Herr Nordmann, als Sie 2010 das Präsidium von Swissolar übernahmen, formulierten Sie das Ziel, bis 2020 den Anteil von Solarstrom auf sechs Prozent zu steigern. Im Moment sind wir bei knapp drei Prozent. Da können Sie noch nicht ganz zufrieden sein?
Nein, wobei ich dazu sagen muss, dass wir 2010 bei einem Anteil von ungefähr 1,5 Prozent Solarstrom waren. 6 Prozent war damals ein kühn formuliertes Ziel. Heute schätze ich, dass im Jahre 2020 etwa vier Prozent möglich sind. Damit wird die Solarenergie zu einer relevanten Grösse. Dieses Jahr greift die Energiestrategie endlich, was ihr einen neuen Schub geben wird. Aber natürlich muss der Anteil weiter steigen. Die Sonnenenergie soll neben der Wasserkraft der zweite Pfeiler der Stromversorgung der Schweiz werden. Mein Ziel ist, dass Solarenergie dereinst 40 bis 45 TWh Strom liefern soll. Heute sind wir bei 2 TWh.
Von welchem Zeithorizont sprechen wir dabei?
2050 ist der Zeitpunkt, an dem gemäss IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) die Dekarbonisierung erreicht sein muss, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das heisst, wir haben jetzt etwa 30 Jahre Zeit, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren. Die beiden grossen Hebel dieser Dekarbonisierung sind die Mobilität sowie die Gebäude, die zusammen etwa 60 bis 70 Prozent der Treibhausemissionen der Schweiz ausmachen.
Wie ist der Bund gefordert?
Er muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass man investieren kann. Da der Strommarkt aktuell noch für eine Weile vollständig dysfunktional ist, ist es unmöglich, zu investieren. Daher ist eine Investitionshilfe notwendig. Das gilt übrigens nicht nur für Solarstrom, sondern auch für Wasserkraft und Wind- energie, und es würde selbst für die Atomkraft gelten.
Bei der KEV und der neuen Einmalvergütung besteht allerdings noch eine lange Warteliste.
Ja, wobei der Bund dieses Jahr gegen 250 Millionen Franken zur Verfügung stellt, um die Warteliste der Einmalvergütung abzubauen. Bundesrätin Sommaruga hat im März 2019 auf eine Anfrage von mir erklärt, das Ziel sei, die Wartezeit auf ein Jahr zu verkürzen. Das heisst, es wird jetzt massiv aufgeholt, die Investitionssicherheit steigt, sowohl für die kleine Einmalvergütung für Anlagen unter 100 kW als auch für die grosse Einmalvergütung für Anlagen über 100 kW. Was es jetzt noch braucht, ist eine Einmalvergütung für Anlagen ohne Eigenverbrauch.
Weshalb?
Die Einmalvergütung deckt momentan etwa 25 Prozent der Investitionskosten. Bei Eigenverbrauch reicht dies, um die Anlage über die Einsparungen beim selbst verbrauchten Strom zu rentabilisieren, weil man so die Netzgebühr nicht bezahlt. Doch es gibt auch Gebäude wie Scheunen mit sehr geringem Eigenverbrauch, die sich hervorragend für eine Solaranlage eignen würden. Diese können nicht auf den Eigenverbrauch zählen. Gesamtwirtschaftlich gesehen sind diese Anlagen aber die günstigsten, und sie können im Winter einspeisen, wo wir am meisten Strom brauchen. Solche Anlagen müssen noch etwas stärker gefördert werden.
Bei älteren Gebäuden bestehen oft Zielkonflikte mit dem Denkmalschutz. Müssten dort die Richtlinien gelockert werden?
Ich bin nicht der Meinung, dass man jedes denkmalgeschützte Gebäude mit schlecht geplanten Solarpanels zupflastern muss. Übertrieben ist aus meiner Sicht nur, wenn das Verbot für Solarpanels auch auf die umliegenden Gebäude eines denkmalgeschützten Gebäudes ausgedehnt wird. Aber dieser Konflikt hat sich in den letzten Jahren entschärft, man hat sich an die Anlagen gewöhnt, und diese werden schöner. Es ist so eigentlich nur ein theoretischer Streit, in der Praxis gibt es in 95 Prozent der Fälle überhaupt keine Konflikte für den Bau von Solaranlagen. Das ist auch der Grund, weshalb angemeldete Solaranlagen auf der Warteliste zu fast 90 Prozent gebaut werden.
Was empfehlen Sie Immobilienbesitzern, die sich überlegen, eine Solaranlage zu bauen?
