vorgaben für eine Tageslichtplanung, die für alle Gebäude verpflichtend waren. Vielmehr wurden hier bizarre Regeln verwendet. So zum Beispiel, dass die Fensterfläche eines Raums mindestens 10% der Bodenfläche betragen muss. Diese Regel ist jedoch nicht geeignet, um eine ausreichende Tageslichtversorgung in einem Raum zu garantieren. So wäre sie auch dann noch eingehalten, wenn die Gläser der Fenster mit schwarzer Folie beschichtet wären und die Lichttransmission bei unter 5% liegen würde. Der Einwand, dass dies niemand tun würde,
ist zwar legitim, aber das Szenario stellt das untere Ende eines Graubereichs dar. Sonnenschutzgläser mit Transmissionsgraden unter 30% werden heute ohne Bedenken in unseren Breitengraden eingesetzt. Diese verhindern eine gute Tageslichtversorgung über das ganze Jahr. An bewölkten Tagen, an denen ein Sonnenschutz überflüssig wäre, kommt so statt Tageslicht wieder nur Kunstlicht zum Einsatz.
Ein Umdenken ist gefordert
Nur ein dynamischer thermischer Sonnenschutz kann den unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Dies kann eine Kombination aus Glas und aussen liegendem thermischem Sonnenschutz sein oder ein dynamisches Glas, welches den Transmissionsgrad und den g-Wert durch das Anlegen einer elektrischen Spannung verändern kann. (siehe Abb. Elektrochromes Glas)
Viele Fragen – und was benötigt es nun? Umdenken. Die Qualität des Tageslichts
ins Zentrum rücken. Die Tageslichtplanung sollte bei der Lichtplanung ein fester Bestandteil sein und stets an erster Stelle kommen. Ziel müsste sein, ein Gebäude mehrheitlich und autonom mit Tageslicht zu beleuchten. Kunstlicht kommt hierbei nur zum Zug, wenn es benötigt wird. Kunstlicht ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Damit dies gelingt muss ein Dialog zwischen den unterschiedlichen Disziplinen wie Architekten, Lichtplanern, Chronobiologen und dem Arbeitsschutz, um nur einige zu nennen, entstehen und verstärkt werden. Langfristig ist der Druck zu erhöhen, dass das Tageslicht wieder in der Ausbildung der Architekten und in den Planer-Verträgen einen festen Platz erhält. Flankierend sind der Wissenstransfer und ein Weiterbildungsangebot zu entwickeln. Abschliessend sind alle aus der Lichtbranche gefragt, auf Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft Einfluss zu nehmen. Kurz, das Tageslicht braucht endlich eine Lobby.