Der Umbau der Stromversorgung unseres Landes ist im Gange. Ziel ist ein Wandel hin zu einer resilienten und klimaschonenden Versorgung. Dies bedeutet zwangsläufig den Ausbau der erneuerbaren Energien wie Wasser, Sonne, Wind und Biomasse. Doch Änderungen passieren nicht von selber, zumal die «neue Technologie» anfänglich teurer ist als die vor langer Zeit entwickelte. Dies gilt für Elektroautos genauso wie für Solarkraftwerke. Deswegen werden Subventionen gesprochen, um die Transition hin zu einer neuen Technologie finanziell und gesellschaftlich zu fördern. Wichtig ist, die Subventionen schnell genug zurückzufahren, sobald man sieht, dass die Technologie durch die Skaleneffekte bei grossen Stückzahlen günstiger wird und der Markt sich entwickelt hat. Bei der Solarenergie stehen wir an diesem Punkt: Die Gestehungskosten nicht subventionierter Anlagen liegen bei ca. 12-14 Rp./kWh und damit im Bereich der Haushaltsenergiepreise. Statt nun die Subventionen langsam zurückzufahren, werden diese aber massiv ausgebaut. Dies mit dem Ziel, die Versorgungssicherheit vor allem in den Wintermonaten sicherzustellen. Doch wird dieses Ziel damit erreicht? Was passiert mit dem Strom, den die subventionierten Anlagen produzieren? Dazu müssen wir etwas tiefer in den Strommarkt eintauchen.
Wie funktioniert der Stromhandel?
Grundsätzlich gilt: Strom wird einerseits physikalisch produziert und anderseits am Markt gehandelt - genauso wie Getreide oder Kohle. Betrachtet werden müssen also zwei Ebenen:
Die physikalische Ebene: hier müssen sich Verbrauch, Produktion und Zwischenspeicherung in jeder Sekunde die Waage halten, denn das Stromnetz ist wie eine Wasserleitung: wenn irgendwo etwas eingespeist wird, muss es an anderer Stelle zeitgleich entnommen werden.
Die bilanzielle Ebene („Strommarkt“): Strom ist hier seit den 90er-Jahren zu einem Handelsgut geworden. Gehandelt im 15-Minuten-Rhythmus an Börsen und mit kurz- und langfristigen Kauf- und Verkaufsverträgen. Gehandelt wird zwischen den sogenannten «Bilanzgruppen». Grosse Verteilnetzbetreiber wie die BKW haben solche Bilanzgruppen. Hier muss der «Bilanzgruppenverantwortliche» sicherstellen, dass der von den Endkunden der BKW verbrauchte Strom viertelstündlich der Menge entspricht, welche auch eingekauft wurde. Einkaufen kann er sowohl im Inland wie auch grenzüberschreitend im Ausland. Der Strom wird dabei rein nur auf dem Papier gehandelt – woher der Strom physikalisch kommt und wohin er fliesst, ist dafür irrelevant.
Zur Erklärung ein konkretes Beispiel: Nehmen wir einen Haushalt, der sich in der Nähe eines Kraftwerks befindet. Dieser wird physikalisch gesehen mit dem Strom aus dem Kraftwerk versorgt, denn Elektronen suchen sich immer den Weg des geringsten Widerstands. Bilanziell gesehen kann es aber sein, dass der Strom aus Frankreich kommt. Denn es gilt: während der pyhsikalische Strom den Weg des «geringsten Widerstands» geht, geht der bilanzielle Strom den Weg des Geldes.
Strommangellage und Blackout
Wie wirkt sich das nun auf die Versorgungssicherheit aus? Auch bei dieser Diskussion müssen die Ebenen physikalisch und bilanziell getrennt betrachtet werden:
Der «Blackout» bezieht sich auf die physikalische Ebene: Hier bricht das Stromnetz zusammen, weil physikalisch weniger produziert als verbraucht wird.
Die «Strommangellage» bezieht sich hingegen auf die bilanzielle Ebene: Hier kann der Bilanzgruppenverantwortliche nicht genügend Strom am Markt beschaffen, um den prognostizierten Verbrauch der ihm angeschlossenen Verbraucher zu decken. In der Folge muss der Verbrauch innerhalb dieser Bilanzgruppe gesenkt werden.
Stromverkauf grosser Solaranlagen
Zurück zu den Solaranlagen: Physikalisch gesehen ist es einfach. Die Solaranlage speist am nächstgelegenen Ort in das Stromnetz ein. Doch verrechnet wird der Strom auf der bilanziellen Ebene. Dabei stellt sich die Frage, an wen der Strom verkauft werden darf. Aktuell ist es so, dass der Strom sowohl im Inland als auch im Ausland frei gehandelt und zu einem frei aushandelbaren Preis verkauft werden kann. Der Produzent kann den Strom aber auch dem lokalen Verteilnetzbetreiber verkaufen: denn dieser ist verpflichtet, den in seinem Gebiet produzierten Strom abzunehmen und zu vergüten. Das Gesetz ist hier nicht symmetrisch: Während das lokale Elektrizitätswerk den Strom abnehmen muss, kann der Solaranlagenbetreiber selbst entscheiden, an wen er verkaufen will.
