Stromerzeugung

Bild 1: Minimal-Variante mit PV auf Dächern (Mittelland), PV Alpin, Windenergie und saisonaler Speicherung. Die bestehende Wasserkraft inkl. Speicherseen wird dabei optimal ausgenutzt.

Bild 2: Jahresverlauf von Produktion und Verbrauch für Szenario C (Power2X + PV Alpin + PV Mittelland + Wasserkraft). (Grafik: David Zogg)

Bild 3: Testanlage für alpine PV zur Untersuchung der optimalen Neigung (vertikal), Projekt ZHAW in Davos-Totalp auf 2500 m ü. M. (Quelle: VSE-Bulletin 10/2022)

Bild 4: Projektierung einer alpinen PV-Grossanlage, optimal in die Natur eingebunden, Projekt «Gondosolar». (Quelle: gondosolar.ch)

Bild 5: Überall in der Schweiz hat es gute Windenergie-Standorte. Windenergieanlagen erzeugen im Winterhalbjahr, wenn die Winde häufiger und stärker sind, zwei Drittel ihrer jährlichen Produktion. Sie sind deshalb die ideale Ergänzung zu Wasser- und Solarstrom. (Quelle: «Winterstrom für die Schweiz», Broschüre von Energie Schweiz, 2020, Foto: © Suisse Eole, Felix Brönnimann)

Bild 6: Jährliche Gestehungskosten «netto», abzüglich Stromexport (in Mia. Franken). (Grafik: David Zogg)

Deckung des Stromverbrauchs CH mit Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft über das ganze Jahr

Im richtigen Moment vor der Abstimmung vom 18. Juni zum Klimaschutz-Gesetz liefert diese Studie von Energie-Experte David Zogg Zuversicht und Bestätigung: Sie zeigt auf Monats-Basis, dass der Schweizer Stromverbrauch künftig auch in den kritischen Wintermonaten mit Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft gedeckt werden kann. Dazu werden alpine PV-Anlagen, Windkraft und Speichertechnologie Power2X notwendig.

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Täglich liefert uns die Sonne ca. 5000-mal mehr Energie auf die Erde, als wir verbrauchen, auch wenn alle Menschen auf der Erde auf dem Stand eines Mitteleuropäers leben würden. Dies zeigt, dass wir eigentlich kein Energie-Problem haben, sondern vielmehr ein Energieverteilungsproblem, also zeitliche und örtliche Verschiebungen von Produktion und Verbrauch. Bei diesem hohen Überschuss muss es aber technische Möglichkeiten geben, den Energiebedarf vollständig erneuerbar zu decken und auf endliche Ressourcen wie Öl und Gas aus dem Boden zu verzichten.

Betrachtung auf Monats-Basis
In der vorliegenden Studie wurde untersucht, wie der Strombedarf in der Schweiz zu 100% mit Solarenergie, Windenergie und Wasserkraft gedeckt werden könnte. Dabei wurden bestehende Studien des Bundesamtes für Energie, Swissolar, etc. zugrunde gelegt, aber auf eine monatliche Betrachtungsweise erweitert. Das heisst, es wurde für jeden Monat berechnet, wieviel Photovoltaik bzw. Windenergie notwendig ist, um den Bedarf zu decken, auch in den kritischen Wintermonaten. Die Speicherseen werden dabei zur täglichen bzw. wöchentlichen Pufferung genutzt. Monatlich muss aus Bilanzgründen gleich viel erneuerbar produziert werden wie verbraucht wird. Es wird dabei gänzlich verzichtet auf Stromimport, Kernenergie oder Stromproduktion aus nicht erneuerbaren Energien wie Öl und Gas.
Als Datenbasis wurden die prognostizierten Verbräuche an elektrischer Energie für das Jahr 2050 zugrunde gelegt (70 TWh Jahresverbrauch). Dabei wurde auch die Zunahme von Wärmepumpen und Elektromobilen berücksichtigt. Die elektrische Energie muss vollständig erneuerbar gedeckt sein.

