Wer eine Photovoltaik-Anlage anschafft, hat für ihren Betrieb einen langen Zeitraum vor Augen. Zwei oder gar drei Jahrzehnte muss eine Anlage laufen, um nicht nur die Investitionskosten, sondern auch die erwartete Rendite mit dem geernteten Solarstrom einzuspielen. Die Hersteller garantieren in der Regel die Leistungsfähigkeit ihrer Solarpanels für 25 bis 30 Jahre. Dahinter steht das Versprechen, dass die Module nach dem definierten Zeitraum noch mindestens 80 Prozent der ursprünglichen Leistung bringen. An diese Zusage werden viele Eigentümer von PV-Anlagen bald erinnert werden. Denn die Solaranlagen, die seit der Jahrtausendwende entstanden sind, erreichen in den nächsten Jahren ihr Garantiealter. Dann wird sich zeigen, wie sich die Photovoltaik im reifen Lebenszyklus schlägt.
Wie sich PV-Anlagen verhalten, die dreissig und mehr Jahre in Betrieb sind, dazu gibt es tatsächlich noch keine breit gesicherten Erkenntnisse. Umso wichtiger sind die Betriebserfahrungen mit Anlagen aus der Pionierzeit der Solarstrom-- Erzeugung. Hierfür lohnt sich eine Reise ins Tessin. Denn in Canobbio nördlich von Lugano ging 1982 die erste Solaranlage Europas ans Netz. TISO-10 wird der Senior liebevoll genannt. TISO steht für «Ticino Solare», die Zahl zehn für die damals respektheischende Leistung von 10 kWp. Die Solarzellen von TISO-10 bestehen aus kristallinem Silizium, jenem Halbleitermaterial, das auch heute noch überwiegend für den Bau von PV-Zellen eingesetzt wird. Nur dass die Halbleiterschicht heute nicht mehr 320 Tausendstelmillimeter dick ist, sondern nur noch rund halb so viel. Das spart Material und Kosten.
Mit 35 Jahren noch in guter Verfassung
Kleiner waren die Module in den Gründerjahren der Photovoltaik, und in ihnen waren weniger Zellen verbaut als heute. Sie haben sich alles in allem gut gehalten. So jedenfalls der Eindruck, wenn man heute in Canobbio vorbeischaut: TISO-10 wurde vor einiger Zeit vom Dach der Aula Magna der Tessiner Fachhochschule SUPSI abgebaut. Jetzt liegen die Module auf der Terrasse der Mensa. Sie glänzen im Sonnenlicht, während die Studentinnen und Studenten drinnen zu Mittag essen. Die Solaranlage war während ihres langjährigen Betriebs immer wieder erneuert worden, Kabel und Wechselrichter wurden ausgetauscht. Die 288 Module selber aber sind original. Jetzt lagern sie in Stapeln, die einen noch in frischem Weiss, andere mit einer braunen Patina überzogen. Die Rückseitenfolie ist da und dort beschädigt.
Eigentlich hätten die Solarmodule einen Platz im Museum verdient. Doch darauf müssen sie noch warten. In den letzten zwei Jahren waren sie Gegenstand eines wissenschaftlichen Projekts. Forscherteams von SUPSI und ETH Lausanne untersuchten die Paneele mit Unterstützung des Bundesamts für Energie auf ihren Zustand. Das Hauptergebnis ist beachtlich: Fast drei Fünftel (58 Prozent) der 288 Solarmodule hatten nach 35 Betriebsjahren noch einen Output von 80 und mehr Prozent der Anfangsleistung von 35,4 Watt. Anders formuliert: Weit über die Hälfte der Module genügen trotz ihres hohen Alters den heute üblichen Garantieleistungen der Hersteller.