Ein fiktives Beispiel: Ein grosses, französisches Industrieunternehmen will sich gegen Schwankungen im Strompreis absichern und schliesst deshalb mit dem Betreiber einer Schweizer Solaranlage einen 10-Jahres-Vertrag über die (bilanzielle) Lieferung des gesamten, produzierten Stroms für beispielsweise 10 Rp./kWh ab. Damit steht der Strom für die nächsten 10 Jahre nicht mehr für die Schweiz zur Verfügung – denn auch wenn er physikalisch hier eingespeist wird, besteht eine Lieferverpflichtung nach Frankreich. Der Strom ist den Schweizer Bilanzgruppen entzogen und trägt nichts mehr zur Versorgungssicherheit bei. Auch im Falle einer Strommangellage hat ein Bilanzgruppenverantwortlicher keinen Zugriff auf diesen Strom. Die Bevölkerung kann davon also nicht profitieren, selbst wenn diese Anlage über die Netzabgaben und Steuern von Schweizerinnen und Schweizern subventioniert worden ist. Eine Analogie mag dies verdeutlichen: Es gibt einen Mangel an WC-Papier. Der Bundesrat beschliesst, ein Schweizer Unternehmen mit Steuergeldern zu unterstützen, damit dieses eine lokale Produktion aufbauen kann. Er vergisst aber zu vereinbaren, dass das WC-Papier ins Inland zu Gestehungskosten geliefert werden muss. Was wäre, wenn das Unternehmen (unter Umständen schon vor dem Bau der Fabrik!) einen Liefervertrag mit Frankreich geschlossen hat, da er dort mehr für das WC-Papier erlösen kann? Wir müssten dann untätig zusehen, wie die von uns subventionierten und frisch produzierten Rollen nach Frankreich geliefert werden.
Noch eine Randbemerkung: wir Schweizer und Schweizerinnen finanzieren den Strom, der in den Export geht, nicht nur über einmalige Subventionen mit, sondern auch dauerhaft über die Netzgebühren: denn es gilt das “Ausspeiseprinzip”, das Stromnetz wird komplett von den Bezügern und Bezügerinnen bezahlt.
Was wären die Lösungen?
Diese hängen davon ab, was wir als Gesellschaft anstreben:
1) Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit: Dann werden Kraftwerke mit dem Ziel gebaut, dass der Strom sowohl physikalisch wie auch bilanziell in der Schweiz bleibt. In diesem Falle müsste den Betreibern von subventionierten Kraftwerken, wie z.B. Solaranlagen, die Auflage gemacht werden, den Strom nur im Inland, am besten zu Gestehungskosten, zu verkaufen. Dies würde auch die Strompreise stabilisieren.
2) Die Energiewende im In- wie Ausland zu beschleunigen: dann werden Solaranlagen mit dem Ziel subventioniert, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Hier muss man sich aber die Frage gefallen lassen, ob wir die Energiewende im Ausland mitfinanzieren wollen. Denn unsere, à-fonds-perdu gezahlten Subventionen dienen dann auch dazu, für das Ausland erneuerbare Energie herzustellen. Und soll dies das Ziel sein, wäre es wohl sinnvoller, mit Absicherungsinstrumenten wie Bürgschaften (analog der Schweizerischen Exportrisikoversicherung SERV) zu arbeiten.
Resumée
Das bisherige Fördermodell, nämlich eine einmalige Investitionsbeihilfe, war eine gute und einfach umsetzbare Idee, insbesondere für kleinere Solaranlagen. Es stösst jetzt aber, bei den neu sehr hohen Förderbeiträgen von 40-60 % der Investitionskosten, an seine Grenzen: denn damit sind Gestehungskosten von 5-7 Rp./kWh möglich, die weit unter den momentan erzielbaren Marktpreisen liegen. Solaranlagen haben sich damit innert weniger Jahre amortisiert, er herrscht also eine offensichtliche Überförderung. Diese mag begrüssenswert sein, um den Ausbau zu beschleunigen – im Gegenzug muss die Schweizer Bevölkerung aber entweder den Strom zu Gestehungskosten beziehen zu können (z.B. durch Einspeisung in die Grundversorgung) oder aber die gezahlten Subventionen im Falle einer (Über-)Rentabilität zurückgezahlt bekommen. Sonst werden einmal mehr die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert, so wie es auch bei der Bankenrettung droht.
Ist das erklärte Ziel die Stärkung der Versorgungssicherheit, der Winterstromversorgung sowie der Preisstabilität, so muss den Betreibern der (geförderten) Stromerzeugungsanlagen die Auflage gemacht werden, den produzierten Strom zu Gestehungskosten in die Grundversorgung einzuspeisen. Solange dies nicht geschieht, wir aber Versorgungssicherheit haben wollen, sind die ganzen neuen Fördermechanismen Makulatur. Denn nur zu fördern, aber nichts zu fordern, hilft weder der Versorgungssicherheit noch dem Portemonnaie.
sses.ch
Bilder: grengiols-solar.ch