Wichtigste Resultate
Kurze Vorberechnungen haben gezeigt, dass es nur mit Photovoltaik (PV) auf den Hausdächern im Mittelland in den Wintermonaten nicht möglich wäre, den Strombedarf der Schweiz zu decken. Trotzdem sollten möglichst alle geeigneten Dächer und Fassaden genutzt werden. Zusätzlich müssen alpine PV-Anlagen gebaut werden bzw. mit Windenergie ergänzt werden, welche beide vorwiegend im Winter produzieren. Bei allen Szenarien wird die Wasserkraft mitberücksichtigt, welche eine (begrenzte) saisonale Speicherung ermöglicht.
Aus obigen Überlegungen wurden mehrere Szenarien durchgerechnet. Dank saisonaler Speicherung über Wasserstofftechnologien (Power2X) könnte die Anzahl notwendiger Anlagen massiv reduziert werden. Bei der gefundenen Minimal-Variante wären nur noch 440 Windenergieanlagen und 32 km2 PV-Fläche in den Alpen notwendig, um die Schweiz unabhängig von Stromimporten zu machen (in Bild 1 visualisiert). Die 32 km2 PV-Fläche würde nur 0.7% der vegetationslosen Fläche der Alpen benötigen (z.B. Geröllfelder oder felsige Gebiete, welche sonst nicht genutzt werden können). Im Mittelland müssten Elektrolyseanlagen und verfahrenstechnische Anlagen zur Herstellung von Methanol sowie Rückverstromungsanlagen gebaut werden (Brennstoffzellen oder Gasturbinen, welche mit grünen Treibstoffen arbeiten). Für die Speicherung des Methanols könnten die bestehenden Pflichtlager genutzt werden. Der Aufbau dieser Infrastruktur würde Arbeitsplätze schaffen.
Beim Zubau zusätzlicher Windenergieanlagen und PV-Fläche in den Alpen könnten die restlichen Sektoren (Industrie, Landwirtschaft, Fernverkehr, usw.) über die Produktion grünen Treibstoffs allmählich dekarbonisiert werden. Dieser Schritt muss nicht sofort stattfinden, sondern kann schrittweise erfolgen.
Selbstverständlich könnten auch weitere Formen der Energieproduktion, wie z.B. aus Biomasse, Abfällen oder Geothermie mithelfen, den ganzjährigen Bedarf zu decken. Auch eine Reduktion des Verbrauchs durch Sparmassnahmen wäre sinnvoll (Suffizienz), wurde aber in den vorliegenden Berechnungen nicht berücksichtigt.

Jahresverläufe von Produktion und Verbrauch
Interessant sind die berechneten Jahresverläufe von Produktion und Verbrauch. Wie erwähnt wurde bei allen Szenarien darauf geachtet, dass auch im Winter der Strombedarf vollständig gedeckt ist. Beim Szenario C mit Power2X (Bild 2) wird sämtlicher Überschuss der PV-Anlagen im Mittelland während den Sommermonaten genutzt, um über die Elektrolyse Wasserstoff herzustellen (Power2X). Der Wasserstoff kann weiter umgewandelt und verflüssigt werden (z.B. in Methanol) zur besseren Speicherung. Im Winter wird die gespeicherte Energie wieder zurückgewandelt in Strom über Brennstoffzellen oder Gasturbinen. Insgesamt entstehen bei diesen Umwandlungsprozessen ca. 70% Verluste in Form von Abwärme (welche teilweise genutzt werden könnte). Im Winter können noch ca. 30% zur Deckung des Strombedarfs genutzt werden. Da keine vollständige Deckung möglich ist, muss der Rest noch durch Alpine PV-Anlagen (oder Windenergieanlagen) gedeckt werden. In Bild 2 ist die Wasserkraft auf heutigem Stand berücksichtigt (blaue Kurve), welche noch weiter optimiert werden kann.

Zugrunde liegende Studien und Umsetzung
Die mögliche Umsetzung der obigen Szenarien wird in diversen aktuellen Projekten beschrieben. Die Technologien für Alpin-PV und Windenergie sind alle vorhanden. Auch ein allfälliger Rückbau der Anlagen nach ihrer Lebensdauer ist vollständig möglich. Bild 3 zeigt eine Versuchsanlage für alpine PV, in welchen von der ZHAW verschiedene Neigungswinkel der Panels getestet wurden. Am besten geeignet für die Winterstromproduktion ist eine vertikale Aufstellung mit bifazialen Modulen (also beidseitig produzierend). Damit können die Reflexionen der Schneefelder optimal eingefangen werden und es bleibt kein Schnee auf den Panels liegen.
Eine mögliche Realisierung zeigt Bild 4  anhand des Projekts «Gondosolar». Hier wird auf eine nachhaltige Integration der PV-Anlagen in das Landschaftsbild geachtet mit Rücksicht auf Flora und Fauna. Geplant ist eine Fläche von 100'000 m2 mit 18 MW Leistung und einer Jahresproduktion von 23 GWh, davon 55% in den Wintermonaten. Die Stromleitungen würden unterirdisch verlegt. In diesem Pilotprojekt können wertvolle Erfahrungen für weitere Anlagen gesammelt werden. Ab Baubewilligung sollte es innerhalb 1-2 Jahre in Betrieb genommen werden.
Bild 5  zeigt eine moderne Windenergieanlage aus der Broschüre «Winterstrom für die Schweiz» (PDF 9 MB) von Energie Schweiz. In der aktuellen Studie «Windpotenzial Schweiz 2022» (PDF 300 kB) von Meteotest und BFE wurde systematisch untersucht, welche Turbinentypen sich am besten eignen würden für Mittelland, Jura, Alpentäler und Alpen. Dabei wurde auch der Landschaftsschutz, Bauzonen, Gebäudeabstände, usw. berücksichtigt. Das Mittelland hat demnach das höchste Potential, gefolgt vom Jura und den Alpentälern.