Gilt dieser Befund auch für die aktuell produzierten PV-Module? Mauro Caccivio, Leiter des Forschungsprojekts, denkt nach – und schüttelt dann den Kopf: «Ein direkter Vergleich zwischen damals und heute ist nicht möglich. Die in der Modulproduktion eingesetzten Materialien für Verkapselung und Rückseitenfolie sowie die Konzepte für die Anschlussbox (Junction Box) einschliesslich Diodentyp haben sich über die Jahrzehnte stark gewandelt, auch um die Herstellungskosten zu reduzieren», sagt Caccivio, der das SUPSI-Team für die Qualität von Photovoltaiksystemen leitet. «Die Materialien aber sind entscheidend für die Lebensdauer der Module. Genau dies ist eine zentrale Erkenntnis unserer Studie.»
Verkapselungsmaterial ist zentral
Damit Solarzellen eine lange Lebensdauer haben, wird eine Schutzschicht aus einem transparenten Kunststoff aufgetragen (Verkapselung). Die Hersteller von klassischen Silizium-Solarmodulen benutzen als Zellverkapselungsmaterial heute in der Regel Ethylen-Vinyl-Acetat (EVA). Das kautschukartige Material lässt sich gut verarbeiten, und das dafür benutzte Verfahren (Vakuum-Laminierung) ist kostengünstig. EVA ist indes nicht unangefochten. Das gilt unter anderem bei der Herstellung von Solarmodulen, die sich besonders für gebäudeintegrierte Lösungen empfehlen (Building Integrated Photovoltaics/BIPV). Hier kommt häufig der Kunststoff Polyvinylbutyral (PVB) als Verkapselungsmaterial zum Einsatz.
PVB kennt man aus anderen Alltagsprodukten; so wird der Stoff seit langem als Zwischenschicht bei der Herstellung von Verbundsicherheitsglas etwa für Windschutzscheiben verwendet. Für Solarmodule wird er insgesamt noch relativ wenig genutzt. Allerdings verbindet sich mit ihm die Hoffnung, dass er für die Herstellung von Glas-Glas-Dünnschichtmodulen zweckmässiger wäre als EVA, da er die Module sicherer macht. Das wäre ein grosser Vorteil für die Dünnschichtmodule, die oft für gebäudeintegrierte Anwendungen eingesetzt werden.
Und hier ergibt sich die Verbindung zum oben erwähnten Forschungsprojekt des SUPSI: Die Module von TISO-10 wurden in den frühen 1980er-Jahren nämlich mit dem Verkapselungsmaterial PVB hergestellt, wobei drei Typen dieses Materials mit unterschiedlicher Zusammensetzung zum Einsatz kamen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Lebensdauer je nach Zusammensetzung erheblich schwankt (vgl. Box). «Unsere Forschungsergebnisse bestätigen, dass es sich bei einem der drei PVB-Typen um ein vielversprechendes Material zur Herstellung von sehr dauerhaften Modulen handelt, die der langjährigen Aussetzung von Wettereinflüssen widerstehen», sagt SUPSI-Forscher Mauro Caccivio. «Wenn wir die genaue chemische Zusammensetzung des wetterfesten PVB-Typs kennen, wird das der Materialforschung die Möglichkeit eröffnen, einen PVB-Kunststoff zu entwickeln, der die Langlebigkeit von PVB-Solarmodulen sicherstellen kann.»
Nächstes Ziel bei 40 Jahren
Und wie geht es weiter mit TISO-10? Was geschieht mit den Modulen, die auf der Terrasse der Mensa in Canobbio gestapelt sind? Sie sind von den SUPSI-Forschern ausersehen, noch einmal in Betrieb zu gehen und Strom zu produzieren. Nicht alle Module zwar, aber jene, die sich besonders gut erhalten haben. Sie sollen für den Bau einer neuen Anlage benutzt werden, und zwar im Laufe des Jahres 2019, wenn die SUPSI ihre neuen Gebäude in Mendrisio bezogen hat. Dann sollen die altgedienten Module, die unterdessen schon 35 Jahre auf dem Buckel haben, nochmals Strom aus Sonne produzieren. Die nächste Wegmarke: 40 Jahre.
* Benedikt Vogel, Fachjournalist im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)