Viele Hauseigentümer, die investieren, versuchen ökonomisch zu optimieren, so, dass sie den grösstmöglichen Anteil des Stroms selbst verbrauchen. Doch eigentlich wäre es sinnvoll, das gesamte Dach zu bedecken. Das ist erstens schöner, weil es homogener aussieht, zweitens sind die Mehrkosten sehr tief, und drittens ist es von gesellschaftlichem Nutzen, Stromüberschüsse zu produzieren. Dank unserer hervorragenden Situation mit den Pumpspeichern ist es möglich, diese Überschüsse für den späteren Verbrauch zu speichern. Unsere Wasserkraft ist ein riesiger Trumpf und das Fundament, um die andere Hälfte der Stromversorgung erneuerbar zu machen.
Welche weiteren Speicherlösungen sind im Hinblick auf die Photovoltaik von Interesse?
Aus weltweiter Sicht ist sicherlich Power-to-Gas eine gute Speicherlösung, die sich aber hinsichtlich der Umwandlungseffizienz noch verbessern muss. In der Schweiz ist Power-to-Gas ebenfalls eine Option, aber noch nicht so entscheidend, da wir das unglaubliche Glück haben, fast neun Terawattstunden Speicher zu haben in unseren Stauseen. Eine andere sehr interessante Speichermethode gerade in Kombination mit Photovoltaik ist die Erdsondenregeneration.
Wie funktioniert diese?
Da die Wärme in den ersten 100 Metern unter der Erde von der Sonne kommt, kühlt sich die Sonde im Winter ab und erwärmt sich im Sommer. Die Erfahrung zeigt, dass die Erdwärmesonde nie vollständig regeneriert, sondern ein paar Grad verliert. Dadurch verliert die Wärmepumpe im Winter an Effizienz. Indem man nun die Sonde mit überschüssiger Wärme aus der Solarwärmeanlage oder überschüssigem Strom aus der Photovoltaik wieder auf die ursprüngliche Temperatur bringt, braucht man im nächsten Winter weniger Strom für die Wärmepumpe. Zu dieser spannenden Speichermöglichkeit wurden erfolgreiche Pilotprojekte durchgeführt, sie muss jetzt in die Breite gehen. Denn sie ist noch zu wenig bekannt.
Ein weiterer Bereich, in dem derzeit Innovationen stattfinden, sind Solarfassaden. Wie schätzen Sie deren Potenzial ein?
Es liegt gemäss der restriktiven Meteotest-Studie bei rund 17 Terawattstunden pro Jahr. Solarfassaden sind dann besonders attraktiv, wenn man den Strom selber verbrauchen will, weil eine Fassade tendenziell sehr gleichmässig über das Jahr produziert. Das ergibt insgesamt zwar weniger Kilowattstunden, dafür sind sie vor allem im Winter sehr ergiebig, denn es gibt keine Probleme mit dem Schnee, und die Fassade kann noch produzieren, wenn die Sonne schon sehr tief steht. Solarfassaden sind auch für grosse Gebäude oder Fabrikhallen vorteilhaft, die vor Ort viel Strom benötigen. Wenn das Gebäude eine Ost-, Süd- und eine Westfassade hat, ist eine über den Tag gut verteilte Produktion möglich.
Seit Anfang 2018 sind auch Zusammenschlüsse für den Eigenverbrauch (ZEV) möglich. Was bedeutet dies für die Immobilienbesitzer?
Dies ist sehr interessant. Man kann so beispielsweise von mehreren Gebäuden das günstigste wählen, dort eine sehr gute Anlage bauen und den Strom durch eine ZEV gemeinschaftlich nutzen. Auch bei verschiedenen Consumer-Profilen wie beispielsweise Wohnen, Restaurant und Büro kann man so eine sehr homogene Verbrauchskurve erreichen. In diesem Zusammenhang ist es ein grosser Vorteil der Sonnenenergie, dass sie am Tag produziert, denn der Mensch ist ein «Tageswesen», das tagsüber viel mehr Strom benötigt als in der Nacht. Früher wurden Pumpspeicher gebaut, um den nächtlichen Überschuss von Nuklearstrom auf den Tag zu verschieben. Heute hingegen sind sie uns nützlich, um Tagesüberschüsse vom Solarstrom für die Nacht zwischenzuspeichern, und umgekehrt.
Die Vorzeichen für die Solarenergie sind also günstig. Doch kann sich die Schweiz eine erneuerbare Stromversorgung überhaupt leisten?