Gestehungskosten
Kostenberechnungen für eine «ferne» Zukunft im Jahre 2050 sind generell mit Unsicherheiten behaftet und abhängig von den Annahmen und Rahmenbedingungen. Trotzdem wird hier eine grobe Kostenschätzung durchgeführt auf Basis von Gestehungskosten. Bei den Gestehungskosten werden die Investitions- und Betriebskosten über die Lebensdauer amortisiert. Es sind keine Endkundenpreise, aber die Kosten, welche die Energieversorger zur Deckung ihrer internen Aufwände benötigen. Dazu liefert der Bericht «Potenziale, Kosten und Umweltauswirkungen von Stromproduktionsanlagen» des PSI / BFE (November 2017) entsprechende Tabellen.
Bild 6 fasst die Resultate für verschiedene Varianten grafisch zusammen. Dabei wurde der Stromexport subtrahiert, wenn vorhanden (Varianten A und B mit Überschussproduktion in den Sommermonaten). Bei den Gesamtkosten wird sofort ersichtlich, dass diese für die erneuerbaren Energien in ähnlicher Grössenordnung liegen wie für die konventionellen. Es ist zu beachten, dass auch die konventionellen Energien erneuert und instand gehalten werden müssen. Am teuersten ist die Variante «Stromimport».
Auf der anderen Seite haben die erneuerbaren Energien deutliche Vorteile bezüglich Wertschöpfung in der Schweiz, Unabhängigkeit, Risiko für Gesellschaft und Natur, sowie Rückbaubarkeit und Recycling.

Schlussfolgerungen
Die vorliegenden Berechnungen zeigen auf, wieviel PV-Fläche bzw. Windenergieanlagen zugebaut werden müssten, um eine ganzjährige vollständige Deckung des zukünftigen Stromverbrauchs zu haben. Neben vollständiger Ausnutzung der geeigneten Dach- und Fassadenflächen im Mittelland (ca. 300 km2) muss dabei vor allem auf alpine PV-Anlagen und Windenergieanlagen mit hohem Winterstromanteil gesetzt werden. Auch eine Kombination mit Power2X ist sinnvoll, um den Flächenbedarf der Anlagen weiter zu reduzieren. Im optimalen Fall (Szenario C) würden 0.7% der vegetationslosen Alpin-Flächen (32 km2) und 440 Windenergieanlagen genügen, um die Schweiz ohne Stromimport und Kernkraft ganzjährig zu betreiben (Minimalvariante). Der Zubau jedes zusätzlichen km2 PV-Fläche oder jeder Windturbine könnte zur Dekarbonisierung der restlichen Sektoren beitragen (Industrie, Landwirtschaft, Fernverkehr, usw.). Die Aufteilung der Winterproduktion zwischen Alpin-PV und Windenergie kann beliebig festgelegt werden unter Berücksichtigung des Schutzes von Landschaft, Mensch und Tier. Es stehen genügend Freiflächen und mögliche Standorte zur Verfügung.
Bei den Gestehungskosten schneiden die erneuerbaren Energien ähnlich gut ab wie die konventionellen. Beide Wege verursachen für die schweizerische Bevölkerung auf lange Frist ähnliche Energiekosten. Deshalb kann es kein Entscheid der Kosten sein, sondern des Willens, den Klimaschutz ernst zu nehmen. Im Vergleich zur Kernkraft und CO2-belastendem Energieimport bergen PV- und Windenergieanlagen erheblich kleinere Risiken für Natur und Gesellschaft. Zudem können die neuen Technologien die Wertschöpfung in der Schweiz und Europa erheblich fördern.
Die Berechnungen geben ein mögliches Ziel vor für das Jahr 2050. Es handelt sich um keine «Roadmap», welche sagt, wann und wo entsprechende Anlagen gebaut werden sollen. Es ist jedoch klar, dass im Vergleich zu den bisherigen Strategien des Bundes eine deutliche Beschleunigung stattfinden muss, auch beim Ausbau der PV-Anlagen in den Alpen und bei der Windenergie. Statt auf Import muss auf inländische Produktion gesetzt werden. Dabei müssen die richtigen Anreizsysteme gesetzt werden, politische Hindernisse abgebaut, Verfahren verkürzt, und klare Prioritäten gesetzt werden. Diese müssen schweizweit durchgesetzt werden.

Detaillierte Studie
Die detaillierte Studie von David Zogg kann unter diesem Link als «Vollversion» heruntergeladen werden:
https://smart-energy-engineering.ch/wp-content/uploads/2023/05/Studie_Deckung_Stromverbrauchs_CH_erneuerbar_Zogg_20230514_Vollversion.pdf (PDF 3 MB)

*Autor
Prof. Dr. David Zogg, CEO Smart Energy Engineering GmbH
smart-energy-engineering.ch