Powerloop-Präsident Daniel Dillier konnte sich freuen: Sämtliche 168 Stühle im Saal des Bundesamts für Energie in Ittigen waren an der Tagung am 27. September in Bern besetzt. Und er outete sich in seiner Begrüssung als Fan des Bügeleisens, das er demonstrativ in die Höhe hob: Es erscheint in der Werbung für gazenergie. Für eine ökonomische Versorgungssicherheit mit Energie braucht es nämlich Wärme-Kraft-Kopplung (WKK) und Power-to-Gas, so Dillier. Beim Strom haben wir eine Versorgungslücke in der Schweiz. Und wir brauchen erneuerbare Energie. Dabei ist Erdgas/Biogas nicht das Problem, sondern die Lösung!
Dezentrale ökologische Energiesysteme planen – und realisieren
Die Energiestrategie 2050 verlangt den Ausstieg aus Atom- und fossiler Energie. Das hinterlässt Lücken, so Kristina Orehounig, Leiterin Urban Energy Systems Laboratory an der EMPA. Die Lösung besteht in Plus-Energie-Häusern, die auch Energie speichern, und dezentralen Energiesystemen, und zwar nicht nur für Strom, auch für Wärme. Die optimale Nutzung von Verbrauch und Erzeugung lässt sich in komplexen, dynamischen Simulationsmodellen planen. Solche entwickelt die Empa.
Wie man ein solches System konkret realisiert, zeigte Marco Letta, CEO der St. Galler Stadtwerke. Hier spielt WKK eine wichtige Rolle im Konzept für Versorgungssicherheit: in den Fernwärmezentralen als Grossanlagen (2 MW) und ausserhalb des Fernwärmegebiets in Kleinanlagen in Quartieren oder Einzelhäusern, welche aber für die Versorgungssicherheit mit Elektrizität als Schwarm-Netz mit Zu- und Entladung kontrolliert gesteuert werden. In dieses sind auch Photovoltaik-Anlagen integriert. WKK und PV geben eine sinnvolle Partnerschaft, so Letta. Aber vor allem in den Sommermonaten muss die Produktion von WKK- und SonnenStrom sorgfältig aufeinander abgestimmt werden. WKK wird bis 2050 eine wichtige Rolle spielen. Für deren Wirtschaftlichkeit ist aber die neue Regelung des Bundes (Rückerstattung der CO2-Abgaben nur auf den produzierten Strom, mit Rückerstattung erst ab 500 kWel und Reinvestitionspflicht 40 % der Rückerstattung) nicht sinnvoll. Man kann Strom und Wärme nicht einfach voneinander trennen. Zudem ist die Leistungsbegrenzung für die Teilrückerstattung der CO2 -Abgaben (grösstes Potenzial für WKK-Anlagen zwischen 20 kW und 200 kW) aufzuheben. Auch Roger Balmer, Geschäftsführer Pro Energie GmbH und nebenbei Lehrer für WKK, beschrieb eine praktische Lösung für die von Orehounig theoretisch angetönten Plus-Energie-Häuser mit Energiespeicherung: im von ihm geplanten energieautarken Mehrfamilienhaus in Brütten (vgl. HK-Gebäudetechnik 8/16 S. 4–6 und HK-GT 3/15 S. 36–39). Auf dem Dach und über die Fassaden wird photovoltaisch Strom erzeugt. Dieser wird über eine Wärmepumpe zum Heizen und fürs Warmwasser gebraucht. Der Rest geht an einen Kurzzeit-Stromspeicher sowie zur Power-to-Gas-Anlage. Der hier erzeugte Wasserstoff liefert über eine Brennstoffzelle Strom, ergänzt zu einem sehr kleinen Teil durch Erdgas/Biogas aus dem Netz. Brennstoffzelle und Wärmepumpe sind in einer «Hybridbox» zusammengefasst (vgl. HK-GT 10/19 S. 48–51). Die Anlage funktioniert und generiert Minderkosten für Mieter bei erheblicher CO2-Einsparung. Allerdings, so Balmer, ist sie noch nicht «enkeltauglich», das System müsste noch etwas einfacher werden.