Es ist jetzt unbedingt nötig, endlich grosse Brötchen zu backen. Was die Kosten betrifft: Man bedenke, dass die Schweiz in den Sechzigerjahren rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Stromversorgung investiert hat, also für Stauseen und Hochspannungsleitungen. Um heute die bis 2050 angepeilten 40 bis 45 Terawattstunden Sonnenstrom zu erreichen, sind 0,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts notwendig, also ein Bruchteil dessen, was man in den Sechzigerjahren ausgegeben hat. Und wir brauchen diesen Strom, denn er ist die Energie der Zukunft.
Mit der Energiestrategie 2050 wurden die entsprechenden Weichen gestellt. Allerdings wurde kürzlich das kantonale Berner Energiegesetz abgelehnt, und das CO2-Gesetz ist im Nationalrat ebenfalls durchgefallen. Kommt die Energiewende ins Stocken?
Nein. Damit hat die Energiepolitik zwar einen kleinen Rückschlag erlitten, aber im Grossen und Ganzen sind wir gut unterwegs. Beim CO2-Gesetz ist die Beratung im Ständerat auf dem richtigen Weg. In den Kantonen besteht die Schwierigkeit darin, dass die Hauseigentümer Angst vor zu komplexen Vorschriften haben. Das kann ich nachvollziehen. Wir müssen deshalb vermehrt mit Anreizen arbeiten wie der CO2-Abgabe oder der Teilzweckbindung für die Gebäudesanierung. Diese erfolgreiche und akzeptierte Politik sollte auf Bundesebene verstärkt werden. Gleichzeitig müssen die Kantone weiter an der Umsetzung der MuKEn 2014 arbeiten. Letztendlich ist das auch im Sinne der Hauseigentümer, denn die kantonalen Vorschriften schützen sie vor schlechter Arbeit und garantieren einen hohen Qualitätsstandard.
Was kann man aus den Erfahrungen im Kanton Bern lernen?
Wahrscheinlich muss man einen Teil der Kosten über Steuergelder finanzieren. Basel-Stadt hat ein interessantes Modell: Bei einer Sanierung muss eine erneuerbare Heizung eingebaut werden, und wenn diese nachgewiesenermassen über den ganzen Lebens- zyklus mehr kostet als eine konventionelle, bezahlt der Kanton den Unterschied. Dieses Modell könnte auch für andere Kantone angewendet werden.
Im Herbst dieses Jahres sind Wahlen. Energie- und Klimapolitik waren bisher nicht das grosse Wahlthema. Wird das dieses Jahr anders sein?
Ja, es muss. Im Moment bekämpft eine Mehrheit der FDP und SVP die Klimapolitik. Zwar hat die FDP eine Klimawende angekündigt, aber kurze Zeit später acht Vorstösse zur Klimapolitik abgeschossen. Wir sind also noch nicht am Ziel. Die konstruktiven Kräfte, die die Energiewende gebaut haben, nämlich SP, Grüne, Grünliberale, BDP und CVP, müssen stärker werden in der nächsten Legislatur, sonst werden wir nicht vom Fleck kommen. Und es eilt wirklich, denn die Klimafrage ist brennend, in diesem und im übertragenen Sinn des Wortes.
Sie sind nun seit neun Jahren Präsident von Swissolar. Was sind Ihre aktuellen Prioritäten im Verband?
Zentral ist, dass es den Unternehmen ökonomisch wieder besser geht. Die Photovoltaik ist ein sehr kompetitiver Bereich, zurzeit haben wir einen mörderischen Wettbewerb, einen Preiskampf, der kritisch ist für das Überleben der Firmen. Ich hoffe, dass sich die wirtschaftliche Lage mit der Steigerung des Marktvolumens entspannt. Ein zweiter Punkt betrifft die Solarthermie: Diese stagniert derzeit trotz ihres hohen Potenzials, gerade in Industrie und Gewerbe. Hier müssen wir auch die Vorteile der Solarthermie wieder vermehrt herausheben. Und schliesslich liegt mir persönlich Folgendes am Herzen: Wir haben eingangs davon gesprochen, was der Staat machen muss. Doch nicht nur der Staat, sondern auch jeder einzelne ist gefordert!
Inwiefern?
Auch unsere privaten Investitionsentscheide haben einen grossen Einfluss. Anstatt für eine Woche ans andere Ende der Welt zu fliegen, sollten wir uns überlegen, ob wir uns nicht eine Solaranlage, ein Elektroauto oder eine Isolierung des Dachstocks leisten sollen. Ich bin überzeugt, dass dies am Ende auch mehr Freude macht.