WKK mit Holzvergasung
Für die Fernwärmezentralen in den Gemeinden Puidoux (7,2 GWh/a) und Charmey (11,2 GWh/a) entschied sich Romande Energie laut Giulio Caimi, Leiter Fernwärme, nach Analyse der Jahresgangkurven für je ein Blockheizkraftwerk, angetrieben mit Holzgas aus eigener Holzvergasung, ergänzt durch eine ORC-Turbine am Abgas von BHKW und nachgeschaltetem Heizkessel, um die Stromerzeugung weiter zu erhöhen. Abgaskondensation gestattet die Nutzung des gesamten Brennwerts von Holz. Bei der Holzvergasung entschied man sich für Pyrolyse, so können die Gemeinden nasses Holz anliefern. Das Konzept erlaubt beiden Zentralen eine flexible Anpassung je nach Strom- und Wärmebedarf. Die elektrische Leistung in Charmey beträgt 770 kW (Motor) und 120 kW (ORC). Dank dem Bau eines zusätzlichen Niedertemperatur-Rücklaufs vom fernbeheizten Schwimmbad ist Abgaskondensation möglich. Mit «Kinderkrankheiten» kam die Anlage im ersten Jahr auf 69 % Verfügbarkeit. Das Personal muss die Anlage noch besser kennenlernen. 85 % Verfügbarkeit sind in Reichweite.
Power-to-Gas für Audi
Die grösste funktionierende Power-toGas-Anlage (PtG) wird von Audi im deutschen Emsland betrieben, stellte Reinhard Otten von Audi fest. Zwar steht auch bei Audi heute das ElektroAuto im Vordergrund – aber dieses löst eigentlich das «falsche Problem» – es braucht weniger Energie, aber mehr Leistungsvorhaltung. Genau diese wird in Zukunft schwieriger und teurer. CNG- und Biogas-Antrieb wird zur Zeit unterschätzt (CNG = Compressed Natural Gas, komprimiertes Erdgas), ist aber volkswirtschaftlich sehr sinnvoll. Die Power-to-Gas-Anlage von Audi nutzt Windstrom, wandelt diesen in Wasserstoff um, der für Brennstoffzellen-Autos genutzt werden kann und methanisiert diesen dank Biogas für CNG-Autos. Das Methan wird in Stunden geringer Stromnachfrage produziert, sichert der Windkraftanlage so volle Auslastung, und kann direkt an Autos oder ans Netz abgegeben werden. Als Fazit hält Otten fest: Für die Energiewende brauchen wir Elektronen und Moleküle. Wasserstoff und Methan können eine Schlüsselrolle spielen. WKK (positive Regelenergie) und PtG (negative Regelenergie) funktionieren mit denselben Energieträgern, sind kompatibel, komplementär und synergetisch miteinander verbunden. Und der Mobilitätssektor kann Teil und Treiber einer volkswirtschaftlich optimierten und funktionierenden Energiewende sein.
Gesamtkonzept mit allen Energien gefordert
Die Podiumsdiskussion eröffnete Tagungsleiter Kurt Lüscher, Geschäftsführer Powerloop, mit der Frage: Warum wird WKK in Politik, Wirtschaft und Bevölkerung nicht wahrgenommen? Nationalrat Peter Schilliger sah das Problem bei der Wirtschaftlichkeit: Anlagen, die wir früher gebaut haben, werden heute wieder herausgerissen, weil sie nicht rentabel sind. WKK wäre eine Lösung für unsere Stromprobleme, aber die Politik muss helfen. Daniela Decurtins, Direktorin Verband der Schweizerischen Gasindustrie, stellte fest, es gebe über 600 EWs in der Schweiz, nur 100 sind auch Gasversorger. Die meisten tun sich schwer mit WKK, aber einige engagieren sich auch in Power-to-Gas und neuen Technologien. Marco Letta stellte fest: Es braucht Infrastruktur, und das kostet. Bundesrätin Sommaruga habe jedenfalls in St. Gallen festgestellt: Schön, dass hier jemand etwas tut, anstatt nur zu reden. BFE-Vizedirektor Daniel Büchel meinte, das Ziel der Gas-Branche, den Anteil von Biogas im Wärmemarkt bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen, reiche nicht. Das Ziel müsse sein, Gas zu 100 Prozent erneuerbar zu gestalten. «Wir können nicht jetzt Technologien empfehlen, in die Leute investieren und dann zehn Jahre später den Abbau anordnen.» Schilliger mahnte, die Politik dürfe keine missionarische Gesetzgebung verfolgen, die alles verbiete, was mit fossilen Energien zu tun habe. Und Daniela Decurtins forderte, dass der Bund endlich statt Elektrifizierungsszenarios ein Gesamtkonzept mit allen Energien entwickle.
Für die Agenda: Das nächste PowerloopForum 2020 ist am Freitag, 25.9.2020.
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